Kaum war Veikko aus dem Zimmer, fiel Martha das Lachen augenblicklich aus dem Gesicht. Sie wirkte urplötzlich, als ob auf ihrem Rücken eine schwere Last läge, die sie alleine zu stemmen hatte. Bjame beobachtete schweigend, wie Laina die alte Stute stützte, als sie zu fallen drohte und sie vorsichtig an den Esstisch geleitete, wo eine Schale Wasser für sie bereit stand.
Einmal mehr kam Bjame nicht umhin zu bemerken, wie sehr sich die Züge der beiden Stuten ähnelten. Martha war das letzte Überbleibsel aus Lainas Familie. Sie hatte damals die Dorfbäckerei ihrer älteren Schwester übernommen, als diese an einer unbekannten Krankheit urplötzlich verstorben war. Und wie es sich für eine gute Tante gehörte, hatte sich Martha nach dem Tod von Lainas Mutter dafür zuständig gefühlt, dass es ihrer kleinen Nichte an nichts fehlte.
Sie war Augen und Ohren des Dorfes und eine außerordentlich gesprächige Stute. Wenn ein Pferd über den Klatsch und Tratsch von Kilgrim Bescheid wusste, dann war sie es. Martha war eine absolut gute Seele aber leider so zerbrechlich, wenn es um tragische Schicksale ging. Dennoch konnte man sich darauf verlassen, dass sie wichtige Geheimnisse für sich behielt und sie nicht einfach ausplauderte. Und nur das zählte im Moment.
»Was ist passiert?«, schnaubte Laina besorgt. Martha zog ein Taschentuch aus ihrer Tasche auf der anderen Seite ihres Gurtes um ihren Bauch, legte es sich auf ihr Vorderbein und tupfte dann ein paar Tränen von ihrer Wange.
»Es ist die kleine Van Alviss«, schniefte sie. »Sie soll heute inoffiziell hingerichtet werden. Tod durch Enthauptung.«
»Was?!«
Augenblicklich fuhr Bjame herum. Er hatte wohl nicht richtig gehört. Mildri Van Alviss war Teil einer Allianz mit dem Van Alviss Königreich. Eine Hinrichtung würde König Farin Van Alviss entzürnen und könnte einen Krieg mit dem Norden des Landes bedeuten.
»Woher weißt du das?«, fragte er, merkte dabei aber nicht, wie er immer lauter wurde. Seine erregte Stimme ließ Martha noch kleiner werden, als sie ohnehin schon war.
»Ich weiß es von Jodi, die weiß es von Alana und die weiß es von Smilla. Und Smilla ist schon lange Dienerin im Königshaus, das wisst ihr doch.«
Bjame rollte mit den Augen. Derartige Flüsterpost war niemals zu hundert Prozent zuverlässig.. Aber was war, wenn doch etwas an der Geschichte dran war?
»Außerdem soll eine Familie aus Sköllmsmog hingerichtet werden. Du weißt schon - Die Hexenfamilie mit ihrem Sohn. Der Scheiterhaufen steht schon«, fuhr Martha aufgeregt fort. Zusätzlich zu ihrer Gesprächigkeit war Martha leider äußerst abergläubisch. Nicht nur, dass sie alle Katzen verabscheute, weil sie der festen Überzeugung war, dass die Farbe einer von links kommenden Katze keine Rolle spielte und dass jede Katze es in ihren Genen trug, Unglück zu bringen. Daher stellte sie auch nicht die vollkommen alltäglichen Hexenverbrennungen infrage, die regelmäßig auf der Burg veranstaltet wurden.
Bjame konnte diese Praktik einfach nicht gutheißen, zumal er wusste, wie leichtfertig diese Pferde wegen Hexerei verurteilt wurden. Manchmal gar sogar nur, weil der König nichts anderes gegen sie aufbringen konnte und sie trotzdem loswerden wollte.
»Damit soll die Enthauptung der Königin vertuscht werden, um Farin in dem Glauben zu lassen, dass seine Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen sei.«
Bei Marthas letzten Worten, schwangen Bjames Ohren zurück, bis sie ganz dicht an seinem Hals anlagen.
»Er will sie hinrichten, ohne einen Krieg in Kauf zu nehmen? Das ist sogar noch feiger, als ich es von ihm erwartet hätte.«
»Er weiß eben«, merkte Laina an, »dass er sich bei seiner momentanen Stellung bei seinem Volk keinen Krieg erlauben kann. Es gäbe wahrscheinlich mehr Deserteure in seien Reihen, als kampwillige Hengste.«
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BRÜDER - Die Chroniken von Skjell
Fantasy(Cover nicht final) ACHTUNG!: Diese Geschichte ist formuliert als eine Art Fabel, in der alle Charaktere als Pferde dargestellt sind. Ihr Verhalten ist sehr stark vermenschlicht und könnte in einer anderen Version auch auf Menschen umgeschrieben wer...