Drachen und Kirschblüten

32 9 2
                                    


Es war eisig kalt zu dieser Jahreszeit. November, ein Monat, der jenseits von gut und böse war. Zu kalt, um als Herbst zu gelten und doch fehlte der Schnee, um ihn zum Winter zu zählen.

Ida war eine Arzthelferin, die gern mehr in ihrem Job verdienen würde. Sie las sehr gern und hatte auch einige Lieblingsspiele, aber leider war ihr Laptop für die meisten einfach zu veraltet.

Doch statt für diesen zu sparen und sich selbst etwas zu gönnen, legte sie all ihr Geld beiseite, wenn sie es erübrigen konnte.

Ihr Neffe, Lucian, wünschte sich ein ganz besonderes Spielzeug. Es war ein Drache, der bronzefarben im Sonnenlicht glänzte und doch rötlich wirkte, wenn die Nacht einzog.

Ihre Schwester, Eliza, war von ihrem Sparsinn nicht sehr begeistert. Sie reiste dafür viel zu gern. Ihr letztes Ziel war Ägypten gewesen und seither schwärmte Lucian von den Pyramiden, als wären sie die Welt.

Ihre Eltern waren schon früh gestorben und so hatte es an ihr, Ida, gelegen, ihre Schwester großzuziehen. Sie waren nur sechs Jahre auseinander, aber manchmal kamen sie ihr unendlich lang vor.

Ida zog den Kragen ihrer Jacke hoch und schnappte sich noch schnell die letzte Kirsche vom Teller in ihrer Wohnung, bevor sie die Tür hinter sich zuzog.

Sie mochte Kirschen, aber noch mehr liebte sie Kirschblüten. Manchmal träumte sie davon einen eigenen Baum zu besitzen, einfach, um ihn jederzeit betrachten zu können.

Aber ein Baum kostete Zeit, Platz und Geld. Nichts, was Ida erübrigen konnte. Bald war Dezember und sie musste schon ihr Geld zusammenkratzen, um sich eine Tanne leisten zu können.

Weihnachten. Keine Zeit, die sie wirklich mochte. Geschenke waren das einzige, was in dieser Zeit zählte und die kosteten Geld.

Natürlich war es schön, Zeit mit ihrem Neffen und ihrer Schwester zu verbringen. Aber der Frieden ihrer eigenen Wohnung war ihr in manchen Momenten doch lieber.

Hin und wieder ertappte sie sich bei dem Gedanken, einfach in einen Zug zu steigen und nicht wiederzukommen.

Irgendwo neu anzufangen.

Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht, bevor sie fest froren und setzte ihren Weg Richtung Bahnhof fort. Die Kirchturmglocken läuteten zum siebten Mal und sie sputete sich noch mehr.

Der Nebel vor ihr ähnelte eher Rauch als gefrorenem Wasser und sie atmete die bitterkalte Luft zitternd ein.

Ida musste sich beeilen, sonst kam sie zu spät zur Arbeit und das wäre keine gute Idee.

Sie brauchte das Geld, sonst wäre der Drache auf ewig ein Wunschtraum.


~Blacky

Zehn?! Los geht's!Where stories live. Discover now