"Nun halt schon still!", schnaubte Laina unwirsch, als Veikko fiepend zusammen zuckte. Wie durch Butter glitt die scharfe Klinge ihres Küchenmessers durch seine seidige Fohlenmähne. Dicke, schwarze Strähnen fielen zu Boden, als sie sein Langhaar bis zum Ansatz stutzte, sodass er aussah, wie eines der armseligen Sklavenfohlen, das von Pferdehändlern gefangen genommen, ausgepeitscht, rasiert und schließlich nach Van Alvarr gebracht worden war, um dort als lebenslanger Diener an das Königshaus verkauft zu werden.
Traurig betrachtete der dunkelbraune Junghengst sich im Spiegel. Es war seine Idee gewesen, nicht die seiner neuen Familie. Sie hätten ihm so etwas sicher niemals freiwillig angetan, da war sich Veikko sicher.
Bjame hatte deutliche Bedenken geäußert, dass einige Pferde im Dorf womöglich misstrauisch werden könnten. Solche Pferde würden nicht davor scheuen, seinen Aufenthaltsort gegen die auf seinen Kopf ausgesetzte Belohnung an das Königshaus weiterzuleiten. Deshalb musste er sich tarnen. Sein von den Dornen zerfetzter Pelz war da erst der Anfang. Aber er würde größer werden. Sein Körper würde sich der harten Arbeit auf dem Hof anpassen, sein Fell würde ausschimmeln und spätestens dann würde niemand mehr in ihm das entflohene Fohlen des Königs erkennen können.
Jeder im Königreich wusste, wie die beiden Fohlen des Königs aussahen. Das war schließlich keine Kunst. Erst recht jetzt, wo mit Gewissheit bald Ausschreibungen auf seinen Kopf im ganzen Dorf ausgehängt werden würden. Das hatte Bjame zumindest gesagt.
Immer, wenn ein Pferd gesucht wurde, hängte man Plakate mit einer Zeichnung des Gesuchten im Dorf auf. Derjenige, der das Pferd fand, wurde mit hohen Geldsummen entlohnt. Und eine solche Geldsumme war in einem armen Dorf wie Kilgrim ein ganz außerordentlicher Anreiz, die Treue zu seinen Freunden ein wenig schleifen zu lassen und damit seine eigene Haut zu retten.
Aber Bjame und Laina würden sterben, wenn es soweit kam. Das konnte Veikko nicht zulassen! Immerhin hatte er mit dem Kürzen seiner Mähne einen Schritt in die richtige Richtung gewagt.
"Deine Mähne macht mir weniger Sorgen, als dein Abzeichen", knurrte Bjame jedoch nur düster. "Du siehst exakt wie dein Bruder aus. Niemand wird das leugnen können. Umso schwieriger wird es, dich überJahre hinweg glaubwürdig vor den Augen der Ritter zu tarnen."
"Ich dachte, ihr hättet Freunde, die euch helfen", wieherte Veikko erschrocken. Hatten sie ihn angelogen, nur um ihn zu beruhigen? "Ihr habt gesagt, dass alles gut werden würde! Ihr habt gesagt, hier wäre ich in Sicherheit!"
Laina warf Bjame einen flehenden Blick zu, damit er die nagenden Zweifel des Fohlens stillte. Ihr Gemahl suchte vorsichtig schnaubend Veikkos Aufmerksamkeit, der sich mit hängenden Ohren von ihm abgewendet hatte, ehe er seufzte und schwermütig aus dem Fenster blickte.
"Das bist du doch auch, Junge!", brummte er mit tiefer, warmer Stimme. Veikko hob den Kopf und erblickte die massive Silhouette des Pferdes gegen das, durch das Fenster hereinströmende, Sonnenlicht. Und trotz der Stärke, die er ausstrahlte, bemerkte Veikko zum ersten Mal etwas wie Wehmut in dem alten Pferd, als es seinen Blick wachsam über die Gefilde außerhalb der Mühle schweifen ließ.
"Ja, wir haben Freunde, die uns helfen. Aber wie überall gibt es Schwarze Schafe, die egoistisch sind und anderen ihr Glück nicht gönnen. Dem müssen wir vorbeugen."
"Wir könnten auch einfach die Zeichnung verfälschen", schnaubte Veikko schließlich. "Dann würden sie nach einem falschen Pferd suchen!"
"Das wäre eine Möglichkeit", merkte Bjame an. "Wir haben das Glück, dass unsere Mühle so weit außerhalb von Kilgrim liegt. So wirst du wenigstens nicht allzu oft gesehen werden, wenn du dich hinaus wagst."
Laina, die in der Zwischenzeit geschäftig in einer Schale gerührt hatte, trat nun näher und rieb eine dickflüssige, schwarzbraune Masse aus Ruß, Lehm und Wasser auf Veikkos Stirn. Der junge Hengst blickte in den Spiegel vor sich und staunte. Das Abzeichen auf seiner Stirn war vollständig verschwunden. Bis auf den nassen Fleck, der langsam trocknete, erkannte man nur noch, wenn man es wusste, dass sich darunter sein Stern verbarg.
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BRÜDER - Die Chroniken von Skjell
פנטזיה(Cover nicht final) ACHTUNG!: Diese Geschichte ist formuliert als eine Art Fabel, in der alle Charaktere als Pferde dargestellt sind. Ihr Verhalten ist sehr stark vermenschlicht und könnte in einer anderen Version auch auf Menschen umgeschrieben wer...