2. Meet again

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„Hi Baby."
Sanft nimmt Jamie mich in den Arm.
„Wie war dein Flug?" 
Ich betrachte ihn. Er hat sich rasiert. Das gefällt mir gut, ich habe  ihn in letzter Zeit nur noch mit Vollbart gesehen. Jetzt sieht er jünger  aus.

„Och, der Flug ist nicht erwähnenswert", sage ich und ziehe ihn in die Küche, wo es lecker nach Essen riecht.

„Du hast gekocht?" Überrascht sehe ich ihn an.

„Ich habe es versucht. Wenn es dir nicht schmeckt, können wir auch Pizza  bestellen."
Beim Anblick des undefinierbaren Etwas, das im Topf vor  sich hin blubbert, zieht sich mein Magen zusammen.

„Nein, ich... werde es probieren."

„Schön. Und, bist du mit deinem Manuskript vorangekommen?"

Ich schüttele den Kopf. Ich bin gerade dabei, ein neues Buch zu  schreiben, doch mir sind die Ideen abhanden gekommen. Ich habe vor, über  mein Leben zu schreiben. Eigentlich war es die Idee meiner Mutter, doch  ich musste feststellen, dass es in meinem Leben nichts spannendes gibt.  Ich denke über den Flug nach. Vielleicht kann ich ja über die Begegnung  mit dem Mann, mit Mr. Kelly, schreiben. Ich könnte die Situation  ausschmücken, damit es etwas lustiger wirkt. Ich verziehe das Gesicht,  als Jamie mir etwas von seinem Gekochten auf den Teller tut. Was ist  das?

„Das sieht... lecker aus", sage ich leise und fange an, mit dem Löffel darin herumzupanschen.

„Ja, ich hoffe, so schmeckt es auch."

„Wie war dein Tag, Jamie?" Ich versuche, vom Essen abzulenken.

„Wie immer. Warum fragst du?"

Warum frage ich? Ja, das frage ich mich gerade auch. Eigentlich haben  wir uns nicht viel zu sagen, wie ich in letzter Zeit schmerzlich  feststellen musste. Deshalb bin ich immer wieder überrascht, wie sehr  ich ihn vermisse, wenn ich in England bin. Über jeden Anruf freue ich  mich wie ein kleines Kind, doch wenn wir uns gegenüber sitzen, schweigen  wir uns an.

Nach dem Essen, das ich erfolgreich gemieden habe, sage ich Jamie dass  ich müde bin und schon mal ins Bett gehe. Es ist erst Zehn, und ich weiß  dass er vor ein Uhr nicht ins Bett kommt. Ich hole meinen Laptop aus  der Tasche und schalte ihn an. Als ich meine Mails gelesen habe, öffne  ich Google und gebe „Kelly" in der Suchleiste ein. Ich bin mir so  sicher, dass ich ihn irgendwo her kenne. Ich klicke auf „suchen" und  schon kommen tausend verschiedene Ergebnisse. Ich gehe die Namen durch,  die angezeigt werden, jedoch kommt mir keiner davon bekannt vor. Hm,  vielleicht habe ich mich auch getäuscht. Ich klicke auf „Bilder" und  scrolle gelangweilt die Seite herunter, als ich an einem Bild hängen  bleibe. Der Mann, der mich darauf anlächelt, sieht genauso aus wie Mr.  Kelly aus dem Flugzeug. In der Bildunterschrift lese ich, dass er Paddy  Kelly heißt und Mitglied der Kelly Family war. Als ich das bei Wikipedia  eingebe, wird mir alles klar.

Ich war zwölf Jahre alt, als ich  mit meiner Mutter in der Londoner Tube Station Covent Garden auf  die Bahn wartete. Es war ein dunkler und regnerischer Tag und alle Leute  tummelten sich in der Tube Station, um nicht nass zu werden. In  einer Ecke standen Musiker, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich  zogen. Ich entfernte mich von meiner Mutter und ging näher heran, um  ihnen zusehen zu können. Doch als das Lied vorbei war, fingen sie an  ihre Sachen zu packen. Es waren neun Leute, ein paar von ihnen waren  noch Kinder, und ich war vollkommen fasziniert. Plötzlich kam einer der  Jungen auf mich zu und stellte sich vor mich.

„Hat es dir gefallen?", fragte er und ich nickte.
Er war hübsch, doch  mich irritierten seine langen Haare. Ich sah mich um und erst jetzt  merkte ich, dass die Station nun fast leer war, und meine Mutter war  auch nirgends zu sehen.

AmelieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt