Für einen kurzen Moment war ich so geschockt, dass ich erst einmal gar nichts sagte und Alex einfach mit wahrscheinlich offenem Mund anstarrte. Nach kurzer Zeit riss ich mich wieder zusammen und versuchte, seinem Blick so neutral wie möglich zu begegnen.
„Warum meinst du?"
„Du weichst mir aus." Er legte den Kopf schief.
„Nein, tue ich nicht." Doch, tue ich.
„Elena, ich kenne dich seit Ewigkeiten. Du weichst mir aus."
„Nein."
„Doch, definitiv. Also, um zum Thema zurück zu kommen, stimmt es?
Ich wusste echt nicht, was ich antworten sollte. Mit der Wahrheit herauszurücken würde alles noch schlimmer machen, aber ich hasste lügen und konnte es auch überhaupt nicht, dabei überzeugend zu klingen.
Gequält sah ich ihn an und fragte mich, ob mein Schweigen nicht schon Antwort genug war. Anscheinend nicht, denn Alex sah mich immer noch forschend an und ich war in seinem Blick gefangen. Seufzend gab ich auf.
„Na schön. Du willst es unbedingt hören, oder? Ja, Alex, ich bin in dich verliebt. Jetzt zufrieden? Warum bist du überhaupt hier? Ich denke, du hast es letztens ziemlich klar gemacht, was du über uns denkst."
Alex' sagte nichts, sondern starrte mich einfach mit einer Mischung aus Überraschung und Verwirrung an, falls ich seinen Gesichtsausdruck denn richtig deutete. Auch wenn es sich für einen kurzen Moment gut angefühlt hatte, die Worte endlich einmal laut auszusprechen, machte es mir doch ein wenig Sorgen, dass er nichts sagte.
Ich würde es nicht ertragen können, wenn er jetzt ohne etwas zu sagen gehen würde. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, nicht um genervt zu wirken, sondern, damit es nicht auffiel, dass meine Hände zitterten. Als Alex auf einmal mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht einen Schritt auf mich zumachte, machte ich einen nach hinten.
Warum grinste er denn jetzt? Machte es ihm so viel Spaß, mich leiden zu sehen? Das passte definitiv nicht zu Alex und jetzt war ich diejenige, die verwirrt drein blickte.
„Alex? Warum sagst du nichts?" Anstatt etwas zu sagen, machte er noch einen Schritt auf mich zu und als ich ihm wieder ausweichen wollte, hielt er mich an den Schultern fest. Sanft, aber fest genug, dass ich nicht weiter zurück konnte.
Er beugte sich noch weiter zu mir und schloss die Augen. Ich vergaß, wie man atmete, als er sich wahnsinnig langsam meinem Gesicht näherte und die Augen schloss. Als seine Lippen dann meine berührten, schlossen sich meine Augen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.
Auch wenn ich irgendwo in mir drin wusste, dass ich es nicht überstehen würde, wenn er mich schon wieder küsste und dann gehen würde, konnte ich gar nicht anders als auf seinen Kuss zu reagieren.
Mein Körper reagierte ohne, dass ich es kontrollieren konnte, und ich küsste ihn zurück. Der Kuss war nicht wie der erste, nicht so leidenschaftlich und fordernd, eher langsam und süß, aber er berührte mich sogar noch mehr. Nach ein paar Minuten - oder vielleicht waren es auch nur Sekunden gewesen - löste er sich von mir und blickte in meine Augen, die ich wieder geöffnet hatte, sobald seine Lippen nicht länger meine berührten.
„Das hätte unser erster Kuss sein müssen", hauchte Alex und ich zitterte, als ich seinen Atem auf meinen Lippen spürte.
„Ich versteh' nicht ganz...", fing ich an, brach aber mitten im Satz ab, als ich spürte, wie seine Hände über meiner Arme zu meinen Wangen wanderten.
„Ich weiß und das tut mir leid."
„Erklär's mir", bat ich, nicht ganz sicher, worauf ich mich mit meiner Aufforderung einließ. „Ich konnte immer wie in einem offenen Buch in dir lesen, aber gerade im Moment bin ich total ratlos."
Er nickte und zog mich sanft in Richtung Sofa. Da er mich immer noch berührte, war ich gar nicht in der Lage, mich gegen ihn zu wehren. Andererseits war ich von unserem Kuss immer noch etwas benebelt, also sowieso nicht ganz bei der Sache.
Als wir zusammen auf dem Sofa saßen, blickte er mich an und begann zu reden.
„Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht genau, wo ich anfangen soll." Er überlegte kurz. „Vielleicht mit unserem letzten Tag auf der Highschool." Mein Gesicht verzog sich ein wenig bei dem Gedanken an das, was ich damals vor etwas mehr als vier Jahren getan hatte, aber Alex tat so, als würde er es nicht merken.
„Ich war am Ende, als du mir gesagt hast, dass du nicht mehr mit mir befreundet sein möchtest. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden." Ich schloss die Augen, um die schmerzhafte Erinnerung loszuwerden, die mich schon seit vier Jahren immer wieder in der Nacht heimgesucht hatte.
„Das kann ich mir vorstellen", murmelte ich.
„Das kannst du?" Alex klang nicht wirklich überzeugt und eine Welle des Mitleids wogte in mir auf.
„Ja, das kann ich wirklich. Ich habe tagelang nicht wirklich geschlafen und auch keinen Appetit gehabt. Selena und Jason mussten mich zwingen, etwas zu essen."
„Ich dachte, dass es nur mir so ginge und du mich loswerden wolltest, bevor du aufs College gehst." Überrascht zog ich die Luft ein. Hatte er das denn wirklich von mir gedacht?
„Ich? Dich loswerden? Ich war vollkommen am Ende ohne dich! Wir hätte ich es denn nicht sein können? Ich weiß nicht, wie ich es ohne dich ausgehalten hätte, du warst doch alles für mich." Ich biss mir auf die Zunge, nicht sicher, ob ich den nächsten Satz, der mir im Kopf herum schwebte, noch sagen sollte oder nicht. „Und bist es immer noch."
Auf Alex' Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. „Du weißt nicht wie gut es sich anfühlt, das zu hören." Ich lächelte unsicher, nicht ganz sicher, wie ich reagieren sollte.
„Und im Übrigen kann ich auch nicht ohne dich, Elena Spencer. Die vier Jahre waren echt hart ohne dich als meine beste Freundin." Ich sog scharf die Luft ein.
„Beste Freundin?", krächzte ich vollkommen fassungslos.
„Nein. Nein!" Um mich zu beruhigen, griff er nach meiner Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. „So meinte ich das nicht. Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich wie verrückt vermisst habe. Und ich kann dich gar nicht mehr als beste Freundin sehen, man entwickelt keine Gefühle für seine beste Freundin. Was ich sagen will, ist, dass ich dich auch liebe, Elena Spencer."
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Trying not to love you
RomanceVier Jahre können eine echt lange Zeit sein, in der sich alles ändern kann - oder eben auch gar nichts. Das stellt zumindest Elena Spencer fest, als sie nach einem vierjährigen College-Aufenthalt wieder nach New York zurückkehrt. Ihre Freunde sind i...