8. Kapitel: Rufen

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»Wir können nicht zulassen, dass ihr entkommt und alles zunichtemacht, wofür wir viele Monde hart gekämpft haben.« Der rotbraune Kater stolzierte am Rand des unterirdischen Flusses entlang, der durch das ehemalige FinsterClan-Lager hindurch führte. Sein Rauschen und das laute Klatschen, mit dem Wellen gegen Felsbrocken schlugen, übertönten ihn fast. Am anderen Flussufer ragte die zerklüftete Höhlenwand mindestens eine Baumlänge in die Höhe. Als Asche ihr mit ihrem Blick folgte, entdeckte sie weit, weit oben das Loch in der Höhlendecke, durch das die Sonne herein schien. Dahinter, noch einmal viel weiter oben, einen Flecken blauen Himmels. Da war sie, die Freiheit... Wälder, Berge, Wiesen... Beute, die gejagt werden könnte und Lichtungen auf denen sie mit ihren Wurfgefährten im Moos raufen könnte. Aber all das würde sie nie wiedersehen.

Der Fluss hat ihre Körper weit getragen, schossen ihr die Worte der FinsterClan-Katze durch den Kopf, die Wind eben noch mitangehört hatte.

»Wirbelndes Laub ist uns schon einmal entkommen, nachdem sie ihre Meinung änderte und auf einmal dich, Wolke, unterstützen wollte statt ihren Clan. Wir hatten sie gefangen, aber sie ist entwischt und jetzt schleichen sich auch noch Junge durch Geheimgänge. Dieses Risiko können wir nicht länger eingehen.« Der Rotbraune war stehen geblieben und musterte die Katzen am Flussufer.

Man hatte sie alle hergebracht: Wolke, Springender Rabe und die drei Jungen, sowie die beiden Verletzten, Fliehender Rauch und Wirbelndes Laub. Letztere war kaum noch bei Bewusstsein. Hier, wo das Licht weniger schwach war, als in der Höhle, in der Wolke ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, sah Asche, wie schlimm ihre Wunde war. Sie hatte von Anfang an nicht gut ausgesehen, doch nun eiterte sie.

Der Anblick und der seltsame Geruch, der von Wirbelndes Laub ausging, erinnerte Asche an ein Kaninchen, das Springender Rabe einmal erbeutet hatte. Unter normalen Umständen hätte Asche keinen Bissen davon herunter bekommen, aber zwei Krieger allein konnten kaum sechs Katzen ernähren und sie hatte solchen Hunger gehabt! In der Nacht hatten sie schreckliche Bauchschmerzen geplagt und erst als Wolke ihr ein Kraut gebracht hatte, von dem sie sich übergeben musste, war es allmählich besser geworden.

»Unsere Ansprüche an Tageslicht-Territorium werden noch immer nicht von allen Licht-Clans akzeptiert«, riss Rennender Fuchs Asche mit seinem Miauen aus ihren Erinnerungen. »Wenn sie erfahren, dass wir die Wisperkatzen nicht mehr auf unserer Seite haben, werden sie alles geben, uns zu vernichten!«

»Warum erzählst du uns das?«, fauchte Wolke.

»Damit ihr versteht, was ich nun tun muss.« Seine Worte gingen im Lärm des Flusses beinahe unter. Keinen Herzschlag zögerte Rennender Fuchs. Er schoss vor, packte Springender Rabe am Nackenfell und zerrte sie in Richtung Ufer.

Die schwarze Kätzin wehrte sich, schlug mit ihren Pfoten um sich, schaffte es, dass Rennender Fuchs loslassen musste. Sie taumelte von ihm weg, die Krallen ausgefahren, die Augen vor Schreck aufgerissen.

»Lasst sie in Ruhe!«, kreischte Wind, sprang auf, wurde aber von Schwimmende Blüte am Nackenfell gepackt. Auch Käfer zappelte im Maul eines FinsterClan-Kriegers.
Fliehender Rauch sprang ebenfalls auf die Pfoten, wollte Springender Rabe offenbar zur Hilfe eilen, doch Fallender Stein stürzte sich auf ihn und nagelte ihn am Boden fest. Sie bohrte ihre Krallen in die Kratzer aus seinem letzten Kampf und der Krieger heulte schmerzerfüllt auf.

Zwei weitere FinsterClan-Krieger positionierten sich zwischen Wolke und Rennender Fuchs.

Es ist aussichtslos! Asche kroch langsam, damit die FinsterClan-Katzen nicht dachten, sie würde etwas Dummes anstellen wollen, zu Wolke. Von dort aus spähte sie zu Springender Rabe und Rennender Fuchs hinüber.
Der FinsterClan-Kater hatte inzwischen die Unterstützung einer seiner Clangefährten, doch Springender Rabe gab nicht auf.
Sie hat keine Chance! Ihre Krallen kratzten über den Boden, hinterließen Furchen in dem Kies neben am Ufer. Mauselänge um Mauselänge näherten sie sich dem Fluss. Bald schon umspülten einzelne, besonders hohe Wellen die Pfoten der drei Katzen.

Zeit des VerratsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt