Ich wusste nicht, wie lange ich am Abend noch gelesen hatte. Als ich aufwachte, ging die Sonne gerade erst auf und dass ich gestern die ganze Zeit gelesen hatte, fiel mir erst wieder ein, als das Buch geräuschvoll vom Bett fiel, während ich die Decke zurückschlug.
Ich machte mich zuerst auf den Weg ins Bad und musste im Spiegel entdecken, dass ich furchtbar aussah. Im Ernst, ich war total blass und auf meinen Wangen befanden sich immer noch die Spuren von getrockneten Tränen. Mit den tiefdunklen Augenringen, die mich noch unheimlicher aussehen ließen, hätte ich glatt als Zombie durchgehen können.
Seufzend duschte ich noch einmal, in der Hoffnung, dass ich danach besser aussehen und mich auch besser fühlen würde. Nach ungefähr einer Viertelstunde wurde mir klar, dass ich in beiden Punkten enttäuscht worden war und entschied mich dazu, zum allerersten mal das Make-up zu benutzen, das Selena mir überlassen hatte, als sie sich die neue Kollektion zugelegt hatte. Sofern man bei Make-up auch Kollektion sagen konnte, ich war mir da nicht ganz so sicher.
Jedenfalls tat es seinen Zweck und nach kurzer Zeit sah ich nicht mehr so schlimm aus wie vorher. Natürlich nicht besonders gut, aber Leute, die mich nicht kannten, würden nicht denken, dass ich geweint hatte.
Da lag aber auch schon das Problem, meine Freunde würden es wissen, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen, auch wenn ich mich gerade auf den Weg zu einem Café in der Stadt machte, in dem ich mit ihnen frühstücken wollte. Normalerweise trafen wir uns nicht alle zusammen fast jeden zweiten Tag, aber es war immer noch so schön, dass unsere Gruppe wieder vereint war, dass wir einfach etwas zusammen unternehmen mussten.
Zu meinem Entsetzen wartete Alex natürlich auch vor dem Café und ich war anscheinend die letzte, die ankam. Auch wenn mein Herz - pardon, das Loch in meiner Brust - bei Alex' Anblick wieder schmerzte, wandte ich mich von ihm ab und begrüßte die anderen so, als wäre nichts passiert. Kyle warf mir einen verwirrten Blick zu, als ich an Alex vorbei ging, sagte aber nichts.
Ich hatte lange darüber nachgedacht, ob ich denn überhaupt kommen sollte, aber dachte mir dann, dass ich mich sowieso irgendwann mit der Situation auseinander setzen müsste. Warum also nicht sofort? Dann hatte ich es hinter mir und konnte mich in Ruhe weiter miserabel fühlen.
Es verlief besser, als ich gedacht hatte. Ich konnte mir einen Platz zwischen Kyle und Jason sichern, während Alex sich am anderen Ende des Tisches setzte. Wir sprachen nicht und sahen uns nicht einmal mehr an, aber ich spürte natürlich immer noch seine Anwesenheit, ich konnte nichts dagegen machen.
„Bist du sicher, dass du nicht gleich noch mit Darcy und mir in die Innenstadt gehen willst, Elena?" Ich nickte. Dieses Mal hatte Selena mich nicht überreden können, ich wollte zurück nach Hause auf mein Sofa. Ich wollte nicht mehr so tun müssen, als ginge es mir gut.
Mehrere Male während der Gespräche im Café, an denen ich mich nicht wirklich oft beteiligt hatte, hatten mir meine Freunde - Alex natürlich ausgeschlossen - verwirrte, besorgte Blicke zugeworfen, aber hatten zum Glück nichts gesagt. Wahrscheinlich wollten sie mich lieber später darauf ansprechen, während wir nicht in einem Café saßen, in dem auch so viele andere Personen aßen.
„Ich kann dir mein Auto leihen, wenn du nach Hause möchtest", ergänzte Jason und ich sah ihn verwirrt an.
„Ich dachte, du wolltest auch nicht mit in die Stadt?"
„Will ich auch nicht. Ich würde dann bei Kyle mitfahren." Für einen kurzen Moment verstand ich nicht, warum er das tun wollte, aber dann fiel mir auf, dass Alex noch gar nichts gesagt hatte und auch keiner ihn erwähnt hatte. Alle gingen davon aus, dass ich ihn dann in Jasons Auto mitnehmen würde.
Anscheinend dachten sie, ich würde am liebsten zuerst mit Alex über das reden wollen, was passiert war und mich anscheinend so traurig machte. Klar, in der Highschool, als er noch mein bester Freund gewesen war, war er immer der erste gewesen, an den ich mich gewandt hatte. Und es hatte für die anderen ja so ausgesehen, als sei er das wieder. Aber seit gestern nicht mehr.
„Du könntest Alex mitnehmen", fügte Selena leicht lächelnd hinzu und ich zuckte innerlich zusammen, als Alex' Blick an diesem Tag zum ersten Mal meinen traf. Mein Rücken versteifte sich und ich blickte so schnell ich konnte wieder von Alex weg.
„Ich fahre mit Jason", brachte ich schnell heraus, während ich hörte, wie Alex die Worte „Ich fahre mit Kyle" genau zeitgleich aussprach. Unsere Blicke trafen sich noch einmal kurz, aber diesmal sah er zuerst weg und ich griff nach meiner Jacke, die über meinem Stuhl hing.
Ich spürte, wie sich Kyle, Darcy, Selena und Jason ratlos anschauten, nachdem sie unsere so verschiedenen Statements gehört hatten, aber anscheinend merkten sie, dass keiner von uns darüber sprechen wollte, also standen auch sie langsam vom Tisch auf und folgten mir nach draußen.
„Du weißt, dass ich immer für dich da bin, oder?", fragte Selena mich noch so leise, dass keiner außer uns beiden es mitbekam. Ich musste lächeln.
„Klar weiß ich das. Aber ich muss erst einmal selbst damit klarwerden." Auch wenn Selena nicht wusste, was ich mit damit gemeint hatte, war ihr klar, dass ich die Situation meinte, die mich so traurig gemacht hatte.
„Ich weiß. Ich will dich auch zu nichts drängen, aber wenn du mit jemandem reden möchtest, bin ich für dich da."
„Danke. Das bedeutet mir echt viel." Ich umarmte sie noch einmal, ehe Jason und ich uns von den anderen verabschiedeten und ich zu ihm ins Auto stieg. Mein Bruder fragte auf dem Weg nach Hause auch nicht, was genau los war, er war schon immer derjenige gewesen, der mir immer erst etwas Freiraum gab, ehe er mich ansprach, wenn ich traurig war. Er war genau wie ich, er brauchte auch immer etwas Zeit, ehe er alles verarbeitet hatte. Wahrscheinlich lag es in der Familie.
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Trying not to love you
RomanceVier Jahre können eine echt lange Zeit sein, in der sich alles ändern kann - oder eben auch gar nichts. Das stellt zumindest Elena Spencer fest, als sie nach einem vierjährigen College-Aufenthalt wieder nach New York zurückkehrt. Ihre Freunde sind i...