Kapitel 1 - Der Brief

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Lautlos kam Maila auf dem verschneiten Dach auf und streifte ihre Kapuze, verborgen in der Dunkelheit der Nacht, nach hinten. Dicke Schneeflocken wirbelten durch die Luft und Nebelwolken bildeten sich bei jedem Atemzug. Unter ihr wurden die Wege von mehreren Fackeln erleuchtet. Schatten wanderten über die Hauswände, hinter denen die Beschützer bereits schliefen. Hier oben auf den Dächern allerdings war es dunkel, selbst der Mond hatte sich hinter den Schneewolken versteckt.

Sie wandte sich nach links und wank ihren zwei Begleitern, die bereits einige Häuser weiter standen, zum Abschied zu, bevor sie sich ihren eigenen Weg nach Hause suchten. Jeden zweiten Abend trafen sie sich, um gemeinsam im Wald zu trainieren. Jeden zweiten Abend kletterte sie über die Dächer der Siedlung nach Hause, bevor sie durch das Fenster in ihr Zimmer zurück sprang. Es war wie zur Tradition zwischen ihren Freunden geworden, schließlich standen bald die Beschützerprüfungen an.

Maila lief weiter durch den Schnee, in Gedanken immer noch bei den Prüfungen, die die Ausbildung offiziell beenden und den Rang des Beschützers des Flügels verleihen würden. Jedoch spielte das für sie keine Rolle, da sie selbst bereits ihren Titel erhalten hatte, als sie damals auf die Insel gekommen und von ihrer Mutter aufgenommen worden war.

Gerade als sie wieder zu diesem, von ihr so oft durchdachten Thema kam, erreichte sie ihr eigenes Haus und machte sich daran ihre Fensterluke zu öffnen, als sie Stimmen von unten hörte. Durch das Wirbeln der Schneeflocken drangen leise Worte zu ihr durch.

"Ist sie noch immer nicht zurück?" Das war die Stimme ihres Vaters. Vorsichtig lief sie näher zum Rand und erkannte tatsächlich den roten Haarschopf von Dagur, sowie die blonden Haare ihrer Mutter und Königin - Mala. Diese hatte ihren gemeinsamen Sohn, Mailas Bruder Flynn, auf dem Arm und reichte ihrem Mann einen Beutel, den er wiederum auf seinem Drachen Schnüffler festband.

"Nein, sie ist bestimmt trainieren, wie immer", erklärte ihre Mutter sanft und Maila grinste. Sie hatte sie schon immer sehr locker erzogen, auch wenn sie die Prinzessin der Beschützer war. Als Mala sie vor etwa 16 Jahren gerettet und bei sich aufgenommen hatte, hatte noch niemand geahnt, dass sie Dagur heiraten und einen leiblichen Sohn haben würde. Und nun war sie, als adoptierte Tochter, zur Thornnachfolgerin bestimmt worden, auch wenn sie sich mit Flynn arrangieren müsste, wenn er alt genug war.

Sie riss sich von ihren Gedanken los und folgte dem Gespräch, indem Dagur sich um ihre Gesundheit angesichts des Schneefalls sorgte, ihre Mutter ihn besänftigte und schließlich eine gute Reise wünschte. Vermutlich würde er wieder zu den Berserkern aufbrechen. Maila überlegte kurz noch hinunter zu laufen, allerdings war er immer innerhalb von drei bis fünf Tagen zurück. Manchmal brachte er seine Schwester Heidrun mit sich, manchmal einen der Reiter. Es war ihr so selbstverständlich geworden, wie die drei nächtlichen Trainingseinheiten in der Woche, die vielen Drachen, die sich in der Siedlung aufhielten oder ihrem Rang als Prinzessin. Sie war hier aufgewachsen, kannte nichts anders, weder ihre Familie noch Vorgeschichte. Und sie mochte es so, sie liebte ihr Leben und war zufrieden wie es war. Noch ahnte sie nicht, was auf sie zukam.

Somit wünschte sie ihrem Vater nur gedanklich eine gute Reise und kehrte gut gelaunt, doch erschöpft in ihr Bett zurück.

~*~

Als sie sich am nächsten Morgen ihre wuscheligen, brauen Haare zusammenband hatte das wilde Schneetreiben bereits aufgehört, die gefallenen Schneemassen glitzerten friedlich in der morgendlichen Sonne und ein kühler Wind wehte über die Siedlung.

Passiv räumte sie ihr Übungsschwert auf und ordnete ihr Bett. Schon immer war sie ein ordentlicher, organisierter Mensch, die bemalten Schilde an den Wänden, Kisten und Töpfe in den Regalen und Schriften und Zeichnungen auf ihrem Tisch, alles hatte seinen festen Platz. Es machte den Raum größer, gab ihr sprichwörtlich mehr Freiraum, wenn sie nachdenklich auf das Meer hinaussah.

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