Kapitel 6

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❝Just because we do bad things does not mean we are bad people.❞

Eine halbe Ewigkeit war vergangen, seitdem sie Jorge geholt haben. Und jede Minute rechnete ich damit, dass sie meinetwegen kommen würden. Doch nichts geschah. Die Minuten verstrichen und wir saßen einfach nur da. Sydney hatte sich mittlerweile beruhigt und ich wusste, dass sie sauer war. Sie hatte zwar Respekt vor Jorge, doch er war für sie, genauso wie Mary, ein Teil der Familie. 

Dann endlich ging die Tür auf. Sie brachten Jorge herein. Er sah schrecklich aus. Überall waren Wunden, die bereits dabei waren, zu verheilen. Sie legten ihm wieder die Ketten an und verließen den Raum. Erleichtert darüber atmete ich aus.

Eine Weile sah ich Jorge nur an. »Warum hast du das getan? Sie hätten dich in Ruhe gelassen«, sagte ich dann, denn ich konnte es nicht verstehen. Jorge hatte uns immer geholfen, ja. Doch er hat nur selten das Leben für uns riskiert. Lieber hielt er sich versteckt, was man damals beim Kampf gegen Sasha sehen konnte. 

Er sah nun zu mir. Noch immer schien er Schmerzen zu haben. »Sie ist ein Kind und diese Dämonen haben kein Erbarmen. Selbst ich hatte mir selbst immer Regeln aufgestellt. Keine Kinder. Niemals. Ich hätte es nicht zulassen können«, erklärte er und wären wir nicht angekettet, dann hätte ich ihn jetzt dankbar umarmt. Niemals würde ich ihm das vergessen. Man konnte über ihn denken was man wollte, doch er hatte recht; er war kein seelenloses Monster. 

Im Gegensatz zu diesen Dämonen. Sie wollten ein Kind foltern. Wie skrupellos musste man sein, wenn man Kindern wehtun kann? Selbst Sasha hatte sich damals immer von Sydney ferngehalten und nicht einmal versucht, ihr wehzutun. Genauso wie Samuel, als er zu einem Dämon wurde. 

Am liebsten würde ich weiter darüber grübeln. Oder sie töten. Doch keins der beiden Dinge konnte ich tun, denn die Tür öffnete sich erneut. Dieses mal waren es jedoch nicht die beiden Dämonen. Nein, es war ein anderer, mir sehr bekannter, Dämon. Und ich war sauer.

Sasha schloss die Tür und trat näher. »Du elender Mistkerl wusstest, dass die Dämonen den Menschen helfen«, schlussfolgerte ich. Er nickte. »Ertappt«, entgegnete er nur und ging zu Sydney. Was wollte er von ihr? Wieso war er hier?

»Und du hilfst ihnen? Ich dachte, an der Verbindung mit Sydney liegt dir etwas«, sagte ich und meinte es ernst. In den letzten Jahren sah es so aus, als würde ihm wirklich etwas an ihr liegen. Und dass sie ihn mochte war ebenfalls nicht zu übersehen. 

Ich hörte ein Seufzen von Jorge. »Du lernst nie dazu, oder Kayleight?«, wollte er wissen und schien, im Gegensatz zu mir, gelassen zu sein. Er machte sich keine Sorgen darüber, was als nächstes geschehen würde. 

Sasha hockte sich derweil zu Sydney und begann ihre Ketten zu lösen. »Ich spiele gern Spielchen, Kayleight. Eigentlich wollte ich mich raushalten. Euch nichts sagen und ihnen nicht helfen«, erklärte er und half Sydney beim Aufstehen. 

»Aber man kann nicht neutral bleiben und als sie Sydney mitgenommen haben,  haben sie eine Grenze überschritten.« Während er das sagte, löste er auch die Ketten von mir und dann von Jorge. Ich umarmte Sydney erleichtert und froh zugleich, denn Sasha hatte wieder einmal bewiesen, was Hunter uns damals erklärt hat; seelenlos bedeutet nicht, dass man ein Monster sein muss. 

»Hätte nie gedacht, dass ich mich mal freuen würde, dich zu sehen«, sagte Jorge als er sich die Hände rieb. Seine Wunden schienen mittlerweile komplett verheilt zu sein. Er war kampfbereit und wütend. Genauso wie ich. Niemand in diesem Gebäude würde das überleben. 

Dann gingen wir gemeinsam raus. In dem Gebäude trafen wir niemanden an, was wohl deren Glück war, denn zimperlich wäre ich nicht gewesen. Es dauerte nicht lange und wir erreichten den Ausgang. Ich hielt Sydneys Hand, während wir hinausgingen. Wen wir dort antrafen, überraschte mich allerdings; Adria. 

»Jemand hat Fluchthilfe bestellt«, sagte sie, während sie ein Schwert zog. Sie war hier, um uns zu helfen? Woher wusste sie davon? Oder hatte sie das in der Hölle mitbekommen? Doch als Sasha sich für ihr kommen bedankte, wurde schnell deutlich, dass er sie hergeholt hat. 

Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir sie nach der wagen Warnung nie wieder sehen würden. Gleichzeitig wurde ich daran erinnert, dass wir auf sie hätten hören sollen, denn dann hätten wir Dinge verhindern können.

Wir kamen nicht einmal dazu, zu reden, da rückten schon Soldaten an. Alle mit Gewehren bewaffnet, die sie auf uns richteten. Sofort stellte ich mich vor meine Tochter. Adria hielt das Schwert vor sich, bereit zum Angriff. Doch selbst sie musste wissen, dass das zu viele für uns waren. Wir hatten keine Chance. 

»Das ist der Beweis; ihr seid gefährlich«, sagte ein Mann in Uniform, die der von Smith glich. Nur war er nicht wie er. Nein, er glaubte scheinbar an das Gesetz. Plötzlich hörte man ein weiteres Gewehr laden. Ich sah in die Richtung. Es waren Smith und seine Leute. 

»Sind sie nicht«, entgegnete er und verteidigte uns damit. Hatte Sasha ihm Bescheid gegeben, als er uns suchen kam. Ob die anderen auch hier waren? Vielleicht versteckt in der Nähe, um eingreifen zu können.

»Wir sind gefährlich?«, wollte ich wissen. »Sie arbeiten mit Dämonen zusammen. Die werden sie töten, wenn alles vorbei ist.« Das war nicht nur eine Sache, die möglich war. Nein, so würde es kommen. Die Dämonen verfolgten ihr eigenes Ziel. Menschen mögen dabei vielleicht hilfreich sein. Doch niemals würden sie sich ihnen unterwerfen. 

Ich sah zu Sasha. Er grinste kalt. »Das Bedürfnis habe ich schon jetzt«, meinte er zu dem, was ich so eben gesagt habe. Er bestätigte aber, indem er das nicht verneinte, meine Befürchtungen. Und das gefiel mir nicht.

»Sie hätten einem Kind wehgetan. Uns sehen Sie sich an, was Sie mit Jorge getan haben«, sagte ich, nun deutlich sauer. Den Mann schien das nicht zu interessieren. Er zuckte nur mit den Schultern. »Das waren die Dämonen«, meinte er nur. Doch er fügte noch hinzu, dass er gern dabei gewesen wäre und das war krank. Für ihn gab es keine Hoffnung mehr. 

Gerade wollte ich etwas dagegen sagen, doch Adria begann zu sprechen. »Sie und alle, die ihnen helfen, sind eine Schande für die Menschheit und für die Dämonen«, sagte sie und sah ihn kalt an. Sie musste Hass verspüren, was ich nicht verstand. Dämonen konnten, um es genau zu nehmen, eigentlich nicht hassen, auch wenn man sie durchaus reizen konnte. 

»Selbst Luzifer hatte so viel Achtung und hat sich immer von Kindern ferngehalten«, beendete sie ihre kurze Redeeinheit. Es klang fast so, als glaubte sie nicht wirklich, dass Luzifer involviert ist, doch das war eigentlich so gut wie unmöglich, wenn man bedenkt, dass fast jeder Dämon zu helfen scheint. 

Der Mann sah sie kurz an und musterte Adria, bevor er wieder zu mir sah. »Sie arbeiten auch mit Dämonen«, entgegnete er. Und recht hatte er. Wie konnte ich etwas anklagen, was ich selbst tat? Doch das war etwas anderes. 

Sasha war Sasha. Ja, er hat uns angegriffen und irgendwie ist er Schuld an Samuels Tod. Doch er ist regional geblieben und hat den Kampf nicht auf Menschen ausgeweitet. Er tat es, um Luzifer zu provozieren. Sasha mag gefährlich sein, aber nur, wenn man es darauf anlegt, so wie wir es taten. 

»Eher würde ich sterben, als diesem Größenwahn zu folgen«, sagte Adria. »Auch ich habe meinen Stolz.« Dass sie den hatte, wusste ich bereits. Sie wirkte auch nicht wie jemand, der sich einschüchtern ließ. 

Doch ich hätte nie erwartet, dass sie uns zur Hilfe eilt. Auch bei unseren letzten Problemen hatte sie sich immer gekonnt herausgehalten und uns vorgeschlagen, das gleiche zu tun. Sie hatte uns sogar den Zugang zu dem Club verwehrt, in dem sie arbeitete. 

»Die zwei sind also so anders?«, wollte der Mann wissen. »Nein«, entgegnete ich und meinte es ehrlich. »Aber im Gegensatz zu ihren Haustieren würden sie niemals einen Unschuldigen verletzen.« Diese Sache war aus der Luft gezogen, das weiß ich. Sasha hatte es bereits getan und wer weiß, was Adria sich bereits hatte zu Schulden kommen lassen. 

Doch sie hatten sich beide dazu entschieden, den Menschen nicht zu helfen und das musste doch etwas bedeuten, oder etwa nicht? Dabei waren ihre Motive egal. Die Hauptsache war, dass sie uns halfen. Und genau das taten sie.

dark end ➹ j.b ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt