Winter, 2016
Garmisch-Partenkirchen, Bayern„Warum hast du hier eigentlich einen Fernseher?", fragte die Blondhaarige Ärztin und blieb vor dem Bildschirm stehen. „Wieso? Hättest du auch gerne einen?", fragte ich zurück und schnappte mir den weißen Kittel, der über der Stuhllehne hing. Ich warf mir den Kittel über und blieb neben meiner besten Freundin Anne stehen.
„Da fragst du noch? Ich war kurz davor die ganzen Fernseher meiner Patienten zu synchronisieren, sodass ich fernsehen konnte und nicht die Patienten", meinte sie und warf sich eine Rosine von dem Studentenfutter in den Mund, „Und warum zum Teufel schaut ihr überhaupt Skispringen an? Ich meine was ist mit den guten alten romantischen Komödien? Das ist doch langweilig"
„Weil wir hier auch noch arbeiten müssen. Wir schauen uns eh nur die Deutschen an. Schau, da ist schon der Nächste. Patrick Kühn, noch nie gehört", antwortete ich und deutete auf den Bildschirm, der von der Decke hing. „Doch, der ist schon beim Weltcup in Engelberg gestartet. Hat da letztes Jahr einen guten Dritten Platz belegt", antwortete Anne wie aus dem Nichts.
Überrascht zog ich meine Augenbraun hoch und blickte zu ihr auf. „Du kennst dich ja doch im Skisport aus", meinte ich neckend und beobachtete ihre Reaktion. Mit großen Augen wandte sie sich von dem Bildschirm ab, blickte auf mich hinab und sagte: „Was? Nein, ich habe damals zufälligerweise Mal eingeschaltet gehabt. Er ist mir halt in Erinnerung geblieben" „Ja klar", sagte ich nur mit einem wissenden Grinsen und wandte mich wieder dem Bildschirm zu.
Zwei meiner Kollegen wendeten sich von den Mikroskopen vor ihnen ab und blickten ebenfalls auf den Bildschirm. Es war schon ein bisschen zur Tradition geworden, dass wir in den Wintermonaten immer bei den Skisportlern zusahen. Im Sommer blieb der Bildschirm meistens schwarz.
Der Mann im Fernsehen zog sich die Skibrille über die Augen, ehe das Bild des Trainers eingeblendet wurde. Mein Magen zog sich etwas zusammen, doch schon schwenkte der Braunhaarige Mann die Fahne hinunter und auf dem Bildschirm wurde wieder Patrick Kühn eingeblendet.
Er stoß sich von der Bank ab und ging in die Hocke. Im Labor wurde es leise und mit angehaltenem Atem folgten wir dem flimmernden Bildschirm. Kühn sprang so gut wie Perfekt ab. Anfangs waren seine Ski hinten überkreuzt, doch dann war er in eine stabile Sprunghaltung übergegangen.
Der Sprung verlief perfekt und er sprang weit. Ich war mir schon fast sicher, dass er sich den ersten Platz sichern würde als er die grüne Linie überflog. Er landete und riss seinen Arm schon in die Höhe, ehe die Bindung seines Rechten Skis aufging, sein gelber Ski sich verdrehte und er zu Boden stürzte. Scharf zog ich die Luft ein und hielt mir die Hand vor den Mund. Kühns Ski hatte sich so verdreht, dass ich mir sicher war, dass er sich mindestens das Kreuzband gerissen haben musste. Die restlichen Meter schlitterte er den Schnee hinunter und blieb schließlich regungslos liegen.
„Der kommt zu uns", sagte ich leise und erntete zustimmendes Gemurmel von meinen Kollegen. Anne hingegen verdrehte nur ihre sturmgrauen Augen. „Wetten ich darf ihn behandeln?", fragte sie und schüttelte dabei genervt ihren Kopf. Ein schmales Grinsen bildete sich auf meinen Lippen. „Tja, für einen der besten Skispringer nur die beste Ärztin", meinte ich und ließ mich auf meinen Stuhl fallen um mich wieder meinen Proben zu widmen. Auf dem Bildschirm des Fernsehers wurde noch immer der Sturz des Springers gezeigt.
„Ich hasse die Vierschanzentournee", beteuerte Anne und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. „Wieso? Das Neujahrsspringen ist Tradition. Außerdem solltest du dich nicht immer so aufregen. Ist nicht gut für das Herz. Und denk dran, es wäre doch viel langweiliger, wenn wir hier nie irgendwelche Prominenz hätten", meinte ich nur grinsend und blickte durch das Mikroskop hindurch.
„Wir sind hier in Garmisch. Einmal im Jahr haben wir Prominenz im Haus das war es dann aber auch schon. Sonst haben wir nur verletzte Bergsteiger, Skifahrer und wenn es hoch her geht haben wir auch noch alte Leute mit Herzinfarkten. Das ist wirklich nichts Besonderes", jammerte die Blondhaarige und versenkte ihren Kopf in ihren Armen. „Stell dich nicht so an. Du wusstest dass es hier nicht München oder Ulm ist", merkte ich an und nahm einen Zettel aus einer der Schubladen um meine Erkenntnis festzuhalten.
Plötzlich klingelte der Pieper der Ärztin und gelangweilt holte sie ihn aus ihrer Tasche. Genervt verdrehte sie ihre Augen und sagte: „Notaufnahme. Ich werde sterben" „Jammer nicht so rum. Sicherst du mir ein Autogram?", fragte ich stattdessen mit einem feixenden Grinsen und schickte Anne mit einer Handbewegung aus meinem Labor.
„Halt die Klappe. Skispringer sind immer so eingebildet. Ich hasse die Vierschanzentournee", sagte sie genervt. „Vielleicht ist Patrick ja anders. Vielleicht ist er nicht eingebildet, sondern auf dem Boden geblieben. Das kannst du nie wissen. Außer du hast ihn schon Mal behandelt", sagte ich und kniff für einen kurzen Moment meine Augen zusammen. „Du hast ihn doch noch nicht behandelt, oder?", fragte ich und musterte meine beste Freundin.
„Nein, aber trotzdem", protestierte sie und ließ sich kurz wieder auf den Stuhl fallen. „Bist du ein Fan von ihm?", fragte ich sie und bekam einen Schlag auf meinen Oberarm. „Du bist ein Fan von ihm", rief ich begeistert aus und klatschte in meine Hände. „Sei still. Wir klären das beim Abendessen ja?", sagte sie und verschwand nach einem Nicken von mir aus dem Labor.
Kopfschüttelnd blickte ich ihr hinterher und widmete mich wieder meinen Blutproben. Wenn sie sich da mal nicht ins eigene Fleisch schnitt.
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Wie ich lernte zu fliegen
Ficção GeralLuisa verlor bei einem tragischen Schicksalsschlag alles. Ihr Vertrauen, ihren Mut. Seitdem stehen ihre Ski in der Ecke. Viel zu groß ist ihre Angst. Doch als eines Abends ein mysteriöser Mann vor ihrer Haustür steht, und nach einem Kanister Benzin...