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Ein kurzer Besuch bei Mrs. Rowling, an die uns Riley Bentlay verwiesen hatte, erbrachte die Auskunft, dass sie und die kleine Lilith Mrs. McMurphy am Mittwochabend in ihrem Heim getroffen hätten. Das Dinner wäre gegen neunzehn Uhr aufgetragen worden und ihr sei nichts Verdächtiges aufgefallen. Im Gegenteil, es sei ein gemütlicher Abend zu dritt gewesen, sie hätten geplaudert, Karten gespielt und die Enkeltochter hätte zum Vergnügen aller, voller Stolz ihre, auf dem Mädcheninternat erlangten, Flechtkünste demonstriert. Zu ihrem Erzürnen, aber nicht dem der gutmütigen Mildred, geschah dies an dem neuen Schal, den sie zusammen mit dem passenden Mantel bei ihrem letzten gemeinsamen Einkaufsbummel erstanden hatte, wie man uns sagte.
Leider sei durch eine kleine Unaufmerksamkeit die Vase umgefallen und das Wasser hätte die Fransen etwas verfilzt. Meine Frage, ob die Vermisste erwähnt hätte, an besagtem Tag noch andere Verpflichtungen zu haben, wurde verneint. Mrs. McMurphy hätte sich diesbezüglich nicht geäußert oder es sei in Vergessenheit geraten.
So zogen wir weiter, ließen die Dame in ihrem Hauch von Rosenwasser mit ihrer Unsicherheit, die ihr deutlich zu Gesicht gestanden hatte, zurück, um auch noch den Fahrer aus dem Atelier ausfindig zu machen.
Ich hatte mich umgesehen in dem Stück von ihrem Reich, in das sie uns blicken ließ. In der Halle, in der uns die Hausherrin empfangen hatte, legte man Wert auf sorgfältig ineinander abgestimmte Wohnaccessoires. Ein reinlicher und weibischer Haushalt, durch und durch.
Ich wusste nicht, ob Watson dasselbe darüber dachte. Aber einmal mehr war ich froh darum, dass er es war, der mit mir die Wohnräume teilte.
Kein Butler, sondern eine Bedienstete, frisch vermählt und ihre anderen Umstände, in denen sie sich seit etwa vier Monaten befand, vor ihrer Herrin zu verbergen suchend, ließ uns kurz warten, nachdem sie unsere Visitenkarten erbeten hatte. Ich tastete fahrig und vergeblich in meiner Innentasche danach. Glücklicherweise konnte Watson damit dienen, wir hatten in alter Gewohnheit immer gegenseitig ein paar Stück am Mann. Zumindest dann, wenn ich sie nicht, so wie damals, zu Hause vergessen hatte.
Die Warterei verschaffte mir die Möglichkeit, den Raum flüchtig zu inspizieren.
„Bleiben Sie taktvoll, bisher hat sie sich keines Verbrechens schuldig gemacht", mahnte mich der Doktor mürrisch, woraufhin sie bald persönlich erschien. "Sie verfügt sicherlich über einiges an Ansehen in der Gesellschaft."
Mrs. Rowling wog flüchtig ab, ob sie uns auf einen Tee in den Salon hineinbitten solle, wie der Blick auf ihre Anrichte, die mit einem gefüllten Tablett belegt war, mir erzählte.
Warum hatte sie es nicht getan, passte das Versäumnis dieser Höflichkeit zu ihr? Sie schien mir eine zugewandte Person aus wohlsituiertem Hause, mit Wissen um Benimm und Anstand, zu sein.
Jemand, der Wert darauf legte, seinen guten Ruf nicht zu beschmutzen. Eine Dame von gepflegter und schlanker Gestalt, die sich bestimmt nicht mit niederem Straßengesindel abgab und Menschen, wie die, von denen Kutscher Jarvis uns als einer geschildert worden war, persönlich anzusprechen vermied.
Eine hellbraune Tür, an deren unterem Ende sich ein paar Rußpartikel abgesetzt hatten, wurde einen Spalt breit aufgezogen. Sie gehörte zu einem der Häuser, die sich in weit engerer Bebauung zueinander befanden, als diejenigen, die zu Mrs. Rowlings Nachbarschaftskreis, den wir soeben verlassen hatten, gehörten. Ein schlanker Mann, kaum älter als Ende zwanzig und dennoch mit bereits schütter werdendem Haar, welches von Silberstreifen durchzogen wurde, erschien in schief gebundener Krawatte und zerknittertem Hemd vor unseren Augen.
„Mr. Jarvis?"
Die Tür wurde weiter geöffnet.
„Ja?"
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Stufe um Stufe zu Schritt und Spur (Sherlock Holmes)
FanfictionEin Entzug. Und dazu, eine eher dramatische Schilderung von Holmes' und Watsons zwischenmenschlichem Durcheinander inmitten eines ermittlungstechnischen Miteinanders. Eine Entwicklung, geschildert aus wechselseitiger Perspektive. ...