Knapp eine Stunde nach dem Ende des Springens saßen wir in meinem Wagen und waren auf dem Weg nach Bischofshofen. In unserem Auto herrschte Feierstimmung. Nur schwer konnte ich mich auf die Straße konzentrieren, denn Max meinte immer wieder, dass er den Kasper spielen musste und somit Anne und Patrick auf der Rückbank zum Lachen brachte.
Panisch bat ich um Ruhe und drehte das Radio lauter, als die Tageszusammenfassung der Tournee gebracht wurde. „Das war mal wieder ein spannender Tag in Innsbruck. Gewonnen hat das Springen heute unser Österreicher Philipp Götz, Zweiter wurde der Pole Oskar Janowski und Dritter – der Zuschauerliebling – Maximilian Mayrhofer, den wir für Sie extra noch ans Mikro bringen konnten“
Es kam ein Einspieler des Radiosenders und anschließend ertönte die Stimme eines weiteren Moderators: „Max, erstmal herzlichen Glückwunsch. Wie fühlt es sich jetzt hier an Dritter Stelle zu stehen?“ „Super, einfach nur noch super. Klar man kann sich immer Verbessern, aber ich bin hier mit dieser Platzierung echt zufrieden. Hätte für mich nicht besser laufen können“, antwortete er und Max neben mir vergrub voller Scham sein Gesicht in seinen Händen, was mich zum lachen brachte.
„Gestern haben Sie ja einem deutschen Fernsehsender gesagt, dass Sie vielleicht einen Glücksbringer hatten. Hat sich der Glücksbringer, denn bekannt gegeben?“, fragte er und ich hätte schwören können, dass er dabei ein schelmisches Grinsen auf den Lippen gehabt hatte. Max lachte laut auf und sagte anschließend: „Ja, das war so eine Sache. Sie hat gestern zugegeben, dass sie meinen Sprung nur im Fernsehen gesehen hat, aber heute hat sie zugeschaut und das ist doch schon Mal was“
Ich brach in schallendes Gelächter aus und schüttelte nur meinen Kopf. Nur schwer konnte man den Moderator unter meinen Lachen verstehen. „Erfährt man denn den Namen der Guten?“, fragte der Mann. „Nein, wir lassen es langsam angehen. Ich bin froh, dass im Moment alles im Butter ist. Außerdem weiß ich gar nicht ob sie will, dass ich ihren Namen hier öffentlich bekannt mache“, wehrte Max ab und als ich einen kurzen Blick zu ihm hinüber warf, konnte ich selbst im Dunklen erkennen, wie Rot er doch war. Sein breites Grinsen schien in sein Gesicht gemeißelt zu sein.
„Na, da werden jetzt aber viele Mädchen enttäuscht sein. Sie sind also nicht mehr zu haben. Aber jetzt weg von den Weibergeschichten zurück auf das Wesentliche. Was haben Sie für Bischofshofen geplant? Sie wissen, dass sie nur noch gut Zehn Meter mehr zu springen haben um auf Platz Eins zu stehen. Haben Sie sich das als Ziel gesetzt?“, lenkte der Moderator wieder zurück auf den Sport.
„Natürlich wären die Zehn Meter schon geil aufzuholen, aber ich warte jetzt einfach darauf was der Wind gibt und wie die Schanze so präpariert ist. Aber ich würde mich auch über einen zweiten Platz freuen“, antwortete Max – „Das ist schön zu hören, und wenn ich das sagen darf, mit über Fünfzig Meter Abstand zu dem Drittplatzierten ist ihnen ein Podestplatz eigentlich garantiert. Danke für die paar Minuten die die für uns aufbringen konnten, Max Mayrhofer meine Damen und Herren“
Ich stellte das Radio wieder leiser und meinte zu Max: „War ein tolles Interview“ Er nickte zustimmend und von der Rückbank kam es von Anne: „Erzähl mal von deinen tollen Interviews“ „Was für Interviews?“, fragte ich stattdessen nur und setzte ein gespieltes Lächeln auf meine Lippen. Hoffentlich würden die Jungs nicht auf diesen Kommentar eingehen, doch genau das Gegenteil taten Sie. „Du hattest auch schon Interviews?“, fragte Patrick mit einem neugierigen Unterton.
„Nein, hatte ich nicht“, wehrte ich weiter ab und merkte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Lüg nicht. Eine Beziehung baut man nicht auf Lügen auf, das weißt du“, warf Anne ein und ich merkte ihren stechenden Blick in meinem Rücken. „Anne es Reicht!“, meinte ich forsch und scherte Rechts ein um auf einen Rastplatz zu fahren. In einer Parklücke stehend, zog ich die Handbremse an und riss die Fahrertür auf.
Ich trat in die kalte Nachtluft hinaus und blieb neben einem kleinen Baum stehen. Ich stützte meine Hände auf meine Knie und atmete tief ein und aus. Anschließend richtete ich mich wieder auf und zog meine Nase hoch. Weinen war nicht angebracht. Überhaupt nicht.
Ich holte noch Mal tief Luft, schüttelte meinen Kopf und ging wieder zurück zum Auto. Schweigend ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen und schnallte mich wieder an. „Luisa es tut mir Leid. Ich wollte nicht –“, fing Anne an, doch ich unterbrach sie: „Sei Still. Ich will heute nichts mehr von dir hören“
Im Auto breitete sich eine angespannte Stille aus, die auch von niemand unterbrochen wurde bis wir in Bischofshofen waren. Ich parkte mein Auto auf einem der freien Parkplätze und ließ den Motor absterben.
Zusammen gingen wir auf den Eingang des Hotels zu und wurden wenig später von einer Dame auf unsere Zimmer begleitet. Max und Patrick halfen uns noch unsere Koffer hoch in den zweiten Stock zu wuchten, ehe wir uns voneinander verabschiedeten und jeder für sich ins Bett ging.
Ich stand auf dem Balkon und starrte stur auf die wenig befahrene Straße hinab. Ich hörte wie Anne die Balkontür aufschob und neben mir trat. „Es tut mir Leid. Ich dachte du reagierst nicht mehr so empfindlich auf dieses Thema“, meinte sie und blickte ebenfalls hinunter auf die Straße. „Du hattest kein Recht es vor Max anzusprechen. Was wenn er mich jetzt googlet. Wenn er sich die Interviews auf YouTube ansieht? Er wird denken, dass ich ihn die ganze Zeit angelogen habe. Er wird das mit meinem Bruder raus finden. Er wird mich innerhalb von wenigen Sekunden hassen“, sagte ich und war selbst über die Härte meiner Stimme überrascht.
„Ich weiß und ich hoffe, dass ich euere Beziehung nicht zerstört habe. Das war Scheiße von mir und ich kann verstehen wenn du mich deine Lebzeit hassen wirst. Jedenfalls ich schlafe auf dem Sofa. Du kannst das Bett haben“, sagte sie und ließ demütig ihren Kopf hängen. „Versprich mir einfach, dass du das nie wieder machen wirst. Dann lass ich dich auch mit im Bett schlafen“, meinte ich und schlug einen Versöhnlichen Ton an. „Klar verspreche ich es dir. Gott es tut mir so leid. Ich dachte wirklich du wärst darüber hinweg“, sagte sie und schlang ihre Arme um mich. „Bin ich nicht. Vor allem weil das hier so vertraut ist“, meinte ich leise und Anne nickte verstehend. „Ich lass dich mal in Ruhe. Erkälte dich aber nicht. Wir wollen morgen noch auf die Piste“, meinte sie mit einem schmalen Lächeln und ging anschließend zurück in unser Zimmer.
Ich hingegen kramte aus einer Truhe in der Ecke eine Wolldecke heraus und ließ mich auf einen Stuhl im Eck des Balkons fallen.
Ich wusste nicht wie lange ich so dagesessen war, doch ich zuckte erschrocken zusammen, als aus dem Zimmer neben mir die Zimmertür aufgeschoben wurde und jemand auf den Balkon hinaus trat. Ich wandte meinen Kopf zu derjenigen Person um und erstarrte. Mark schloss die Tür hinter sich und erblickte anschließend mich. Verwirrt blickte er mich an.
„Und ich Dummkopf habe gedacht, dass ihr nur Karten für Innsbruck habt“, meinte er und ging langsam auf mich zu. Ich schüttelte nur meinen Kopf und sagte: „Das sind eigentlich die Karten von Patricks Eltern. Aber da er jetzt nicht mehr springen kann, hat er sie uns gegeben“ „Das ist eine sehr nette Geste von ihm“, sagte Mark und setzte sich auf die kleine, halbhohe Betonmauer, die unsere Balkone voneinander trennte. Eine kurze Stille breitete sich zwischen uns aus.
„Hast du mir immer noch nicht verziehen?“, fragte er mich leise und male unsichtbare Muster auf die weiße Mauer. „Warum sollte ich?“, meinte ich nur kalt und richtete mich auf. Auf diese Unterhaltung hatte ich überhaupt keine Lust. „Du kannst nicht immer vor allem Weglaufen! Weißt du überhaupt wie ich mich damals gefühlt habe? Du warst auf einmal nicht mehr da! Du hast mir das Herz gebrochen“, rief er aus und klang dabei kraftlos.
Ich faltete die Decke zusammen und warf sie in die Truhe zurück. „Das zwischen uns war an dem Tag vorbei als du ihn Springen hast lassen. Und ich werde dir dafür niemals verzeihen können. Er war alles was ich noch hatte“, meinte ich kalt und griff nach der Balkontür.
Dann drehte ich mich zu ihm um und musterte ihn. „Weißt du überhaupt wie es sich anfühlt alles in seinem Leben zu verlieren? Alles, wirklich alles.“, fragte ich ihn und ging anschließend in mein Zimmer.
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Wie ich lernte zu fliegen
Ficción GeneralLuisa verlor bei einem tragischen Schicksalsschlag alles. Ihr Vertrauen, ihren Mut. Seitdem stehen ihre Ski in der Ecke. Viel zu groß ist ihre Angst. Doch als eines Abends ein mysteriöser Mann vor ihrer Haustür steht, und nach einem Kanister Benzin...