Als Wolke eine kurze Pause einlegte, sah Asche sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ihre Mutter hatte also herausgefunden, wer ihr damals, in diesem Tunnel aufgelauert und die Krallen über ihre Augen gezogen hatte?
»Wolke?«, miaute Asche vorsichtig, als diese nicht mit ihrer Geschichte fortfuhr.
Die Blinde Kätzin seuftzte. »Entschuldige. Ich war mit meinen Gedanken woanders. Aber jetzt will ich nicht weiter warten. Ihr müsst die Wahrheit erfahren...
***
Kiesel hatte mir also gerade erzählt, dass er wusste, wer mich als Junges verletzt hatte.« Ein weiteres Seufzen. »›Wie hast du davon erfahren?‹, fragte ich. In all den Monden war ich der Lösung des Rätsels keinen Pfotenschritt näher gekommen. Selbst mit der Hilfe der Wisperkatzen nicht. Wie also hatte Kiesel das geschafft?
›Ich habe es gesehen. Damals, als wir noch Junge waren und uns aus dem Lager geschlichen haben.‹
›Warum hast du davon nie etwas erzählt? Warum erst jetzt?‹ Ich wusste nicht, ob ich Wut empfinden sollte, oder mir wegen der tiefen Wunden meines Bruders Sorgen machen sollte.
Kiesels Stimme klang schwach, als er miaute: ›Er hat mir gedroht.‹
›Womit?‹
›Dass er mir etwas Ähnliches antun würde wie dir.‹
›Wer war es?‹ Auch wenn meine Enttäuschung nicht ganz verschwuden war, verstand ich, warum Kiesel mir sein Geheimnis bisher verschwiegen hatte. Ich wusste, dass er mir niemals absichtlich schaden würde.
›Vater.‹
›Was?!‹
›Vater...‹ Kiesels Stimme war nur noch ein Hauch, er war offenbar erschöpft von unserer Unterhaltung.
Ich fasste es noch immer nicht. ›Jagender Sturm...‹, murmelte ich. Er sollte die Schuld daran tragen, dass ich nie mehr sehen konnte? Mein Vater? Der Anführer des FinsterClans? Der Kater, der immer ein Vorbild für mich gewesen war?
Doch dann erinnerte ich mich an das, was die Gestalt in dem Felsspalt damals gesagt hatte, als ich blutend am Boden gelegen hatte. Es tut mir leid, dass es dich getroffen hat, Wolke. Ich hatte gehofft, Kiesel wäre es, der mich hört und meinem Ruf folgt. Dann wäre er zumindest dieses eine Mal zu etwas zu gebrauchen gewesen. Jagender Sturm dachte offenbar noch immer, dass sein Sohn unfähig war, ein Krieger zu werden. Er hatte Kiesel nie zum Krieger ernannt, obwohl Laub ihren Langen Namen schon seit Monden trug. Sogar Schwimmende Blüte, Fliehender Rauch und Flüsternde Birke hatten ihre Kriegerzeremonie schon seit einiger Zeit hinter sich, obwohl sie jünger waren als meine Wurfgefährten und ich.
Die Sehende ist alt, kann bald kaum noch laufen. Du musst sehen! Ohne die Wisperkatzen sind wir nichts. Es musste sein! ›Wir‹, hatte er gesagt. Ich war mir schon immer sicher gewesen, dass mich eine Katze aus meinem eigenen Clan angegriffen hatte. Und es klang, als hätte sie versucht, sich für das, was sie tat, zu rechtfertigen...
Und da war noch etwas... Du musst sehen!, wiederholte ich in Gedanken abermals Jagender Sturms Worte. Er hatte immer darauf bestanden, dass ich mich von Sehender Schatten ausbilden lassen würde. Anfangs hatte er mir nicht einmal die Chance geben wollen, auch am Kriegertraining teilzunehmen. Er hatte gewollt, dass ich erblindete, damit ich keine andere Wahl hatte, als die nächste Sehende zu werden.
Jagender Sturm hatte den Helden gespielt. Hatte erzählt, er hätte mich halb verblutet gefunden und mich zurück ins Lager gebracht. Was er noch getan hatte, das hatte er natürlich verschwiegen.
Ja, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, passte alles zusammen.***
Lange hatte ich wach dagelegen, während Flüsternde Birke und Kiesel neben mir geschlafen hatten. Was ich erfahren hatte, hatte es mir unmöglich gemacht, zur Ruhe zu kommen. Doch irgendwann musste auch mich die Müdigkeit besiegt haben. Als mich Flüsternde Birke an der Schulter rüttelte und mich aus dem Land meiner Träume zurück in die Wirklichkeit holte, waren wir umgeben von den Geräuschen des erwachenden Lagers. Junge, die ganz in der Nähe ›Wir haben aber jetzt Hunger!‹ jammerten, das Umhertappen der ersten Patrouillen, das Gähnen der Heilerin...
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Zeit des Verrats
FanficDie drei Jungen Wind, Asche und Käfer wachsen in einer Zeit auf, in der Ruhm, Sicherheit und Frieden nichts weiter als langsam verblassende Erinnerungen der Krieger sind. Alles hat sich verändert. Finstere Gestalten lauern in der Dunkelheit und die...