Kapitel 1 - Die Flucht

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Dumpfes Hufgeklapper erfüllte die nächtlichen Gänge der Alvarrsburg, als eine vermummte, dunkelbraune Stute ihre beiden Fohlen, einen Fuchs und einen Dunkelbraunen, der einmal ein Schimme werden würde, vorantrieb. Beide Fohlen hatten eine markante Schnippe und einen Stern im Gesicht und vier gleich hohe, weiße Beinabzeichen. Lediglich ihre Fellfarbe unterschied die beiden Zwillinge, die sonst womöglich jeder verwechselt hätte, wenn dieser glückliche Umstand nicht der Fall gewesen wäre.

Ihre Hufe waren in Tücher gebunden, um auf dem harten Steinboden so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen, doch die Fohlen quiekten vor Aufregung, als sie verspielt um ihre angespannte Mutter herum tollten.

»Ui toll, eine Nachtwanderung!«, quiekte das dunkelbraune Fohlen.

»Wohin gehen wir denn, Mama?«

»Wir dürfen sonst nie nachts hinaus!«, schnaubte der kleine Fuchs ergänzend, bevor er spielerisch nach seinem großen Bruder auskeilte, der ihm auf die Hinterhand aufgelaufen war. Hektisch zischte die Stute ihren Fohlen zu, dass sie sich leise verhalten sollten. Ihre scharfen Ohren hatten die Huftritte von Wächtern erfasst, die in der Ferne näher kamen. Eilig stupste sie ihre Kinder in einen Gang, der Seitlich von dem abzweigte, in dem sie gerade eben noch gewandelt waren.

»Wovor verstecken wir uns denn? Das ist doch nur Sir Brander und sein Knappe Jonasch«, wieherte der Fuchs verwirrt ins Dunkel hinein. Seine Mutter hatte die Ohren angelegt und die feinen Nüstern der Fohlen hatten sofort erfasst, dass die hübsche Stute Angst hatte. Doch wovor sich ihre Mutter fürchtete, konnten sie einfach nicht verstehen.

Deshalb machte Mildri kurz kehrt. Sanft knabberte sie ihren Fohlen am Schopf und lächelte ihnen beruhigend zu. Sie würde ihnen unmöglich die Wahrheit sagen können.

»Wir spielen nur verstecken mit Papa«, schnaubte sie sanft. »Deshalb müsst ihr jetzt ganz leise sein, damit seine Wachen uns nicht finden. Schafft ihr das?«

Eifrig nickten die beiden Fohlen. 

»Ui toll!«, japste der Dunkelbraune. »Die werden uns niemals finden! Ich werde leise sein, wie eine Maus!«

»Du bist doch laut wie ein Elefant! Dich finden sie gewiss zuerst, du Trantüte von einem Thronfolger! Prinz von Trampeltier würde eher zu dir passen, als Frodur Eirik van Alvarr«, entgegnete sein Bruder frech, woraufhin er sich einen Tritt von dem Dunkelbraunen einfing, der nun natürlich seinen Ruf verteidigen musste.

»Bitte, wirst du wohl still sein?!«

Mildri hätte sich an jedem anderen Tag über ihre aufgeweckten, jungen Prinzen gefreut, doch nun erst bemerkte sie die Schritte aus dem Gang vor ihnen und die aus dem Gang, den sie bereits hinter sich gelassen hatten. Sie saßen in der Falle!

Panisch sah sich die hübsche Stute um, zog sich ihre Kapuze tiefer ins Gesicht und drängte ihre Fohlen weiter. Da spürte sie eines ihrer Kinder ihr ungeduldig am Mantel zupfen.

»Was hast du denn?«, fragte sie den kleinen Fuchs, der stumm auf eine halb geöffnete Tür zeigte, die ein paar Pferdelängen hinter ihnen lag. Mildri verstand sofort und schloss die Tür hinter sich und ihren Kindern.

Der Raum, in dem sie sich befanden, war zu dunkel, um etwas sehen zu können, doch sie vermutete, dass sie sich in der Waffenkammer befanden.

Still presste sie ein Ohr an die Tür und lauschte nach draußen. Eine halbe Ewigkeit lang warteten Mutter und Fohlen darauf, dass die Schritte der Wächter in der Ferne verklungen waren, bevor sie die Tür wieder einen Spaltweit öffneten, um ihre Reise fortzusetzen.

Es dauerte nicht mehr lange, da wehte der kleinen Familie frischer Wind um die Nüstern. Endlich im Innenhof der Burg angekommen, erblickte Mildri das geöffnete Burgtor, vor dem sich zwei Wachen postiert hatten.

BRÜDER - Die Chroniken von SkjellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt