Kapitel 14

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❝There's bravery in being soft.❞

Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß und einfach weinte. Doch irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und sah nach oben. Es war Adria. »Es tut mir so unendlich leid«, sagte sie und klang tief berührt. Ich wusste, sie würde es rückgängig machen, wenn sie könnte. Doch ich musste es akzeptieren. Justin, mein Ehemann, war tot und ich würde es niemals ändern können. 

»Es ist nicht deine Schuld«, sagte ich leise. »Sondern Dacios.« Ich konnte ihr nicht die Schuld daran geben. Auch wenn ein Teil von mir wusste, dass man alles hätte verhindern können, wenn sie eher etwas gesagt hätte. Oder Sasha. Aber das hatte nichts mit Justins Tod zutun. Den hatte alleine Dacio zu verschulden.

Ich krabbelte zu Justins Leiche. Er fühlte sich an wie immer, als ich seine Hand nahm. Nur würde er meinen Griff nicht erwidern. Ich schloss die Augen. Er würde Sydney niemals aufwachsen sehen. Nie mitbekommen, wie sie Probleme mit Jungs hat, oder Streit mit ihren Freundinnen. Das alles wird ihm verwehrt. 

Und Sydney hatte ihren Vater verloren. Sie wusste, dass er nicht ihr biologischer Vater war. Doch das hatte nie eine Rolle gespielt. Er war für sie ein Vorbild, das nun aus ihrem Leben gerissen wurde. So abrupt. Sie konnte sich nicht einmal verabschieden. 

»Du weißt, ich kann ihn dir nicht wieder zurückbringen«, sagte sie und man konnte hören, wie gern sie es machen würde. »Aber ich kann deinen Freund wieder in einen Vampir verwandeln.« Ich sah auf. Sam. Sie sprach von Samuel. Er war am Leben. Ich wusste nicht, weshalb, doch als ich das realisierte, stand ich mit wackeligen Beinen auf und lief zu ihm. Nicht einmal seine Reaktion wartete ich ab, als ich ihn dann umarmte und an mich drückte. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit gingen wir zurück zum Bunker. Ich wusste nicht, wer Justin trug. Doch als wir ankamen, schloss ich Sydney direkt in die Arme. Sie begann zu weinen, als ich ihr das von ihrem Vater erzählte. Doch sie verdiente die Wahrheit, was das anging. Ich bekam nicht mit, was um mich herum geschah und mir war es in dem Moment auch herzlich egal.

* * *

Ich erinnerte mich nur noch wage an diesen Tag. Und das, obwohl erst zwei Tage vergangen waren. Wir hatten ihn bei Jorge beerdigt, denn wir wollten ihn nicht nach New York fliegen lassen. Dort würden wir nur ein Grabstein für ihn aufstellen. So hatten wir einen Ort zum Trauern. 

Die Beerdigung verlief anders als bei Jorge. Jeder sagte etwas. Selbst Sasha. Vermutlich für Sydney. Sie sollte nicht wissen, dass Sasha ihn nie wirklich gemocht hat. Doch sie brauchte Sasha jetzt mehr denn je. Ich hoffe, er wusste das. 

Samuel war auch hier. Mittlerweile war er wieder ein Vampir und recht glücklich darüber, nahm ich an. Er nahm mich in den Arm, was sogar für ihn als Vampir etwas neues war. Vor mir stand Sydney. Sie hielt meine Hand und war tapfer.

Zurück in der Wohnung saßen wir alle beisammen. Mary und ich auf dem Sofa. Sydney auf meinem Schoß. Arizona gab Adria die Schuld daran. Doch ich wusste, sie tat das nur, weil sie sauer und traurig war. Dann war es leicht, die Schuld bei anderen zu suchen.

»Bitte sei still, Arizona«, sagte ich und sah zu ihr. »Aber es ist doch wahr«, kam es von Riley. »Es war ihr Kampf, nicht unserer.« Jeder hier wusste wie falsch dieses Argument war. Das betraf nicht nur Adria. 

»Unsere Freunde«, sagte Mary dann. Sie meinte Samuel und Hunter. Vermutlich auch Xenia, der wir nicht begegnet waren. »Litten unter einer Gehirnwäsche. Es war unser Kampf.« Und sie starben, damit der Rest der Welt leben konnte. Ihr Tod war nicht umsonst. Mit den Regierungen ließ sich nun tatsächlich verhandeln. Wir hatten uns darauf geeinigt, mit Hilfe von Hexen die Menschen vergessen zu lassen. Nur die Regierungen sollten weiterhin bescheid wissen, um so etwas zukünftig zu verhindern. Die übernatürlichen Räte würden bald in Kraft treten. 

»Es tut mir leid«, meinte Adria und stand auf. »Ich sollte gehen.« Doch ich hielt sie fest und schüttelte den Kopf. »Du musst in den amerikanischen Rat.« Sie seufzte und sah sich um. Adria wollte es abstreiten, doch ich kam ihr zuvor. 

»Du schuldest es den Toten.« Jetzt schwieg sie und sah mich nur an. Mary erzählte, dass auch sie für die Vampire im Rat sitzen würde. Genauso wie Arizona für die Hexen und Riley für die Jäger. Erst dachten wir, es könnte vielleicht Ärger geben. 

Doch die Wesen vertrauten uns, denn wir hatten sie gerettet. Also würden sie es uns durchgehen lassen. Und sie würden ja nicht ewig im Amt sein. Irgendwann würde gewechselt werden. Cress müssten wir allerdings noch überzeugen. Bei Meerjungfrauen würde ich nicht jedem vertrauen. Und so ging es vielen. 

* * *

Wir blieben noch einige Tage, um uns von allen verabschieden zu können. Chloe und Caroline würden hier in Europa bleiben. Vielleicht würden sie sich sogar im Rat betätigen. Auch von Smith verabschiedeten wir uns. Er hatte keine Ahnung, wie dankbar ich ihm für alles war. Er hatte uns mehr geholfen, als er vielleicht glaubt. 

Und dann flogen wir zurück nach New York, wo wir am JFK Flughafen landeten. Es war seltsam, ohne Justin in unsere gemeinsame Wohnung zu gehen. Die letzten Jahre hatte ich ihn immer an meiner Seite gehabt, und jetzt würde er nie wieder hier sein oder neben mir liegen, wenn ich aufwache. 

Sasha begleitete uns. Und auch Samuel würde hier übernachten, bis er etwas eigenes hatte. Also war es nicht allzu einsam. Doch sie waren für Sydney oder mich kein Ersatz was Justin anging. Ihn konnte man nicht ersetzen. Vielleicht verliebe ich mich irgendwann. Aber es wird nicht das gleiche sein. 

Wir beschlossen, uns alle am Abend zum Grillen am See zu treffen. Alle waren eingeladen. Und so stand ich dort um sechs Uhr Abends und sah auf den See hinaus, als mich plötzlich jemand antippte. Es war Cole. Ihn hatten wir eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Er lächelte. 

»Du hast ihn zurückgebracht«, sagte er und ich nickte. Er meinte Samuel. Natürlich. Sie waren befreundet und ich glaube, Cole wird froh sein, die Geschäfte wieder Samuel zu überlassen. Ganz glücklich wirkte er nämlich nie. 

»Wenigstens einen«, antwortete ich. Er schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. Dann sah ich, wie jemand aus dem See kam. Das blonde Haar würde ich überall wieder erkennen. Es war Cress. Sie kam auf mich zu und blieb stehen. 

Ihr hatten wir es noch nicht gesagt. Sie sah sich um und schien zu begreifen. Dann wurde ihr Blick traurig. »Es tut mir so leid«, sagte sie und ich wusste wie sehr es sie quälte, dass sie mich nicht umarmen konnte. Ich nickte nur. Nun verstand ich, dass das niemand hören wollte. Dadurch wurde man ständig an den Verlust erinnert. 

Ich sah zu Sasha, der gerade mit Sydney spielte. Er lenkte sie ab und darüber war ich froh, denn ich wusste nicht, ob ich das zur Zeit genauso gut können würde. Noch nicht. Es war einfach so frisch. Als Arizona mich fragte, ob er bleiben würde, nickte ich. 

»Sie braucht ihn«, meinte ich. »Und du hast Sam«, sagte sie dann. Ich nickte. Ja, ich hatte Samuel und dafür war ich dankbar. Doch sofort sagte sie, ich solle sie anrufen, wenn etwas sei. Genauso wie Mary, die genau neben ihr stand.

»Wir sind ein Team. Nicht einmal der Tod wird uns trennen«, beendete Arizona ihre kleine Rede. Das ließ Mary leicht lachen, während sie mir ein Glas Sekt reichte. »Damit könntest du sogar recht haben.« Auch ich musste schmunzeln.

»Auf dass wir uns eines Tages in der Hölle sehen«, sagte ich. Mit diesem Satz stießen wir an, bevor wir tranken. Ja, in der Hölle würden wir uns alle irgendwann wiedersehen. Das gab mir einen kleinen Funken Hoffnung, denn auch als Unsterbliche würden wir nicht ewig leben. 

dark end ➹ j.b ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt