13.

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Ich hörte, wie man meinen Namen rief. Ich drehte mich jedoch nicht um, rannte stattdessen einfach weiter. Immer weiter. Meine Lungen brannten und Tränen flossen meine Wangen hinab. Obwohl meine Beine schon wacklig wurden, blieb ich nicht stehen. Ich konnte nicht. Zu groß war die Angst, man könnte mich erwischen.
Wieder schrie mir diese Stimme nach, ich solle stehen bleiben und aufgeben. So schnell würde ich nicht aufgeben! Also spornte ich mich noch weiter an. Ich rannte, als gäbe es kein Morgen. Ich rannte, als ginge es um mein Leben.
Mein Verfolger schloss langsam zu mir auf. Man würde mich kriegen. Verzweiflung machte sich in mir breit. Die Kraft verließ mich. Ich spürte, dass ich langsamer wurde. Mein Körper rebellierte gegen die Anstrengung.
„Gleich hab ich dich!", vernahm ich die Stimme dicht hinter mir. „Du kannst nicht entkommen, du lächerlicher Schwächling!"
Ein klägliches Schluchzen, welches klang, als wäre ich kurz vorm Ersticken, entrang sich meiner Kehle, nachdem ich um die nächste Häuserecke gerannt war.
Ein hämisches Lachen schallte durch die Luft. Ich konnte nicht entkommen.
Was sollte ich nun tun? Doch ich kam nicht mehr dazu, mir eine Antwort zu überlegen, denn im nächsten Moment stolperte ich und fiel.
„Jetzt hab' ich dich!", knurrte mein Verfolger. ‚Oh nein. Ich bin am Arsch!' Ich schaffte es nicht aufzustehen. Meine Knie fühlten sich an, wie mit einem Reibeisen bearbeitet. Ich weinte stärker und begann zu zittern. Es gab keinen Ausweg. Ich war endgültig geliefert. Wieder vernahm ich Lachen. Daraufhin legten sich Hände auf meine Schultern und rissen mich hoch.

Nass geschwitzt schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Ich brauchte erst einmal einen Moment, um zu realisieren, dass ich in meinem Zimmer war. Es war dunkel und ich konnte nur die Umrisse meiner Möbel erkennen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
‚Keine Angst. Du bist in Sicherheit, in deinem warmen Bett und nicht auf der Straße. Niemand ist hinter dir her. Alles ist gut.', beruhigte ich mich selbst.

„Hey, was ist?"
Erschrocken sah ich neben mich und erinnerte mich, dass Janos bei mir war. Warum musste ich einen solchen Albtraum haben, wenn er dabei war? Das Schicksal mochte mich wohl wirklich nicht sonderlich.
„Hab' nur schlecht geträumt.", murmelte ich und legte mich wieder zurück. Janos legte seinen Arm wieder um mich, warf mir ein schläfriges Lächeln zu und flüsterte: „Es war nur ein Traum. Versuche noch ein bisschen zu schlafen."
Er schloss seine Augen, doch ich konnte es ihm nicht gleich tun.

,Nur ein Traum...', dachte ich spöttisch. Ich wünschte, ich wäre einer dieser Menschen, die sich an keinen ihrer Träume erinnern konnten, wenn sie erst einmal erwacht waren, doch ich war jemand, der sogar kleine Details im Gedächtnis behielt. Dies konnte schön und schrecklich sein. Genau wie Träume. Seit ich ein Kind war, träumte ich zwar selten, aber wenn, dann heftig. Danach dachte ich noch Wochen oder gar Monate später daran zurück. Es fühlte sich einfach immer so real an. Zu real.
Manchmal fiel es mir im Nachhinein schwer zu sagen, ob ich einfach nur träumte oder ob ich die Situation, aus einem meiner Träume tatsächlich schon einmal erlebt hatte.

Ich lauschte Janos ruhigem Atem, äußerlich war auch ich ruhig, doch innerlich rasten meine Gedanken.
Bei vielen Träumen konnte ich mir sicher sein, dass nichts davon real war, beispielsweise bei solchen, die meine Wünsche widerspiegelten. Andere Träume hingegen konnte ich als Erinnerung und somit als etwas Reales einordnen. In diese Kategorie fiel mein eben durchlebter Albtraum. Ich hatte diese Situation erlebt. Ich war verfolgt und erwischt worden und diese Erinnerung würde mich noch sehr lange verfolgen. Leise seufzend, kniff ich die Augen zusammen und verdrängte die Bilder aus meinem Kopf.
Ich sollte wirklich weiter schlafen. Es war Sonntag und so konnten wir ausschlafen.
Vorsichtig kuschelte ich mich etwas enger an meinen Bettpartner und entspannte mich. In Gedanken nun bei der schönen Zeit mit Janos, schaffte ich es, mich zu beruhigen und wieder einzuschlafen.

Am Morgen wurde ich sanft geweckt von Kaffeeduft und einem Kuss auf die Wange.
„Guten Morgen." hörte ich Janos leise sagen, bevor ich die Augen öffnete.
„Guten Morgen.", erwiderte ich und setzte mich auf. Nachdem ich mir den Schlaf aus den Augen gewischt hatte, erblickte ich ein Tablett mit allerlei verschiedenen Dingen - eine Kanne Kaffee, ein Teller mit Rühreiern, ein Körbchen mit Brötchen, ein Glas Marmelade und etwas Käse.
„Wow.", meinte ich beeindruckt. Janos hatte uns Frühstück gemacht?
„Ich hoffe, es ist nicht schlimm, dass ich mich in deiner Küche etwas umgesehen habe.", mein Gegenüber kratzte sich etwas verlegen am Kopf, was zugegebenermaßen ganz süß aussah.
Ich lächelte: „Solange du kein Chaos veranstaltet hast, ist alles gut."
„Ich kann nichts versprechen.", grinste er zurück. Frühstück ans Bett - das war ein absoluter Traum. Dieses Wochenende wurde immer besser!
Kichernd küsste ich ihn auf die Wange. „Danke."
Ich glaubte, einen kleinen Rotschimmer auf seinen Wangen zu entdecken.
„Ich hoffe das Ei schmeckt wenigstens.", zweifelte er an seinen Kochkünsten.
Ich beruhigte ihn mit einem: „Ach bestimmt."
Dann fiel mir auf, dass er T-Shirt und Boxershorts trug und ihn komplett nackt unter der Decke war.
„Janos, könntest du mir die Sachen geben, die dort auf der Kommode liegen?", ich deutete auf einen kleinen Kleidungsstapel mit frischen Klamotten, die ich nach der Wäsche noch nicht in den Schrank zurück geräumt hatte.
„Klar." Er stand auf und tat, worum ich ihn gebeten hatte, sodass ich einen grauen Pullover und eine schwarze weite Shorts anziehen konnte. Zum Glück schien Janos mein eigentlich unbegründetes Unbehagen richtig gedeutet zu haben und widmete sich dem Aufschneiden der Brötchen, während ich mich anzog. Danach ließ ich mich wieder neben ihm nieder.

The Tie // #wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt