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Levin.
Ein Name, der auf der Zunge schmilzt, wenn man ihn nur aussprechen will.

Ich sehe ihn. Jede Woche. Den selben Tag, die selbe Uhrzeit.
Und doch hatte ich ihn noch nie angesprochen.

Mit zwei gefüllten Tüten in der Hand laufe ich nach Hause.
Wie jede Woche. Den selben Tag, die selbe Uhrzeit.

Und wieder steht er da. Lässig, mit seiner Zigarette in der Hand.
Wie jede Woche. Den selben Tag, die selbe Uhrzeit.

Es scheint schon zur Routine geworden zu sein.

So laufe ich also an ihm vorbei.
Wie jede Woche. Den selben Tag, die selbe Uhrzeit.

Und doch trennen uns Meter von einander.
Die Hauptstraße zwischen uns ist nachmittags völlig überfüllt. So als würden sich die Autos, Lkws und öffentlichen Verkehrsmittel stapeln müssen, wenn nur zehn weiter dazu kommen würden.
Ist das verständlich? Ich hoffe doch.
Wenn nicht, dann halt nicht.

Das einzige was mich interessiert ist nun mal nur Levin. 
Dies ist auch der Grund warum meine wöchentliche Aufgabe nie zum langweiligen Alltag wird.

Meist frage ich Mrs Gear über ihn aus. Die alte Witwe aus dem fünfte Stock, bei welcher das Mitteilungsbedürfnis größer ist, als ihre eigentliche Körpergröße, kennt Levin und seine Eltern ziemlich gut.

Levin. Der heiße Typ, welcher langsam aus meinem Blickfeld verschwindet, da ich meinen Weg fortsetzen muss.

"Mrs Gear. Welch eine Freude sie zu sehen!"

"Ach, du bist es! Komm doch mal bitte her und hilf mir mit diesen Kartons."

Ich will ihr wirklich gerne helfen, vor allem da ich dabei mehr über Levin erfahren kann, doch muss ich erstmal die schweren Tüten loswerden, welche meine Arme herunter ziehen.
Mrs. Gear erkennt mein Problem und zeigt mir mit einem Kopfnicken, dass sie auf mich wartet.

Ich renne also in meine Wohnung, in den dritten Stock,  schmeiße die Tüten zur Tür rein und renne wieder runter.

Völlig außer Atmen bleibe ich vor der Dame stehen und stütze erstmal meine Arme auf den Knien ab.

"Hab dich doch nicht so. Du musst noch zwei Kartons hochbringen."

"Aye aye Käpten!", salutierte ich sofort fromm.

Mrs. Gear verdreht nur die Augen und nickt in Richtung Kartons.
Mit einem leichten Seufzer mache ich mich auf den Weg.

Zuerst hebe ich Karton 1 an und halte ihn auf einem Arm. Danach nehme ich Karton 2 und versuche ihn präzise auf Karton 1 abzustellen.

Mit beiden Kartons auf den Armen stelle ich mich entgegen der ersten Hürde. Die Treppen.
Die ersten Schritte laufen perfekt. Bis zum zweiten stock habe ich es geschafft.
Doch dann passiert das, was mir mit dem Wort Karma versprochen wurde. Die blöden Kartons fangen an zu wackeln. Könnte auch daran liegen, dass ich langsam das Gleichgewicht verliere, aber die Schuld gibt man immer jemand anderem, also die Kartons sind es. Karton 2 will wohl nicht mehr auf Karton 1 stehen und rutscht hin un her. Durch meine wunderbare Aura muss Karton 2 erkannt haben, dass es nichts nützt, den coolen Rebellen zu spielen und bleibt wieder ruhig.

Hürde eins habe ich, nach einige Turbulenzen, also geschafft.
Nun kommt Hürde zwei - Mrs. Gears Katzenansammlung vor ihrer Wohnungstür.
Schmusi eins, zwei, drei und vier rennen nämlich jedesmal, wenn sich jemand der Tür nähert der Person entgegen. Manchmal bilde ich mir ein, sie haben sich zu viel von Hunden abgeschaut.

Karton 2 ist von Katzen wohl nicht so begeistert und fällt natürlich sofort runter, als ich in die Wohnung trete.
Das war es dann wohl mit der Jahresration an Katzenfutter. Kaum bemerken die Viecher den Inhalt des am Boden liegenden Kartons, stürzen sie sich schon darauf.

"Ach Kindchen, mach dir nichts daraus. das Futter ist robust. Und vielen Dank für deine Hilfe. Du bist so freundlich, genau wie Levin-"

"Levin?"

"Ja Levin. Der Sohn der Hillers. Netter Junge. Er hilft mir jeden Sonntag im Haushalt."

"Wow, das ist wirklich beachtlich freundlich von ihm."

Mrs. Gear schaut gedankenverloren auf den Berg an Katzenfutter, ihren Katzenviechern und Karton 2. Karton 1 steht übrigens wohlbehalten in ihrer Küche.

"Ach Levin. Levin hat es auch nicht leicht im Leben."

Das war für mich der Zeitpunkt zu gehen. Ich mag es nicht, zu intime Sachen von Personen über wiederum andere Personen zuhören. Es geht mich schlichtweg nichts an, wenn es mir nicht von der betroffenen Person erzählt wird.

Ich überspiele also die Situation, indem ich auf meine Armbanduhr sehe und so tue, als ob ich noch was wichtiges vor hätte - wie jeder, der vor einer Situation fliehen will.

Vor Mrs. Gears Haustür stelle ich dann  fest, dass ich Levin um alles in der Welt kennen lernen will, was daran legen könnte, dass die alte Dame mich neugierig gemacht hat. Und ich frage mich, wie Katzenfutter robust sein kann.

Mit schlaffen gesenkten Armen betrete ich meine Wohnung zwei Stockwerke tiefer und lasse mich auf mein abgeranztes Sofa fallen. Die zwei Tüten von erst liegen noch an Ort und Stelle, weshalb ich mich aufraffe und sie holen gehe.

Ich öffne die eine Tüte und sofort steigt mir der wunderbare Geruch in die Nase.
Der Geruch von Gras.

Aus Seiner Linken HosentascheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt