Plötzlich spürte ich den Druck, den ein Richter vor der Urteilsverkündung spüren musste. Ich entschied mit meinen Worten über das weitere Schicksal von Michaela und Freya. Raphael konnte hart urteilen. Und das würde er. Sie haben nicht nur jemanden verletzen wollen, der ihm wichtig war. Nein, sie haben gegen neu geltendes Gesetz verstoßen.
"Michaela wollte mich umbringen." Freya erwähnte ich nicht. Mit keiner Silbe. Für sie sah ich tatsächlich noch etwas Hoffnung. Sie hatte keine Waffe in der Hand, als sie mich gegen die Wand drückte. Und als ich ihr erklärte, sie und Raphael könnten irgendwann wieder Freunde sein, was ihr wichtig zu sein schien, ließ sie mich los.
Doch Michaela? Sie war grausam. Was ich über sie gehört hatte, genügte mir bereits. Doch Taten sprachen lauter als Worte. Und sie wollte mich wirklich umbringen. Raphael sah zu seinem Bruder, dann wieder zu Michaela. "Das wird Konsequenzen haben", war das einzige, was er dazu sagte. Dann bat er Dave und Azzurra, sie in den Kerker einzusperren. Ich wusste nicht einmal, dass dieses Gebäude einen besaß. Vielleicht war er ja auch etwas weiter entfernt. Die zwei verschwanden mit ihr.
Freya ging einige Schritte von mir zurück. Raphael würdigte ihr keines Blickes. Dann wies er mich an, ihm zu folgen. Ich nickte, wurde jedoch kurz von Raziel zurückgehalten. "Das tut mir unendlich leid, City", sagte er. Und klang aufrichtig. Leicht lächelte ich ihn an. Es war nicht seine Schuld. Er konnte Michaela nicht kontrollieren. Niemand würde das können.
Das sagte ich ihm so und folgte Raphael dann nach oben. Wir gingen in mein Zimmer. Ich schloss hinter mir die Tür und sah ihn an. "Ich habe dich gesucht", gab ich zu. Ich musste die Sache klären. "Was Michaela gesagt hat", setzte ich an, wusste aber nicht, wie genau ich den Satz beenden wollte, also ließ ich es und ging auf ihn zu.
Dann nahm ich seine Hände. Stumm blickte er auf mich hinab und musterte mein Gesicht. "Sie hat keine Ahnung wie es in mir aussieht, Raphael. Vermutlich hat sie auch keine Ahnung von Menschen", sagte ich. Der letzte Satz ließ ihn sogar ganz leicht schmunzeln.
"Aber meine Gefühle für dich", sagte ich und machte eine kurze Pause, wobei ich eine Hand auf seine Wange legte. "Sind immer aufrichtig gewesen. Anfangs dachte ich, dass diese Mensch Engel Sache zwischen uns stehen würde", gab ich zu. Tatsächlich hatte ich kurzzeitig Zweifel gehabt. Aber nicht, weil meine Gefühle nicht echt waren. Sondern weil ich Angst davor hatte, wenn all das öffentlich werden würde.
"Doch dann wurde mir klar, dass das keine Rolle spielt. Liebe macht zwischen zwei so ähnlichen Spezies keinen Halt. Und ich liebe dich, Raphael." Niemals hätte ich gedacht, dass ich solche Worte einmal zu einem Engel sagen würde. Ich hatte sogar Zweifel, sie überhaupt jemals zu irgendjemanden zu sagen.
Dann küsste er mich. Es war ein sanfter Kuss. Während mein Arm sich um seinen Hals legte, zog er mich näher an sich heran. Kurz darauf löste er sich, doch noch immer waren wir dicht aneinander. Ich konnte seinen Atem an meiner Haut spüren. "Ich sollte aufhören, mir Gedanken über Dinge zu machen, die andere sagen", gab er zu. Leicht schmunzelnd nickte ich, bevor ich ihn erneut küsste.
* * *
Der Abend verlief anders, als ich es erwartet hatte. Auf positive Art und Weise. Heute wurde mit keinem Angriff mehr gerechnet. Und wir beschlossen, etwas Spaß zu haben. Ursprünglich war es nur Coras und mein Plan. Wir hatten den Alkoholvorrat geplündert. Und Dave erwischte uns. Also nahm auch er daran teil.
Rasch vergrößerte sich die Gruppe, bis wir alle lachend im Wohnzimmer saßen. Noch nie habe ich einen angetrunkenen Engel gesehen. Und ich musste zugeben, dass es amüsant war, Raziel so zu sehen. Während sich Azzurra sehr zurückhält, falls es doch einen Angriff gibt, machten die anderen sich weniger Sorgen. Sogar Malia taute etwas auf.
Dann stand Cora auf. "Was hast du vor?", wollte ich wissen. Sie grinste. "Dort ist ein Radio", antwortete sie. "Und ich werde diese Party mit Musik etwas in Schwung bringen", sagte sie mit ihrem Glas in der Hand und bewegte sich dorthin. Ich lachte leicht, doch sie hatte recht. Mit etwas Musik würde es lustiger werden.
Nichtmal eine Minute später füllte Musik den Raum. Cora griff nach Azzurras Hand, zog sie hoch und begann mit ihr zu tanzen. Schmunzelnd nahm ich einen weiteren Schluck meines Drinks. Es dauerte jedoch nicht lange, und alle tanzten. Auch wenn es nicht immer unbedingt perfekt aussah.
Dave war, wie ich zugeben musste, ein recht guter Tänzer. Und auch Raphael war es. Doch da kaum ein langsamer Song lief, bewegten wir uns mehr seltsam als elegant. Es machte Spaß und war ein guter Weg, überschüssige Energie loszuwerden. "Ich bin aus der Übung, Dave", sagte ich dann lachend. "Mir fehlt das Training." Auch er grinste nun. "Willst du das wirklich morgen früh mit einem Kater beginnen?" Daraufhin verzog ich das Gesicht und er lachte.
Woraufhin er erneut zu husten begann. Langsam hörte ich auf zu tanzen. Kaum jemand schien das mitzubekommen. Sie alle waren betrunken oder angetrunken und genossen den Moment. Nur Raphael blieb mit mir stehen. Besorgt sah ich zu ihm und dann zu Dave, welcher die Hand hob. "Ich habe mich nur verschluckt", sagte er, weiterhin hustend.
Dann setzte er sich auf die Couch und atmete ein paar mal tief durch. Etwas in mir wusste, dass er log. Er hatte seit knapp zwanzig Minuten nichts mehr getrunken. Wie konnte er sich so stark verschluckt haben? Das war unmöglich. Doch Raphael schien ihm zu glauben. Und zog mich zu sich ran, denn nun lief ein langsames Lied.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und überlegte, ihn zu fragen, ob mit Dave wirklich alles in Ordnung sei. Doch Raphael wirkte glücklich. Ich wollte ihm das nicht kaputt machen. Nicht jetzt. Das hatte auch noch bis morgen früh Zeit. Also lächelte ich. Seine Hände lagen an meiner Taille. Langsam kamen wir uns näher.
"Wo hast du so gut tanzen gelernt?", wollte ich leise wissen. "Dasselbe könnte ich dich fragen", entgegnete er und schmunzelte leicht. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte ich es ja im Fernsehen aufgeschnappt. Oder ich war ein Naturtalent. Früher bei Gabriel hatten Cora und ich auch hin und wieder aus Spaß getanzt. Doch nicht so wie heute. Am Morgen hätte ich nie gedacht, dass dieser Tag noch so wundervoll enden würde.

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New World
Teen FictionGeschrieben wird das Jahr 2067. Menschen hatten schon seit Jahrzehnten keine Rechte mehr auf der Erde. Sklaven, Dienstmädchen - das waren sie nun. Die neue vorherrschende Rasse: Engel. Sie versklavten und töteten die Menschen nach Lust und Laune. J...