Kapitel 14

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Ich wusste nicht, ob ich mich beim Anblick meines Spiegelbildes erschrecken, oder laut losweinen sollte. Meine Nase und mein Kinn waren angeschwollen über Nacht, hatten sich blau-lila verfärbt. Als ich mich um meine eigene Achse drehte, fielen mir die roten Striemen im Nacken auf, die das Wassermädchen wohl hinterlassen hatte, als sie mich in das Wasser gezogen hatte. Und auch, wenn die Schmerzen nur noch ein dumpfes, entferntes Pochen waren, fühlte ich mich schrecklich. Es lag daran, dass ich furchtbar aussah. Blass im Gesicht, tiefe Augenringe, aufgesprungene Lippen von Blut und Salzwasser. Keine Ahnung, wie ich meine Wunden verbergen sollte - denn eines war sicher: würden sie meinen Eltern auffallen, sah es schlecht für mich aus. Erstens wussten sie dann, dass ich mein dreiwöchiges Verbot gebrochen hatte und zweitens würden sie Erklärungen verlangen. Ich musste also mit allen Mitteln versuchen, nun einen Mensch aus mir zu machen, dem man nicht ansah, dass er letzte Nacht halb tot geprügelt worden war.

Ich wendete mich vom Spiegel ab, um auf die Uhr zu sehen. Halbelf! Stöhnend raufte ich mir die Haare. Ich hätte seit neun im Hotel arbeiten müssen! Sicherlich würden sie den Arrest verlängern... Ich klaubte mein weißes Kleid vom Boden, meinen Bikini, einfach irgendwas, und huschte ins Bad, wo ich den Duschhahn aufdrehte. Drei Minuten später begab ich mich unter den heißen Strahl. Es fühlte sich gut an, als das perlende Wasser das Blut und Salz von gestern Nacht davonwusch. Ich fühlte mich lebendiger, frischer. Doch als ich mich einseifte und über den dicken, blauen Fleck an meinen Rippen rubbelte, zuckte ich zusammen. Leise fluchend wusch ich den Schaum ab. Die Tritte in die Rippen hatte ich ganz vergessen! Besorgt sah ich an mir hinunter, um sicherzustellen, wieviel Wunden ich noch davongetragen hatte. Ein kleiner Kratzer am Knöchel, mehr nicht. In ein flauschiges Handtuch eingehüllt stand ich schließlich am Waschbecken, putzte mir die Zähne und föhnte meine Haare. Nachdem ich mir das Kleid übergestreift hatte, sah ich nervös auf die Uhr, deren Minutenzeiger rasend schnell über das Ziffernblatt rauschte. Inzwischen war es schon kurz vor elf, und für mich wurde es allerhöchste Eisenbahn. Mit zitternden Fingern klatschte ich mir gefühlte zwei Kilo Make-up ins Gesicht, um die lila Flecken zu verdecken. Mit Mum's getönter Creme vertuschte ich die Augenringe und trug schließlich sogar noch etwas Puder auf. Gesund wirkte ich zwar immer noch nicht, aber doch tausend mal besser als vorher. Blieben nur noch die Striemen im Nacken, für die ich wieder in mein Zimmer flitzte, um nach einem Halstuch zu suchen. In meiner Kommode wurde ich fündig und konnte mich wenig später erneut im Spiegel betrachten, um mich zufrieden zu geben. So würde ich nicht auffallen. "Holly, wo bleibst du?" Ohne zu Klopfen kam Dean in mein Zimmer gestürmt. Die Röte schoss mir ins Gesicht, als ich die Besorgnis in seinem Blick entdeckte. Und doch war ich auch enttäuscht von ihm, meinem Bruder, schließlich ließ er all das zu. Ich eilte durch das Zimmer und stopfte das verdreckte Nachthemd in den Wäschekorb. "Hab schlecht geschlafen", murmelte ich schulterzuckend, dann fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare. Natürlich entging ihm nicht, wie sehr sie zitterten, ein sicheres Zeichen für meine Nervösität. Mit verschränkten Armen baute er sich vor mir auf, seine türkis-blauen Augen blitzten. "Holly Spencer, das ist doch wohl nicht dein Ernst!" Ich blinzelte. "Was ist nicht mein Ernst?", fragte ich, gespielt dümmlich, während ich einen sehnsüchtigen Blick auf meine angelehnte Zimmertür warf und abschätzte, wie hoch meine Chancen standen, sie vor Dean zu erreichen. "Du lügst mich doch an!", brauste er. Mein Blick zur Tür wurde immer sehnsüchtiger. Wenn ich schnell genug ... sein Arm drückte mich an die Wand und nahm mir jede Fluchtmöglichkeit. "Lass mich los", zischte ich wütend. Dean pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. Seine Haare glänzten, also kam er gerade vom Surfen. "Nein", sagte er ruhig. "Dean, ich schwöre dir, wenn du mich nicht los lässt, setze ich die hier ein", sagte ich ebenso ruhig und hob meine Faust vor sein Gesicht. Was tust du denn?, schrie alles in mir, aber es war mir egal. Die Warnung des Wassermädchens nahm ich sehr ernst. Wenn ich gefährlich lebte, würde ich meinen Körper einsetzen, wie sie es riet, auch wenn es mein Bruder war, der vor mir stand. Dean kicherte amüsiert. "Machst du Witze? Erzähl mir jetzt sofort, was los ist, ich mache mir Sorgen, okay? Ich bin immerhin dein Bruder." Ich legte den Kopf schief, während ich die Faust sinken ließ. "Ich kann mit dir nicht darüber reden", gestand ich zerknirscht. Sein Blick wurde drängender. "Bitte." Wie er mich so anschaute, lieb, bärig, wie Dean eben, wenn er besorgt war, zog ich es in Erwägung, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Aber ich spürte, dass es falsch wäre. Was ich aber leider ebenfalls spürte, war, dass ich ihn nicht loswerden würde, wenn mir nicht schnell eine glaubwürdige Notlüge einfiel. "Es...", druckste ich und spielte mit dem Saum meines Kleides. "Es ist... Abigail. Ich... wir haben Streit und ich habe mir die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen und dann habe ich total verschlafen." Gott, ich war so schlecht! Dean schien es allerdings abzukaufen. Beinahe erleichtert zog er mich in eine Umarmung. Dabei schmerzte zwar mein Körper, aber ich ließ es über mich ergehen, froh, glimpflich davongekommen zu sein. "Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen", seufzte er und strich mir über den Kopf. "Keine Drogen, kein Alkohol." Ich lachte hysterisch los. Er hatte tatsächlich geglaubt, ich hätte mich mit irgendwas zugedröhnt! Die Vorstellung war so absurd und weichte so sehr von der Wahrheit ab, dass ich nicht anders konnte als erleichtert zu sein. "Wie kommst du auf Drogen?", prustete ich. Dean's harte Miene blieb ernst - ein seltener Fall. "Hast du mal in den Spiegel gesehen?" Wie er es sagte, klang es fast beleidigend. "Du siehst aus, als hättest du irgendwas genommen." Er nahm mein Gesicht sanft in seine Hände, um es genauer zu betrachten. "Dean", murmelte ich und sah zu Boden. "Deine Schminkkünste sind grottig", platzte er heraus, schüttelte aber, endlich grinsend den Kopf. Der Sarkasmus hatte ihn wieder. Ich band meine Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammen. "Witzig." Ich musste mich anstrengen, ehrlich beleidigt und nicht überglücklich zu klingen. Alles war im grünen Bereich. Keiner ahnte etwas von meinem nächtlichen Ausflug. Die Frage war nur, wie viele Lügen ich mir noch einfallen lassen musste, um sie alle von der Wahrheit abzulenken.

Königin des MeeresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt