Kapitel 8

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Es war Freitag Abend und ich saß auf meinem Zimmerboden. Nach Schulbeginn war das bis jetzt die anstrengendste Woche. Mein Kopf platzte, jeden Tag hatte ich die Erinnerung an irgendeine Hausaufgabe.
In Englisch würden wir nächste Woche sogar den ersten Test schreiben.

Frau Weiss bat mich darum, nach dem Test einen Song von meinem Dad der Klasse vorzustellen.

Ich hatte meiner Mum nichts erzählt, sie würde nicht wollen, dass ich mich mit den Songs von meinem Dad befasste. Möglicherweise würde sie sogar zu meiner Englischlehrerin hingehen und mit ihr darüber reden.

Also saß ich jetzt Freitag Abend in meinem Zimmer und kramte in der alten Kiste, die ich unter meinem Bett versteckt hatte.

Auf der Suche nach den CD's, fand ich jedoch alte Briefe. Briefe, die ich an meinen Vater geschrieben hatte, nachdem er gestorben war.

Ich nahm den ersten Umschlag, der ganz oben lag, in meine Hände. Erfühlte sich so schwer an, als wäre es kein Blatt, was in dem Umschlag war, sondern Steine.

Mein Herz fing an schneller zu schlagen und mir wurde warm. Ich hatte die Briefe vollkommen vergessen, sie waren so lange her und in der Zwischenzeit war so viel passiert.

Mein Dad starb, als ich zwölf war. Ich fing an Briefe an ihn zuschreiben, weil ich nicht mehr mit ihm reden konnte. Klar, ich hatte meine Mum, aber die Bindung zu meinem Dad war etwas ganz anderes.

Ein Jahr nachdem ich meinen Dad verloren hatte, lernte ich Lukas kennen. Ich erzählte meinem Dad alles über ihn. Je stärker meine Bindung zu Lukas wurde, desto mehr vergaß ich meinen Dad. Ich hörte auf, ihm zu schreiben.

Meine Hände zitterten, als ich den Umschlag öffnete und den Brief herausholte. Ich entfaltete das Blatt Papier und meine alte, fast unleserliche, Schrift kam zum Vorschein.

12. Dezember 2011, stand in blau in der ersten Zeile. Ich fing an zu zittern und mein Brustkorb zog sich zusammen. Das war vier Jahre her. Vor vier Jahren schrieb ich den ersten Brief an meinen Dad. Im selben Jahr, in dem er den Autounfall hatte.

Ich schloss kurz meine Augen und versuchte mich zu beruhigen.

Es war Vergangenheit, vorbei. Egal, was ich damals in die Briefe geschrieben hatte, die Dinge sind passiert und ich kann sie nicht rückgängig machen.

Langsam öffnete ich meine Augen und fing an zu lesen.

Lieber Dad,

seit dem du gegangen bist, sind zwei Monate vergangen. Es war komisch, weil du nicht an meinem Geburtstag da warst. Ohne dich war es nicht so schön. Mum hatte an dem Tag geweint und ich musste auch weinen. Wir vermissen dich und wollen, dass du wieder kommst. Mum sagt, irgendwann treffen wir uns alle wieder, aber das dauert noch eine Weile.

Ich habe mir deine Gitarre genommen und sie in mein Zimmer gestellt. Ich möchte auch wie du Gitarre spielen können, aber jedesmal, wenn ich das Mum erzähle, fängt sie an zu weinen.

Ich war ein bisschen sauer, dass du einfach so gegangen bist. Von heute auf morgen, warst du plötzlich nicht mehr da. Es fühlt sich so komisch an, das Haus ist so ruhig, Mum geht nicht mehr in den Kindergarten und schläft ganz viel.

Ich glaube meine Freunde wollen nicht mehr mit mir befreundet sein, keiner redet mit mir.

Letzte Woche habe ich mich auf dem Schulklo eingesperrt, es war mir peinlich vor meiner Klasse zu weinen. Eigentlich weine ich sehr oft, wenn ich an dich denke.

Papa, ich vermisse dich so sehr. Ich erzähle es Mum nicht, damit sie nicht noch trauriger wird.

Manchmal vergesse ich, dass du nicht mehr da bist und dann warte ich Abends im Bett auf dich.

CassandraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt