Talea

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»Wie ist der Geschichtstest bei dir gelaufen?«

Nachdem die schon den ganzen Morgen gefürchtete Geschichtsstunde vorbei war, musste Talea in den vierten Stock eilen, um noch pünktlich zum Chemieunterricht zu erscheinen, während Cara im selben Klassenzimmer einen Kurs in Mathe hatte. Dadurch hatten sie bisher noch keine Gelegenheit gehabt, um sich über die jüngsten Schulereignisse zu unterhalten.

Wie so oft nach der Schule machten Talea und Cara vor dem Heimweg noch einen kleinen Umweg zu ihrer Lieblingskonditorei in Nieves, die köstlichen Baumkuchen und anderes süßes Gebäck zu kleinen Preisen anbot. Da sie inzwischen sowas wie Stammgäste geworden waren und die Besitzerin der Konditorei gut kannten, bekamen sie häufig kleine Süßspeisen geschenkt. Etwas, was Talea nach den Strapazen des Tages gut gebrauchen konnte.

»Wie erwartet grottig«, seufzte sie und kickte genervt einen Kieselstein, der sich vor ihr auf dem Boden befand, zur Seite. »Die drei Phasen der französischen Revolution konnte ich mir noch irgendwie zusammenreimen. Danach hat sich mein Gehirn aber komplett in den Standby-Modus versetzt. Mir ist absolut nichts mehr eingefallen.«

»Frag mich mal.« Cara stoppte den rollenden Kieselstein mit einem Fuß und beförderte ihn auf die linke Straßenhälfte. »Ist ziemlich mies gelaufen bei mir. Und ich habe keine Ausrede wie du mit den Schlafproblemen und wiederkehrenden Alptraumfiguren.«

»Die kannst du liebend gerne haben. Meinetwegen gleich auf der Stelle, mit Kusshand, Geschenkband und allem Drum und Dran«, entgegnete Talea und hielt Cara eine unsichtbare, mit den Händen geformte Box hin.

Cara schob ihre Hand zurück. »Vielleicht verzichte ich doch lieber. Aber danke für das Angebot.«

Wie als ob ihr in dem Moment etwas furchtbar brisantes eingefallen wäre, machte sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht bemerkbar. »Themenwechsel! Der Neue im Kunstkunst, dieser Liam, findest du ihn nicht auch ultraheiß?«

Talea verdrehte die Augen. Wenn sie über eine Person nicht reden wollte, dann war es dieser Neuling Liam. Sie wusste nicht warum, aber aus einem unerfindlichen Grund war er ihr von Anfang an suspekt gewesen. Dabei war sie kein Mensch, der das Buch nach seinem Einband beurteilte oder sich von ersten Eindrücken leiten ließ. Doch die Art, wie er zu dem freien Platz neben ihr geschlendert kam und sie kurz gemustert hatte, die wenigen Worte die sie nach dem Unterricht ausgetauscht hatten, seine kühle und ernste Ausstrahlung. All das löste in ihr ein unangenehmes Frösteln aus. Hinzu kam sein merkwürdiger, erdiger Duft, welcher Emotionen in ihr hervorrief, die sie nicht einordnen konnte.

Im Gegensatz zu Talea schien Cara jedoch begeistert von ihm zu sein, dabei hatte sie noch den ganzen Morgen unentwegt von Channing Tatum-Josh geschwärmt.

»Komm schon, du kannst nicht verleugnen, dass er unglaublich gut aussieht.« Das verschmitzte Grinsen von Cara wurde noch eine Spur breiter.

Nein, das konnte Talea wahrlich nicht. Auch wenn sie ihn bisher kaum angeschaut hatte, war ihr direkt seine Attraktivität aufgefallen. Er war recht groß und gut trainiert, was man auch unter seinem schwarzen Kapuzenpullover und der Lederjacke, die er durchweg im Unterricht anbehalten hatte, erkennen konnte. Dennoch war er schlank und wirkte mehr athletisch als muskulös. Seine braunen Haare waren etwas länger und zusammengebunden gewesen und seine Augen besaßen eine intensive grüne Farbe. Als besonders auffällig empfand sie sein markantes, hartes Gesicht, welches völlig frei war von prägenden Lebensspuren. Aalglatt und nichtssagend.

»So eine Person gehört mehr in ein Museum oder in eine Frauenzeitschrift, als in die Schule«, sprach Talea ihre Gedanken laut aus und hätte sie am liebsten direkt wieder zurückgenommen, denn nun kam Cara so richtig in Fahrt.

Seelenjagd | #IceSplinters18| #bookawardflWo Geschichten leben. Entdecke jetzt