Kapitel 12

48 7 2
                                    

Luke

Es waren mehrere Tage vergangen, in denen ich meinen Onkel nicht zu Gesicht bekam. Auch sonst verhielten sich alle sehr ruhig und Silverstone wurde bei nahe zu einem gespenstischen Ort. Ich hatte mir Gedanken gemacht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte, so wie es mein Onkel von mir verlangt hatte, aber mir wollte nichts einfallen. 

Deshalb war ich den halben Tag damit beschäftigt zu trainieren und die andere Hälfte der Zeit streifte ich durch den angrenzenden Wald. Silverstone war seit meinem 14. Lebensjahr mein zu Hause, doch die kalten Steinmauern fühlten sich die meiste Zeit mehr wie ein Gefängnis an. Nur meine Tante Chloe konnte mir das Gefühl, hier zu Hause zu sein, vermitteln. Ich beschloss sie wieder einmal in ihrem Trakt des Anwesens zu besuchen. 

Das Anwesen bestand aus einem Hauptgebäude mit zwei neueren Nebengebäuden. In einem dieser Nebengebäude lebte mein Onkel mit meiner Tante. Die Zimmer der Mitglieder, ebenso wie das meine, befanden sich im zweiten Nebengebäude. Im Hauptgebäude waren die Trainings- und Fitnessräume, die Besprechungszimmer und das Arbeitszimmer von meinem Onkel.

Auf dem Weg in das Nebengebäude lief ich kaum jemanden über den Weg. Alles war verlassen. Der Großteil der Mitglieder war bestimmt mit dem Fall des Mädchens beschäftigt. Ich hatte gehört, wie gemunkelt wurde, dass das Mädchen einen Ausbruchversuch gestartet hatte und dieser beinahe geglückt war. Das war natürlich ganz und gar nicht im Interesse meines Onkels. Vermutlich hatte er die Einheiten vor Ort verdoppelt um eine erneute Flucht zu verhindern. Ich wollte gar nicht wissen, was den beiden Männern bevorstand, die das Mädchen beinahe laufen ließen.

Im Familientrakt angekommen klopfte ich an die Salontüre. Ich hörte kurz das Geräusch eines Stuhles, der verschoben wurde und schon öffnete sich die schwere Holztür. Vor mir stand niemand anderes als meine Tante Chloe. Ich sah sie von oben bis unten an und musste leider feststellen, dass sie alles andere als gut und gesund aussah. Wortlos breitete sie ihre Arme aus und ich kuschelte mich sofort an sie. Tief atmete ich ihren vertrauten Geruch ein. 

Von Anfang an war es ihre herzliche Art, die mich fasziniert hatte. Wie konnte eine solch herzliche Person mit einem so gefühlslosen Mann wie meinem Onkel zusammen sein. Ich stellte mir immer wieder diese Frage, konnte aber keine logische Antwort darauf finden. Vorsichtig schob ich meine Tante eine Armlänge von mir und betrat das Zimmer. Wir gingen gemeinsam zu der Sitzgruppe in der Mitte des Zimmers und setzten uns. Sie bot mir eine Tasse Kaffee an und ich nahm das Angebot dankend an. Für eine kurze Zeit saßen wir uns schweigend gegenüber und jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. 

Ich wusste, dass es keine gute Idee war Chloe auf die neuen blauen Flecken und Blutergüsse anzusprechen. Jedes Mal wenn ich dieses Thema ansprach, brach sie in Tränen aus und ich konnte sie nur noch schwer beruhigen. Aber ich musste es einfach versuchen. Sie machte die Hölle durch und brauchte jemanden dem sie sich anvertrauen konnte. 

Vorsichtig tastete ich mich an das Gespräch heran: „Chloe. Wie geht es dir? Jetzt habe ich dich ja schon lange nicht mehr gesehen. Wieso hast du mich nicht in meinem Zimmer besucht? Bist du mir etwa aus dem Weg gegangen?" Ich konnte leider nicht verhindern, dass ich verletzt klang. Man konnte meiner Tante ansehen, wie sie das schlechte Gewissen plagte: „Ich hatte viel zu tun in letzter Zeit und bin kaum aus unserem Wohntrakt herausgekommen. Du weißt ja wie das ist mit deinem Onkel. Er findet immer etwas für mich zu tun und da habe ich einfach vergessen mich bei dir zu melden." Ich beobachtete sie beim Sprechen ganz genau und konnte an ihrem nervösen Gefuchtel mit den Händen erkennen, dass das nicht die Wahrheit war oder sie mir etwas verschwieg. 

„Chloe, seit vielen Jahren bist du nun schon wie eine Mutter zu mir und hast mich beim Erwachsen werden unterstützt. Glaubst du wirklich ich kann nicht sehen, wie schlecht es dir geht? Hast du wirklich erwartet, dass ich deine blauen Flecken übersehe oder nicht bemerke wie du deinen rechten Fuß schonst? Erzähl mir endlich was wirklich passiert ist. Ich bin kein kleiner Junge mehr der vor seinem Onkel beschützt werden muss. Ich will endlich die Wahrheit wissen. Das bist du mir schuldig."! Meine Stimme wurde gegen Ende immer lauter und meine Tante zuckte aufgrund der Heftigkeit meines Ausbruchs zusammen. Ich dachte schon sie würde wie jedes Mal nicht antworten und sich mir gegenüber verschließen. 

Doch nach einer kurzen Pause fasste sie einen Entschluss und erzählte mir von ihren Sorgen. Allen Sorgen. „Luke du bist so ein guter Junge. Ich wollte nie, dass du mitbekommst wie schrecklich dein Onkel wirklich ist. Zu dir war er zwar immer streng aber er hat dir gegenüber nie Gewalt angewendet. Du warst für ihn wie ein Sohnersatz und er wollte dich nicht vergraulen. Ich hingegen war ihm schon seit langem egal. Er hat an mir all seine Wut ausgelassen, die sonst keinen Platz fand und ich war für alles und jeden der Sündenbock. 

Wenn bei einer Mission etwas schiefging, bestrafte er nicht seine Männer, die dafür verantwortlich waren. Nein, er ließ alles an mir aus. Ich war plötzlich schuld, dass ihm die Polizei auf den Versen war oder ein Deal platze. Die blauen Flecken und Blutergüsse die du hier sehen kannst, hat er mir verpasst, weil das gefangene Mädchen bei ihrem Fluchtversuch fast erfolgreich gewesen wäre. Stell dir vor, was er mir angetan hätte, wenn ihr die Flucht wirklich geglückt wäre. Dann könntest du jetzt vermutlich einen Platz für mein Grab suchen.

Es tut mir leid, dass ich dich so lange nicht mehr besucht habe oder dich hier her eingeladen habe, aber mein Knöchel war verstaucht und ich wollte nicht, dass du dir Sorgen um mich machst. Dein Onkel hat mir den Kontakt zu dir verboten, weil er befürchtet, dass du dich von ihm abwenden könntest, wenn ich dir von seinen Taten erzähle." Ich konnte gar nicht fassen was mir meine Tante gerade erzählte hatte. Zuzutrauen war meinem Onkel David so ziemlich alles. 

Ich zweifelte nicht daran, dass Chloe die Wahrheit sagte. Vor einiger Zeit hatte ich mitbekommen, dass David meine Tante schlecht behandelte, aber mir war nicht bewusst, wie schlimm es wirklich war. Ich musste etwas tun, so konnte das doch unmöglich weitergehen. Wenn ich jetzt nicht einschritt würden die Tage meiner Tante bald gezählt sein. Traurig sah ich Chloe an: „Ja aber wieso bist du denn nie zu mir gekommen? Ich hätte dir doch helfen können. Wie du bereits selbst gesagt hast, lässt mich mein Onkel in Ruhe und wurde mir gegenüber noch nie gewalttätig. Ich kann dich vor ihm beschützen." 

Ihr erschrockenes Gesicht ließ mich ahnen, was sie von dieser Aussage hielt: „Um Gottes willen, bloß nicht. Du darfst dich auf keinen Fall David widersetzten. Versprich es mir. Stell dich nicht in seinen Weg. Für dich gibt es noch Hoffnung." Chloe sah mich mit glitzernden Augen an und ich konnte erkennen, dass sie die Tränen nur schwer zurückhalten konnte. „Ist schon gut. Ich werde mich nicht offensichtlich gegen David auflehnen. Aber wir müssen etwas unternehmen. Du musst weg von ihm. Am besten wir organisieren einen Anwalt der dich hier raus boxt. Du hast einen besseren Ehemann verdient. Ein besseres Leben.", versuchte ich sie mit meinen Worten zu überzeugen. 

Ich war schon viel zu lange ein stummer Zuschauer. Das hatte mit dem heutigen Tag ein Ende: „Ich werde gleich morgen anfangen zu recherchieren und gemeinsam werden wir das schaffen. Versprochen. Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und ich nahm sie einfach wortlos in den Arm. Ich ließ sie all die Angst und die Sorgen ausweinen und gab ihr dabei den Halt, den sie brauchte, indem ich einfach für sie da war. Nach einiger Zeit normalisierte sich ihre Atmung wieder und ich richtete mich auf. 

Mit gerötetem Gesicht sah sie mich an und ich konnte tiefe Dankbarkeit erkennen. Ich drückte kurz ihre Hand zum Zeichen, dass ich sie verstanden hatte. Nach einiger Zeit in der wir unseren Kaffee tranken und unverfängliche Gespräche führten, verabschiedete ich mich: „Verhalte dich am besten so wie immer. Er soll nicht merken, dass du dich mir anvertraut hast und wir einen Plan haben. Pass auf dich auf. Nicht mehr lange und du wirst die Chance auf einen Neuanfang bekommen."

Hallo meine Lieben!

Hat etwas gedauert, aber jetzt bin ich wieder zurück mit einem neuen Kapitel aus Luke's Sicht.

Dieses Kapitel widme ich  larection- Danke für deine Votes und lieben Kommentare <3

Sternenkuss- Unter Sternen erwacht #GoldenAward18, #brilliants18, #BeginnerAwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt