Kapitel 2

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In meinem ganzen Leben habe ich noch nie in der Öffentlichkeit oder vor sonst jemanden geweint. Nie.

Dafür saß ich auf einem zu hohen Ross.

Wer hätte je gedacht, dass ich ausgerechnet jetzt mit den Tränen ankämpfte, als ich mit meiner Mutter mich in meinem Zimmer einschloss?

Sie drückte immer noch  meinen Arm und die Haut fing an langsam weiß zu werden. 

"Mutter, du tust mir weh", murmelte ich.

 Zuerst kam keine Reaktion. Plötzlich dreht sich meine Mutter um und ein lautes Klatschen war zu hören. Mein Gesicht war zur Seite gewendet und ich spürte einen  brennenden Schmerz auf meiner linken Wange. 

"Wie kannst du es wagen", knurrte meine Mutter. Sie entfernte sich von mir und lief nervös in meinem Zimmer umher. Ihre Hände lagen verkrampft auf dem Rücken, der Kopf senkte sich. Es herrschte eine zeitlang Stille. Mehrmals warf meine Mutter mir kurze Blicke zu und wandte dann immer wieder ihr Gesicht ab. Nach einer Zeit blieb sie abrupt stehen und sah mich mit zornigen Augen an.

"Ist dir klar, was du hättest vermasseln können?", stieß sie ausatmend hervor. 

Mit dem Kopf schüttelnd zeigte sie auf mich. 

"Wie kannst du nur? Nach all dem was dein Vater und ich für dich getan haben. Ist das dein Dank?"

 Bevor ich auch nur das Wort erheben konnte, warf sich meine Mutter auf mein Bett. Sie fragt mich mehrmals, womit sie das verdient hätte und schüttelte den Kopf. Sie sprach von meiner hochwertigen Erziehung und Bildung, den teuren Dingen, die man mir schenkte und ihre vergeudete Liebe. Sie schimpfte bis zum Ende der Welt. Und dieses existierte gar nicht. Ich ging mit meiner Hand durch mein Gesicht und seufzte. 

"Mutter, ich will das nicht."      

Sofort verstummte sie und starrte mich an. Es war still.  Sekunden vergingen. Minuten vergingen. Und dann rastete sie völlig aus.       

"Wieso musste Gott mir eine verzogene, kleine Göre schenken, ha? Wieso?"      

Ich schluckte. Wütend sprang sie vom Bett und kam mit großen Schritten auf mich zu gerannt. "Sei froh, dass ich so lange mit deiner Hochzeit gewartet habe. Sonst wärst du schon längst mit einem anderem verheiratet!", zischte sie. Langsam wurden meine Augen feucht. Ich öffnete den Mund, als es an der Tür klopfte.

"Miss Anniston? Die Gäste verabschieden sich jetzt."

 Es dauerte einen Moment, bis meine Mutter begriff, was geschah. Sie sammelte sich, atmete tief ein und aus und ging schnurstracks an mir vorbei zur Tür.  An der Schwelle sah sie zu mir herrüber.  

 "Zerstör nicht das, was dein Vater und ich uns erarbeitet haben."      

Mit einem lautem Knall beendete sie das Gesrpräch, bevor es überhaupt angefangen hatte. Es war so, als hätte meine Mutter einen inneren Monolog geführt. Benommen über die Situation, meine Situation, verharrte ich noch eine Weile auf meinem Platz. Unten hörte ich Greäusche. Ich schluckte. Die "Gäste" waren aus dem Haus getreten. Eine Welle von Erleichterung erlöste mich von meiner Starre und ließ mich zu Boden knien. Ich spürte den dicken Kloß in meinem Hals und das hitzige Brennen in meiner Brust. Hastig atmete ich nach Luft und versuchte einen klaren Verstand zu gewinnen. Ich musste versuchen nachzuvollziehen, was jetzt aus mir wurde. Was aus meiner Zukunft und meinen Leben wurde. Hatte meine Mutter wirklich vor, mich wegzugeben? An einen völlig Fremden?! Meine Hände zitterten, während ich sie knetete. Müsste ich etwa mit ihm einen Eid ableisten und in sein Haus ziehen und mit ihm in einem Bett schlafen und Kinder zeugen, so wie es jeder Frau bestimmt war? Ich schluchtze heftig. Tränen bahnten sich auf meiner Wange den schnellsten Weg frei, entlang zum kalten Fußboden.  Die letzten beiden Auffassungen waren so, als würde man mir einen Tritt in die Rippen versetzten. Ich wusste genau, was bei einer Heirat passieren würde. Diese Geschichten hörte ich doch zu oft und zu gut von jeder verheirateten Bediensteten.

 Und mir war schon klar, dass der Storch die Kinder nicht brachte.

 Oh Gott, nein.

 Bei dem Gedanken, dass ich jemanden gehören würde und nicht mir selbst, bebten meine Schultern. Das konnte nicht wahr sein. Das wollte ich nicht. Natürlich war ich dankbar für mein Leben, aber ich würde sogar an Armut sterben wollen, um dieses Schicksal zu umgehen. War ich wirklich nur ein Mittel für meine Eltern? Ein Mittel zum Zweck? Ich wusste nicht viel von den "Gästen", aber ein Blick auf deren Gaderobe und man wusste sofort in welcher Liga, diese spielten. Für meine Eltern war es ein Hauptgewinn. Aber für mich war das alles andere als ein Gewinn. Nein, es war ein Verlust. Eine Niederlage.  Galt es für meine Eltern nicht gleich? Ich schüttelte den Kopf und ein Grisnen kam über mein Gesicht. Meine Mutter hatte mir doch gerade das Gegenteil gebeichtet.                                                                                                                                          Langsam legte ich mich auf den Boden und lauschte auf. Wie ein Baby, krümmte ich meinen Rücken und zog meine Beine an mein Brustkorb ran. Stille herrschte neben meinem leisen Schluchzen. Mein Körper zitterte und mein Gesicht war mit Wasser und Rotz feucht. Meine Schultern zuckten bei jedem Atemzug und egal, wie oft ich auch versuchte mich zu beruhigen, es gelang mir nicht. Meine Lippen bebten und ich schmeckte einen metallischen Geschmack in meinem Mund. Ich blickte mich in meinem Zimmer um und blieb bei den exotischen Geschenken meines Vaters stehen. Er hatte mir andauernd viel Schmuck und Kleidung mitgebracht, wenn er von Reisen kam. Er belud mich förmlich mit Schätzen, weshalb meine Freunde immer vor Neid platzten. Sie wüssten ja gar nicht, was ich alles getan hätte, wenn ich deren Chancen, deren Möglichkeiten hätte. Nein, sie könnten sich niemals ausmalen, was ich dafür anstellen würde.

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