Patrick

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Ein Jahr zuvor, Amman, Juli

„Hörst du mir zu, Patrick? Wir müssen das tun. Es ist der einzige Weg, wie du je glücklich werden kannst, glaub mir... Ahmed hat uns und auch viel über da draußen erzählt. Du brauchst keine Angst zu haben.", sagt Mama. Sie sieht aus, als ob sie Tage und Nächte lang geweint hätte. Sie redet die ganze Zeit auf Patrick ein, dabei versteht er doch gar nicht, wovon sie redet. Papa hingegen hat eine Miene aufgesetzt, die Traurigkeit, aber auch Wut, ausstrahlt, und öffnet nicht einmal den Mund.

Mama fängt nun wieder an zu weinen. „Erik, hilf mir doch...", sagt sie schluchzend.

Nun räuspert sich Papa und beginnt zum ersten Mal seit langem zu reden: „Patrick, sieh mir in die Augen. Du wirst bald hier raus sein und das erste, was du dann tust, ist rennen. Renn so schnell, wie du kannst, bis du in Sicherheit bist." Er packt Patricks Arm und starrt ihm mit einem intensiven Blick in die purpurnen Augen. „Dann wirst du dich umziehen. Und zwar normale Kleidung, hast du mich verstanden?"

Patrick nickt heftig. „Ahmed hat dir doch gesagt, was ein Taxi ist, oder? Du wirst dann direkt in eins steigen und zum Flughafen fahren. Kauf dir dort ein Ticket für einen Flug nach ganz weit weg, der noch an diesem Tag geht und frag dich einfach rum, wenn du etwas nicht weißt. Wenn du erst einmal im Flugzeug sitzt, geht es dir gut, okay?"

Patrick hat fast Tränen in den Augen, weil er nichts versteht: „Papi, was ist ein Flugzeug?"

Papa seufzt. „Die großen Maschinen, die fliegen, von denen Ahmed dir auch erzählt hat.", antwortet er traurig.

Plötzlich springt Mama auf und umarmt Patrick ausgiebig, bevor sie ihn nach einer langen Zeit wieder loslässt und sanft an den Schultern packt. „Du bist so groß geworden, Patrick." Bringt sie lächelnd unter Tränen hervor: „Merk dir eins, mein Schatz: egal, was passiert, ich liebe dich. Du bist mein ein und alles und ich werde dich nie vergessen, wenn du mich auch nie vergisst. Ach, komm her." Sie muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihn auf die Wange zu küssen.

Papa kommt näher und nimmt ihn auch in den Arm. Als er ihn wieder loslässt, kann Patrick so etwas wie Tränen in seinen Augen ausmachen. „Du wirst es schon schaffen, mein Großer. Du bist mein ganzer Stolz. Ich liebe dich."

Papa und Mama gehen einen Schritt zurück. Patrick hat keine Ahnung, was hier los ist und warum seine Eltern so sentimental sind. Aber so waren sie schon immer. Und Patrick mag das auch.

Papa hat plötzlich ein ernsteres Gesicht aufgesetzt und bringt noch einen Satz heraus. Mama ist neben ihm wieder am Weinen, obwohl sie leicht lächelt: „Patrick, merk dir meine Worte: keiner darf wissen, wer du bist, und doch bist du nicht der Einzige."

Mit diesen rätselhaften Worten schnippen seine Eltern in die Hände und es passiert etwas, was er noch nie zuvor erlebt hatte.

Patrick spürt, wie sich die Armreifen, die er schon immer trug, lösen und er hoch geschleudert wird. Er spürt einen unbeschreiblich frischen Wind an seinem Körper. Er sieht goldenen Glanz um sich herum und plötzlich ist dieser magische Moment vorbei und er steht in einem arabisch eingerichteten Wohnzimmer, was er noch nie zuvor gesehen hatte, was ihm aber doch vertraut vorkommt.

Was ist passiert? Panik ergreift ihn und nun versteht er, was sein Vater ihm erklären wollte: „Renn so schnell, wie du kannst, bis du in Sicherheit bist."

Und Patrick rennt los.

WolfsschreiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt