Mistelzweigzauber

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(Draco/Hermine)



24. Dezember, 19:57 Uhr

Pünktlich um drei Minuten vor acht landete Hermine auf dem Apparierpunkt vor dem St.-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen. Es war eine sternenklare Winternacht und augenblicklich formte sich ihr Atem vor ihrem Mund zu kleinen Wölkchen. Es war kalt, aber ohne eine einzige Schneeflocke. Hoffnungsvoll warf Hermine einen Blick in den Himmel, doch nicht einmal am Horizont war eine Wolke zu sehen. Es würde wohl wieder ein weiteres Weihnachten ohne Schnee werden.

In der Ferne begannen die Glocken einer Kirche zu läuten und verrieten Hermine, dass ihre bevorstehende Zwölfstundenschicht soeben begonnen hatte. Eilig warf sie sich ihre grüne Heilerrobe über und eilte großen Schrittes durch den Haupteingang. Jedoch nicht, ohne vorher dem dort hängenden Mistelzweig einen bösen Blick zuzuwerfen und ihn mit einem unauffälligen Schwung ihres Zauberstabs in Asche zu verwandeln. Zufrieden lächelnd pustete sie einige Ascheflocken von ihrem Handrücken und ließ ihren Blick durch den Empfangsbereich wandern. Bisher sah alles ruhig aus. Nur ein Mann, dem beständig Dampf aus Ohren und Nase drang, blätterte ohne aufzusehen im Tagespropheten. Vielleicht hatte sie Glück und würde sich zwischendurch im Aufenthaltsraum ein paar Stunden hinlegen können. Immerhin stand morgen nicht nur das alljährliche Weihnachtsfrühstück mit ihren Eltern, sondern auch das traditionelle Weihnachtsfest im Fuchsbau an. Wenigstens hatte sie bereits alle Geschenke besorgt und eingepackt. Nun lagen sie in einem ordentlichen Stapel auf dem kleinen Tisch neben ihrer Wohnungstür und warteten nur darauf, am nächsten Tag überreicht zu werden.

Mit einem letzten Blick auf den dampfenden Mann durchquerte Hermine den Empfangsbereich und erklomm die Treppe bis hinauf in den vierten Stock. Kaum war sie durch die Tür getreten, wurde sie von den mittlerweile so vertrauten Gerüchen der Abteilung für Fluchschäden begrüßt: Der zitronige Geruch starker Reinigungszauber, der Duft nach dunklem Kaffee, der hier zu jeder Tages- und Nachtzeit in der Luft hing, und nicht zuletzt die Schärfe unzähliger Aufpäppeltränke. An manchen Tagen brauchten sie so viele davon, dass in den Fluren ein beständiger warmer Dampf hing. An solchen Tagen summte dieses Station voller Geschäftigkeit. Heiler und Pfleger eilten von einem Patienten zum nächsten, meistens im Kampf gegen die Zeit. Manchmal hatte sie mehr, manchmal weniger davon. Heute aber war es gespenstisch still hier. Am Morgen hatten die anderen Heiler so viele Patienten wie möglich entlassen, so dass nur die schwierigen oder zeitintensiven Fälle zurückgeblieben waren.

Leise summend zuckte Hermine ihren Zauberstab und verbannte einen weiteren Mistelzweig über dem Thresen der Pflegekräfte und klemmte sich den Stapel Akten unter den Arm, der dort erwartungsvoll auf sie wartete.

„Mister Powell", murmelte sie leise, während sie den Blick über das erste Blatt gleiten ließ. „Amnesie durch Obliviate. Vermutlich vorübergehend." Sie klappte die schmale Mappe zu und straffte die Schultern. „Na, dann wollen wir mal."

24. Dezember, 21:03 Uhr

Mit einem leisen Gähnen betrat Draco den Aufenthaltsraum im dritten Stock. Er streckte sich und ließ mit einem trägen Schwung seines Zauberstabs die Glitzerkugeln unter der Decke verschwinden, die dazu neigten, im unpassendsten Moment zu explodieren und alle Umstehenden in klebrigem Glitzer zu baden. Erst als diese Gefahr gebannt war, ließ Draco sich auf das durchgesessene Sofa fallen, streifte die Schuhe von den Füßen und legte diese auf den kleinen Tisch, der sonst übersät war von Ringen, die unzählige Tee- und Kaffeetassen darauf hinterlassen hatten. Dann angelte er sein Buch aus der Tasche und schlug ein neues Kapitel auf. Vielleicht würde es ihm die Nacht über reichen. Vielleicht auch nicht. Die Weihnachtstage und -nächte waren ja bekanntlich die, in denen man nie wissen konnte, was einen erwarten würde. Zumindest hier im Krankenhaus. Zu Hause war alles ruhig und vorhersehbar. So ruhig, dass Draco es keine Minute länger ausgehalten hatte und ins St. Mungo's gefloht war. Er hatte heute Nacht Bereitschaft, hatte er sich gesagt, früher oder später würde er sowieso ins Krankenhaus kommen müssen. Wieso nicht jetzt? Er würde die Nacht zwischen unglücklichen Patienten und einem alten Sofa verbringen und am Morgen so müde sein, dass er Weihnachten getrost verschlafen konnte. Er würde nicht einmal merken, dass Weihachten war. Es war eine perfekte Lösung. Beinahe zufrieden mit sich vertiefte Draco sich in Der Besuch der alten Hexe. Er hatte bereits einen Großteil des ersten Aktes beendet, als die Tür schwungvoll aufgerissen wurde und eine Pflegerin atemlos hereingestürmt kam.

12 Days Of ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt