Es war der siebte Stock, auf dem ich durch Zufall dem Apfelmädchen begegnete. Der siebte Stock des Krankenhauses, in dem mein Onkel, der eine neue Leber bekommen hatte, von mir besucht werden würde.
Ich hatte mich auf den Weg in sein Zimmer gemacht, als ich plötzlich innehielt, da ich die Stimme des Apfelmädchens vernahm. Sie kam aus dem Raum links von mir, dessen Tür einen Spalt breit geöffnet war. Vorsichtig blickte ich ins Zimmer und entdeckte sie auf der Bettkante sitzend, die Hand einer Frau in der einen, und einen roten Apfel in der anderen Hand haltend.
»Ich habe dir wieder dein Lieblingsobst mitgebracht, Mama. Es steht für die Quelle der Kraft, und diese kannst du jetzt doch so gut gebrauchen. Bitte werde wieder gesund, wir brauchen dich. Papa hat letztens herausgefunden, dass ich statt zu arbeiten in die Schule gegangen bin. Er wurde so wütend…« Kamen daher etwa die Verletzungen in ihrem Gesicht? War sie deshalb so selten in der Schule?
»Ich weiß, wir brauchen das Geld, aber ich brauche doch auch einen Abschluss.« Das Apfelmädchen streichelte den Kopf ihrer Mutter, deren Augen geschlossen waren. »Ich weiß nicht mehr weiter. Du musst aufwachen, Mama, sonst schlafen wir auch bald auf ewig ein.«
Meine Augen weiteten sich. Was hatte sie damit gemeint? Ich musste unbedingt im Gang auf sie warten. Doch da kam plötzlich eine Krankenschwester und fragte mich, ob ich nicht in den Raum gehen wollte. Verwirrt spielte ich ihr vor, dass ich mich in der Zimmernummer geirrt hatte und begab mich schnellen Schrittes zu meinem Onkel.
Doch meine Gedanken galten nur noch dem Apfelmädchen. Während ich mich mit meinem Onkel unterhielt, ihm gute Besserung wünschte, nochmal durch den Türspalt bei der Mutter des Apfelmädchens vorbeischaute, deren Tochter schon gegangen war, als ich am nächsten Tag zur Schule ging, mit ihr den ganzen Tag in der Klasse saß und überlegte, wie ich sie auf das Gesehene ansprechen sollte.
Während ich in Gedanken versunken war, vergaß ich total, sie anzusprechen und erst als es zum Unterrichtsschluss klingelte, fiel mir auf, dass es schon zu spät war.
Hastig folgte ich dem Apfelmädchen aus der Schule, darauf bedacht, gleich mit ihr zu reden, als mich meine Freunde plötzlich aufhielten.
»Wir wollten gleich zu mir gehen und ein bisschen zocken, hast du Lust?«, wurde ich gefragt.
»Mit dir macht es gleich doppelt so viel Spaß, komm schon«, wurde ich aufgefordert.
»Wenn du nicht dabei bist, ist es nicht das Gleiche«, wurde ich beeinflusst.
Ich könnte das Apfelmädchen immer noch morgen ansprechen, dachte ich mir, als ich nickend zusagte.
Und sie pflückte sich einen Apfel und ging.
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Apfelmädchen
Short StorySie pflückte sich einen Apfel und ging. Das tat sie jeden Tag. Jeden, bis auf den letzten. - 2. Teil: "Birnenjunge" - {#22 in Kurzgeschichten; 05.04.18}