Abendstern

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Der Geruch angebrannter Spekulatius strömte mir in die Nase. Ich hatte den Backofen völlig vergessen, so sehr war ich in Gedanken versunken gewesen. Schleichend begab ich mich in die Küche, meine Socken schlurften über den Boden. Ich zog die Handschuhe an, die neben dem Backofen lagen und hob das Blech mit den dunkelbraunen Keksen vorsichtig aus dem Ofen. Nachdem ich es auf der Theke abgestellt hatte, warf ich die Handschuhe in die Ecke.

Eine einzelne Träne floss meine Wange hinunter, bis sie letztendlich zu Boden fiel. Seit Ewigkeiten schien nichts mehr zu funktionieren. Ich warf einen kurzen Blick aus dem Fenster, obwohl ich wusste, dass er mich nur noch trauriger machen würde. Die Bäume hingen voller grüner Blätter, so viele, dass man meinen könnte, sie würden den ganzen Baum nach unten ziehen. Die Sonne strahlte auf den Boden. Im Nachbarsgarten hörte man die Kinder, wie sie im Pool spielten. Keine einzige Schneeflocke war weit und breit zu sehen. Und das, obwohl es doch Weihnachten war. Aber so war das nun mal auf der Südhalbkugel der Erde.

Jedes Jahr zu Weihnachten kam diese Sehnsucht in mir auf. Die Sehnsucht nach Schnee, nach weißen Weihnachten, die Sehnsucht nach Zuhause. Aber ich war doch nur für ihn hierher gekommen. Nur für meine große Liebe, für die ich alles getan hätte und tun würde. Aber die Erinnerung kam immer wieder in mir hoch. Ich konnte sie nicht unterdrücken, obwohl ich es so gerne wollte.

Ich schob den Handwärmer von einer in die andere Hand und wieder zurück. Er war mittlerweile nur noch lauwarm. Und meine Hände immer noch kalt. Beim Ausatmen stieß ich kleine Wölkchen aus dem Mund. Die Kälte war bissig, aber dennoch liebte ich sie und habe sie immer geliebt. Denn solche Kälte gab es nur im Winter und der Winter war meine Lieblingsjahreszeit. Ich habe ihn mit so vielem verbunden. Schneeflocken tanzten in der Luft, bis sie langsam auf den Boden fielen, wo sie zu einer dichten Masse wurden, die knirschte, wenn ich darüber lief.

Ich ging zu dem Versteck, in dem ich meine Erinnerungen aufbewahrte. So viele Bilder, so viele Momente, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hatten und die ich nie mehr loslassen würde. Ich dachte an mein Zuhause. Ich dachte an weiße Weihnachten. Ich dachte an ihn.

Die Worte, die aus dem Hörer kamen, trafen mich direkt, unverblümt. Sie rissen mir den Boden unter den Füßen weg. In dem Moment hielten mich meine Beine nicht mehr. Doch keine Träne kam. Ich konnte nicht glauben, was mir gerade gesagt wurde. Ich konnte nicht glauben, dass das hier Wirklichkeit war. Dass er nicht mehr lebte. Sie würden mir so etwas doch nicht am Telefon sagen. Oder doch?

Ich musste an unsere erste Berührung denken. Es hatte so lange gedauert, bis wir endlich gemerkt haben, wie sehr wir uns lieben. "Abendstern". So hatte er mich immer genannt. Und ich hatte mich immer so wohl bei ihm gefühlt. Das durfte doch nicht einfach so vorbei sein!

Warum war ich eigentlich noch hier? Er war jetzt seit einem Jahr, seit letzten Weihnachten nicht mehr da. Und ich wohnte immer noch in unserem gemeinsamen Haus. So weit weg von meinem Zuhause. So weit weg vom Winter. So weit weg von meiner Familie. Hier hatte ich niemanden. Außer ihn. Ich könnte wieder zurück, mir einen Flug buchen, eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen. Vielleicht würde mir das ja bei der Entscheidung helfen. Vielleicht aber auch nicht.


Ich fühlte mich so alleingelassen.



~Sarah

Zehn?! Los geht's!Where stories live. Discover now