Als ich am Morgen die Augen aufschlug, schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass dieser verfluchte gestrige Abend nie passiert war. Die kleine weiße Tablette, zusammen mit dem Glaswasser, auf dem Silbertablett neben mir, sprachen jedoch eine ganz andere Sprache.
Ich hatte geträumt. Wir waren wie Tiefseetaucher, sanken tiefer ohne Luft und ohne die Sicherheit einer Sauerstoffflasche. Apnoetaucher nennt man Menschen, die so etwas tun. Ich nenne es verrückt, aber sag mir, wieso wolltest du tauchen? Du bist nicht verrückt. Du bist wunderschön. Und deshalb rätseln die Leute draußen vor der Tür.
Ich schließe die Augen und drifte lieber ab. Mit der Realität befasse ich mich nicht mehr, denn sie ist grausam. Wenn ich die Augen schließe, liege ich auf einer Wiese umgeben von Löwenzahn und in deinem blonden Haar steckt ein Kranz aus den gelben Blumen. Löwenmädchen. Das passt zu dir. Du lächelst, während das Yoyo in deiner Hand locker den Lauf immer wieder aufnimmt. Hoch und runter. Wie der Lauf des Lebens.
Die Leute reden. Sollen sie doch reden. Ich denke nicht darüber nach. Morgen, ja morgen würden wir dein neues Elektroauto ausführen und alle Blicke auf uns ziehen. Die Leute würden reden. Das tun sie doch immer, wenn sie uns zusammen sehen. Die Ausdrücke und Beleidigungen störten uns nie und sie werden uns nie stören. Du hattest nie Probleme damit und es machte es mir wesentlich einfacher damit klarzukommen.
In der Stadt findet derzeit der Sommerschlussverkauf statt. Vielleicht findest du ja ein schönes Kleid. Vielleicht sogar zwei. Du wirst dir einen Pack Marshmallows kaufen und dich, wenn er leer ist darüber beschweren, dass du doch eigentlich auf Diät bist und wirst lachend protestieren, dass es meine Aufgabe wäre dich davon abzuhalten. Wir werden zusammen lachen und dann wirst du zu deinem Squaredance Training fahren. Es wird wie immer sein, sobald ich die Tablette genommen habe.
"Es war ein Psychokiller. Es muss einer gewesen sein. Eine so grausame Tat. Vielleicht war es Bärbels Nachbar, der ist doch vorbestraft?"
Ich greife nach der Tablette und schlucke sie.
Draußen vernehme ich die Stimme meines Arztes. "Wie geht es ihr?"
Meine Mutter antwortet leise: "Ihr Tod brach ihr das Herz. Es zersprang in tausend Stücke. Sie hat sie wirklich geliebt."
Ich schließe die Augen und mein Löwenzahnmädchen auf der Löwenzahnwiese kehrt zurück.
~Nessa
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Zehn?! Los geht's!
Historia Corta"Die Herausforderung, die aus zehn Worten hunderte macht." Für den ein oder anderen sind zehn Worte zu wenig, um seiner kreativen Ader freien Lauf zu lassen. Doch wir packen sie und entfachen ein neues Feuer. Mit einem kleinen Satz an Worten mach...