»Was denkst du, was ist dort unten?« Wind beugte sich gefährlich weit über den Riss, der vor seinen Pfoten in der Erde klaffte und starrte angestrengt hinunter in die bodenlose Tiefe.
Als wenn er in dieser Finsternis mehr als ein paar Fuchslängen rohen Gesteins hätte sehen können. Nur schwach leuchtete die Mondsichel vom wolkenverhangenen Himmel herab und noch weniger Licht kam letztendlich bei den drei Jungen am Grund des Kiefernwaldes an.Asche tapste vorsichtig zu ihren Wurfgefährten, sie hatte ein wenig mehr Respekt vor dem Abgrund.
»Pass auf, dass du nicht hinein fällst«, warnte sie, packte Wind am Nackenfell und zog ihn einen Pfotenschritt zurück.
»Ich stürze nicht ab!« Wind riss sich von ihr los und fauchte. »Niemals! Ein Krieger stürzt nicht.«
Ein Krieger?! Manchmal kam es Asche so vor, als sei sie das einzige Junge, das wusste, wie viel sie noch zu lernen hatten, bevor sie sich ihre langen Namen verdienen würden.
Käfer stolzierte am Rand des Abgrundes entlang. »Dort unten lauert ein düsteres Geheimnis. Ein Schrecken der Dunkelheit.«
Belustigt schnurrend wirbelte Asche zu ihm herum. »Mäusehirn!«
Käfer tat so als wäre er beleidigt, nur das Funkeln in seinen Augen verriet, dass er das alles ebenfalls für einen Scherz hielt. »Springender Rabe hat gesagt, es würde so sein. Sie meinte, dort unten gäbe es nur eisige Kälte, die die Herzen der Katzen gefriert.«
»Dann ist Springender Rabe ein Flohhirn! Das ist doch nur...«
»Der Schrecken, von dem du sprichst, ist ein Teil unserer Vergangenheit.« Asche hob den Blick von ihrem Bruder und entdeckte Wolkes Gestalt im Unterholz. Die Kätzin hatte langes, graues Fell, das in den Schatten unter den Kiefern nur als ein dunkler Umriss zu erkennen war, doch das auffälligste waren wohl ihre vernarbten Augen. Wegen dieser alten Verletzungen konnte Wolke nichts mehr sehen.
»Mutter!«, rief Asche erfreut, rannte auf Wolke zu und warf sich spielerisch gegen sie, wobei sie zur Hälfte in ihrem dichten Fell verschwand.
Wolke taumelte und fuhr dem Jungen schnurrend mit dem Schweif über den Rücken. »Nicht so stürmisch, Kleine!«
»Aber sie ist doch gar nicht unsere Mutter!«, hörte Asche Käfers Miauen.
Als sie sich endlich aus Wolkes immer etwas verfilztem Fell gekämpft hatte, sah sie ihren Wurfgefährten auf sich zu tappen. Ganz eindeutig hatte Käfer zu viel mit dieser Springender Rabe geplaudert, die ihm wohl auch eingeredet hatte, Wolke könne nicht ihre Mutter sein, nur weil sie sie nicht geboren hatte. Aber sie hat uns aufgezogen, war immer für uns da, hat uns Geschichten erzählt, während wir einschliefen und uns wieder beruhigt, wenn wir von schaurigen Monstern geträumt haben... Wer könnte sonst unsere Mutter sein, wenn nicht sie?Irgendwo hinter Käfer sah sich Wind um und stürmte hinter seinem Bruder her, als er ihn bei Wolke und Asche entdeckte.
»Erzählst du uns von unserer richtigen Mutter?«, bettelte er.Asche spürte Wolkes Zögern. Sie ahnte, dass es wieder einmal vergeblich gewesen war, diese Frage zu stellen. Noch nie hatte Wolke sich dazu bereit erklärt, diese Geschichte zu erzählen.
»Kommt erst einmal mit ins Lager«, seufzte Wolke.***
Das, was Wolke Lager genannt hatte, war eigentlich nur eine winzige, von Farngestrüpp umgebene Lichtung. Die Schatten der umliegenden Bäume krochen über die mit Flechten und Moos bewachsenen Felsen in der Mitte, als wollten sie die darauf sitzenden Jungen packen und davon zerren. Unter einem Haselstrauch funkelten zwei Augenpaare zu ihnen hinüber. Springender Rabe und Fliehender Rauch, erkannte Asche und konnte nun auch ihre mageren Körper in der Dunkelheit ausmachen.
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Zeit des Verrats
FanfictionDie drei Jungen Wind, Asche und Käfer wachsen in einer Zeit auf, in der Ruhm, Sicherheit und Frieden nichts weiter als langsam verblassende Erinnerungen der Krieger sind. Alles hat sich verändert. Finstere Gestalten lauern in der Dunkelheit und die...