Richard Wagners Rheingold: Der Einzug der Götter in Walhall

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Seine schwarzen, edlen Lederschuhe ließen seine schweren Schritte auf dem dunklen Laminat leiser klingen. Die Büsche in den marmornenen Vasen am Ende des Flures fügten sich geschmeidig zu den Wandteppichen und der mit Blumenmuster verzierten Tür zum Schlafzimmer. Er ging langsam darauf zu, der Moment war wichtig. Es musste alles passen. Deswegen hatte er auch gerade auf der Toilette seinen Anzug glatt gestrichen, das Einstecktuch gerichtet und die Manschetten neu geknöpft. Zufrieden mit seinem Äußeren hatte er in den Spiegel geschaut, lächelnd in freudiger Erwartung auf das, was gleich folgen würde, diesen Glanz in seinen Augen gesehen. Einen Glanz, der die Erfüllung seiner Träume versprach.

Er ging ein paar Schritte und blieb unter dem Kronleuchter stehen. Er fühlte sich wie ein König, ein König mit einer schillernden Krone über seinem Haupt. Dieser Abend war perfekt. Es hatte alles so geklappt, wie er es geplant hatte. Das Restaurant, die Kutschfahrt im Schnee, das Gläschen Wein vor dem Kamin - . Nie hätte er sich zu träumen gewagt, dass er so weit kommen würde.

Er machte die letzten Schritte bis zu der Tür. Vor dem Akazienholz blieb er stehen, atmete ein und legte eine Hand auf die gusseiserne Klinke.

Da war er!

Sein Moment!

Er drückte den Griff hinunter und die Türe schwungvoll auf. Mit großen Schritten betrat er das Schlafzimmer, während aus dem Lautsprechern, welche überall im Haus verteilt waren, die Wagneroper Rheingold: Der Einzug der Götter in Walhall seinen Auftritt musikalisch untermalte. Er summte die Takte mit, während er sich nach rechts drehte und stehen blieb.

Auf dem riesigen, mit Seidenkissen ausgelegten Bett, angekettet an die Pfosten, lagen Jonathan Weyrunt und seine Frau Maria. Blut tropfte von der Hand des Ehegatten auf seinen Kopf. Er schritt an ihn heran und betrachtete sein Werk. Die linke Hand, von der er die Haut abgezogen hatte, verschorfte bereits. Bei der Prozedur war Herr Weyrunt bedauerlicherweise ohnmächtig geworden, seine Frau allerdings wimmerte nun schon die ganze Zeit über. Liebevoll strich er mit seinem behandschuhten Finger über das nackte Fleisch. Der Ehemann kam zu sich und schrie vor Schmerzen.

"Welch' Arie Sie doch hervorzubringen vermögen, geschätzter Herr Weyrunt.", rollte sein eigener, tiefer Bariton durch den Raum. Jonathan schrie nicht mehr, er stöhnte und atmete heftig. Seine schweißnassen Haare blieben ihm im Gesicht kleben.

"Bitte, bitte, wer Sie auch sind, lassen Sie uns gehen. Was wollen Sie, Geld? Wir haben-"

"Ihr Geld interessiert mich nicht.", unterbrach er die weinende Dame. "Wenn Sie etwas Kluges damit machen wollen, dann zahlen Sie doch weiter den Unterhalt für die geschwängerte Hausdienerin, die sie gefeuert haben.", sagte er zu ihr.

"Nein, was ich möchte, ist viel einfacher. Ich möchte nur, dass sie beide mich befriedigen." Er ließ den Blick von dem Gesicht mit den angsterfüllten, grünen Augen der Rothaarigen über ihren Körper streichen, bis hin zu dem Loch in ihrer Körpermitte, wo er ihren Magen entfernt und ihn auf ihre Knie gelegt hatte. "Was machen wir denn als Nächstes?", fragte er und drehte sich um.

"NEIN, nein, bitte, lassen Sie uns gehen, was haben wir Ihnen denn angetan?", schrie die Frau. "Wir kennen Sie nicht, lassen Sie uns frei, ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen, bitte..."

Er hörte die Frau nicht mehr. Er lief auf die schwarze Sporttasche zu, die er auf das kleine Tischchen am Fenster abgelegt hatte. Nach kurzer Suche zog er eine kleine Metallbox heraus. Er drehte sich wieder um und lief auf die Frau zu. Während er an ihr vorbei ging, klopfte er im Takt der Oper mit dem Finger auf den Körper der Frau, von den Füßen über die Beine bis zu dem Loch, aus dem ihr blutender Darm hing. Bei einem Paukenschlag schob er seine Hand schlagartig in die Wunde und das schmerzerfüllte Schreien der Frau erfüllte den Raum. Er zuckte, konnte sich kaum noch halten, seine Erregung wuchs bis kurz vor der Explosion. Er zog seine Hand wieder aus ihr und lief weiter. Sie wimmerte und bebte vor Schmerz, ihr Mann zog halb bei Bewusstsein an seinen Fesseln, bei dem verzweifelten Versuch, seine Frau zu beschützen. Er ignorierte ihn und setzte sich neben sie.

Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und bei der Berührung seiner Finger erstarrte die Frau und sah ihn voller Panik an.

"Da! Das ist es! Dieser Ausdruck in Ihren Augen. Umwerfend! Monumental! Das ist es, was ich haben will!", rief er in den Raum. Voller Erregung und Glück öffnete er das Kästchen in seinen Händen und zog ein Skalpell daraus hervor. Er beugte sich über sie und setzte es an ihren Augenwinkeln an. Mit einem Ruck schob er es in ihren Schädel. Maria schrie und zappelte, vergrößerte dadurch ihre Pein jedoch nur. Er nahm das nicht auf, summte nur die quirligen Tonfolgen mit und versank ganz in seinem Tun.

Nach einer Weile konzentrierter Arbeit lag sie bewusstlos vor ihm. Er lehnte sich zurück und ließ den Behälter zuschnappen. Er hielt ihn hoch ins Licht. Zwei Paar grüne Augen sahen ihn an, mit Entsetzen graviert. Zufrieden und befreit sah er auf das blutüberströmte Gesicht. Ein Paar schiefe, blaue Augen betrachteten ihn, sahen jedoch nichts. Sie hatten nicht ganz gepasst, deswegen hatte er ein wenig fester drücken müssen, aber das machte nichts.

Er stand auf, packte den Behälter in seine Tasche und holte einen Akkubohrer heraus. Er lief zu dem Mann und kettete ihn ab. Er schleifte ihn auf einen Sessel und nagelte ihn dort fest. Der Mann schrie und erwachte aus seinem Delirium.

"Was hast du mit meiner Frau gemacht, du Bastard", brüllte er. Ihm war das egal, er schob den Sessel an das Fußende des Bettes und ging zur Kommode. Er schenkte zwei Gläser mit Whiskey ein, eines davon stellte er auf das Knie des Ehemanns. "21 Jahre alter Ardbeg von der Insel Islay in Schottland. Hat mich ein Vermögen gekostet, aber dieses besondere Ereignis verdient einen besonderen Drink." Er nahm einen tiefen Schluck und genoss den torfigen Geschmack des Alkohols. Er hörte ein Klirren und öffnete die Augen. "Ich scheiß auf den Drink, ich werde dich umbringen, du Scheißkerl", spuckte Weyrunt ihm entgegen. "Schade, dass Sie kein Genießer sind, Herr Weyrunt. Das wahre Spektakel beginnt doch erst jetzt", sagte er zu ihm, stellte das Glas ab und ging vor der Frau in die Knie.

Er betrachtete ihren wohlgeformten Hals und ihre roten Haare, welche mit dem herabfließenden Blut harmonierten und im Licht glänzten. Dann hob er den Akkubohrer, machte ihn an und schob den Einsatz in ihr Ohr. Blut und Fleisch flogen durch die Luft wie Schmetterlinge, das Knirschen des Schädelknochens, das monotone Summen des Bohrers, die Schreie des Gatten und die wimmernden Geigen mischten sich zu einem einzigen Geräusch. So muss der Himmel klingen, dachte er.

Nachdem sie tot war, und er den Bohrer gereinigt hatte, ging er auf den Mann zu. "Was glaubst du, erreichst du damit, du Hund", weinte dieser. Tränen liefen ihm über das Gesicht. "Glaube?", überlegte er. "Ich habe keinen Glauben, nur ein Vergnügen"

Damit ging er vor dem Mann in die Knie. "Wissen Sie, Herr Weyrunt, ein alter Chinese sagte einmal: Es gibt nur zwei Arten guter Menschen: Die Toten und die Ungeborenen." Mit diesen Worten stieß er dem Mann auf dem Sessel den Bohrer durch das linke Auge.

Am nächsten Tag wurden die beiden Leichen von der Haushälterin gefunden. Diese alarmierte die Polizei, welche noch monatelang an diesem Fall arbeitete. Weder waren Spuren des Täters vorhanden, noch gaben die Lilienblätter auf den Körpern Hinweise auf den Mörder des Großreedereibesitzers Jonathan Weyrunt und seiner Frau Maria. Nach zwanzig Jahren wurde der Fall als Ungelöst eingestuft und zu den Akten gelegt.

Und eine elegante Limousine hielt vor einem der teuersten Lokale der Stadt und ein gepflegter Mann im Anzug begrüßte den CEO der Zeitung und seine Geliebte.



~Aurel

Zehn?! Los geht's!Where stories live. Discover now