Es war der zweite Schultag, als es plötzlich an der Tür des Klassenzimmers klopfte und das Apfelmädchen hereintrat.
Im Gegensatz zu gestern trug sie heute eine enge, helle Jeans und ein Sweatshirt, die ihre schlanke Figur betonten. Sie war fast schon dürr, ihre Beine waren nur etwas dicker als die Arme eines Erwachsenen.
Auf die Frage des Lehrers, wo sie gestern geblieben sei, folgte eine Entschuldigung und die Erklärung, sie sei krank gewesen. Nach einem Nicken seinerseits ließ sie sich auf einem freien Platz in der letzten Reihe, direkt hinter mir, nieder und blieb für den Rest des Tages still.
Ein Mal drehte ich mich zu ihr um und sah, wie sie auf ihren Block kritzelte. Sie war begabt, das erkannte man sofort, und ich hätte ihr gerne mein Lob ausgesprochen, doch sie wusste sicherlich selber, wie gut sie im Zeichnen war.
Auf den Hofpausen stand sie wieder abgegrenzt unter dem Apfelbaum. Meine Mitschüler schienen sie zu ignorieren, als hätten sie gar nicht mitbekommen, dass sie überhaupt existierte und nun ein Teil unserer Klasse war.
Als es zum Unterrichtsschluss klingelte, stürmte sie sofort aus dem Raum. Ich wartete auf meine Freunde und verließ mit ihnen zusammen das Gebäude.
Ich dachte das Apfelmädchen wäre schon längst zu Hause, doch da entdeckte ich zwischen den vielen Köpfen der Leute, die den Heimweg antraten, ihren roten Schopf.
Und sie pflückte sich einen Apfel und ging.
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Apfelmädchen
Short StorySie pflückte sich einen Apfel und ging. Das tat sie jeden Tag. Jeden, bis auf den letzten. - 2. Teil: "Birnenjunge" - {#22 in Kurzgeschichten; 05.04.18}