Die Dinge, die wir liebten

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Ich zog fröstelnd am Stoff des immer noch feuchten Oberteils als ich über die festgestampfte Erde des Hauptplatzes lief. Bevor ich mich um dieses Reh kümmerte, würde ich mich umziehen. Sonst starb ich höchstwahrscheinlich nicht im Kampf, wie es sich als Grounder gehörte, sondern an einer verdammten Lungenentzündung.

Mit klappernden Zähnen stieß ich die Wellblechtür meines Hauses auf und wurde, kaum das sie einen Spalt offen war, von einem großen, felligen Biest angesprungen.

Mein Hund sprang schwanzwedelnd an mir hoch und bellte wie ein Verrückter. "Ist ja gut Les. Shhht, hör auf hier so einen Lärm zu machen sonst beschwert sich Sawa morgen wieder bei mir, dass du ihr Goufa immer aufweckst!"
Les beeindruckte das natürlich nicht und kläffte unbeirrt weiter. Fluchend zog ich die Türe zu und warf den Rucksack vom Dropship in die Ecke.

"Vielleicht hatte Lincoln gar nicht so unrecht was deine Erziehung angeht!"schimpfte ich leise auf mit meinem Hund als ich mir die Stiefel auszog. Les schien daraufhin nur noch freudiger durch das Zimmer zu hüpfen. "Em Pleni! Sonst kannst du dein Futter heut Abend vergessen!" Das schien endlich Wirkung zu zeigen und Les setzte sich vorbildlich neben mein Bett. Grinsend schüttelte ich den Kopf und mühte mich weiter damit ab aus den nassen Hosen herauszukommen.

Als ich zum ersten Mal Hunde auf der Erde gesehen hatte, war ich verwundert gewesen, dass sie nicht so aussahen wie die Hunde, die ich von den Biologiebüchern der Ark kannte. Mittlerweile wusste ich nicht mehr genau wie diese Abildungen ausgesehen hatten und Les kam mir wie das normalste der Welt vor.
Sein Fell war dunkelgrau und sehr dünn. Bei jeder Bewegung schimmerte die pechschwarze Haut darunter durch, sodass seine Farbe eher an ein, sich ständig wandelndes, schwarzgrau erinnerte. Das war im Wald eine unwahrscheinlich gute Tarnung. Les ging mir ungefähr bis zur Hüfte und war trotz seiner Größe ziemlich bullig gebaut.

Diese Kraft in Kombination mit seiner Schnelligkeit und dem kräftigen Gebiss machten ihn zu einem perfekten Begleiter auf der Jagd. Egal ob es sich bei den Opfern um Tiere, Mountain Men oder verfeindete Grounder handelte.

Endlich hatte ich mich aus den nassen Sachen herausgewunden und suchte nach meiner normalen Kleidung. Obwohl es in der Hütte nur 2 Zimmer gab schaffte ich es immer wieder mein Zeug zu verlieren. Les spazierte interessiert hinter mir her als in den Räumen herumsuchte. Im ersten Zimmer gab es außer dem Drahtgestell mit der zerschlissenen Matraze (mein Bett) nur ein Bücherregal mit 7, mehr oder weniger intakten, Werken und eine Kommode mit Kerzen in der - eigentlich - meine Sachen sein sollten. Allerdings war ich nicht wirklich verwundert als genau dort nichts zu finden war.

Das einzige was ich immer ordentlich aufbewahrte, waren meine Waffen. Sie hingen sauber und geschliffen an den Wänden des anderen Zimmers. Dort hielt ich mich lieber auf. Teils wegen den Waffen und dem Rüstungsständer, teils wegen dem Teppich auf dem Fußboden. Ich liebte das Gefühl, wenn meine Füße in dem weichen Stoff versanken.
Außerdem war dort ein Spiegel. Er war im unteren Bereich schon ein wenig blind, aber ich war trotzdem unheimlich stolz auf ihn und meinen Teppich.

Den Spiegel hatte Lincoln vor Jahren in einer unterirdischen Behausung von den früheren Menschen gefunden und mir zu meinem Geburtstag geschenkt. Ich liebte es mich darin selbst zu beobachten. Abends saß ich oft mit Les davor und schliff meine Schwerter oder las. Lesen zu lernen war im Grunde das einzige positive was mir auf der Ark passiert war.

Vor dem Spiegel lagen einige meiner Sachen neben einem aufgeschlagenen Buch. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingern über den abgegriffenen Buchrücken, während ich mit der anderen Hand die Sachen aufhob. "King Arthur" formte ich leise mit den Lippen während in die vertrauten Sachen schlüpfte. Die Geschichte war komplett unrealistisch. Ein unsinnig schwacher Heda und ein verzaubertes Schwert ..und erst die Frauen! Keine einzige von ihnen war eine Kriegerin. Trotzdem las ich das Buch gern. Nicht wirklich viele Bücher hatten den Krieg überstanden, deswegen liebte ich alle die ich hatte.
Seufzend klappte ich "King Arthur" zu und brachte es zurück in das alte Regal zu den anderen. Ich würde jetzt lieber lesen als Rehe zu zerschneiden. Aber es half ja alles nichts "Komm Les. Ich muss essen machen. Du kannst die Innereien haben." sagte ich lächelnd und mein Hund war mit einem Satz bei mir.

Beim Vorratsschuppen angekommen machte ich ein bisschen Platz auf der Arbeitsplatte und schleppte dann mit einiger Anstrengung das Reh dorthin. Les wuselte mir die ganze Zeit um die Beine, was bei seiner Größe ein wenig hinderlich war.
Missmutig nahm ich das Jagdmesser in Hand und begann das Fell abzuziehen. Dann schnitt ich den Bauch längs auf und begann den Rumpf auszuweiden. Les stürzte sich glücklich auf die Eingeweide und vergub seine Schnauze in dem blutigen Haufen. Lächelnd fuhr ich ihm durch das rauhe Rückenfell. Nach einigen Augenblicken wandte ich mich wieder dem Reh zu. Eigentlich hatte ich wirklich keine Lust mehr.

Prüfend sah ich über den Platz. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht als ich den möglichen Ausweg aus meinem Dilemma entdeckte. "Artigas?" rief ich. Der dunkelhaarige Junge sah von dem Messer auf das er putzte. Ich winkte ihn mit einer Handbewegung zu mir.
Sofort sprang er von den Stufen des Haupthauses auf und lief zu mir herüber. "Skai. Gona!" sagte er respektvoll und sah mich dann hoffnungsvoll an "Lernen wir heut noch mehr Gonasleng?" Ich musste über die Begeisterung des angehenden Kriegers lächeln.

"Nein das nicht. Aber wenn du mir bei dem Reh hier hilfst, kannst du mit Lincoln, Nyko und mir essen. Und ich werde mit Anya mal über einen Späherauftrag für dich sprechen." Seine Augen wurden immer größer und er nickte heftig. Grinsend trat ich zur Seite und Artigas begann sich freudig am Reh zu schaffen zu machen.
Er befand sich zur Zeit in der Ausbildung zum Gona und ich unterrichtete ihn ab und zu in Gonasleng, da sein Lehrer Fio dafür nicht so viel Geduld besaß.

Einige Zeit später saß ich mit Nyko, Artigas und Lincoln um ein flackerndes Feuer herum, über dem das Fleisch briet, und streichelte Les, der seinen Kopf auf meine Beine gelegt hatte. Artigas starrte mit leuchtenden Augen die beiden Krieger an und löcherte sie mit Fragen. Nyko konzentrierte sich vor allem auf das essen, aber Lincoln beantwortete alles was dem jungen Gona einfiel.
Während ich mit meinen Händen über den Kopf meines Hundes strich und in die Sterne sah, schwor ich mir eine Sache. Ich würde alles tun um meine Kru zu schützen.

Die Auslöschung der Skypeople würde morgen beginnen.


Am Morgen trat ich bibbernd im Unterholz von einem Fuß auf den Anderen. Anyas Plan hatte begonnen. Sie war am Abend zu mir gekommen und hatte mir die neue Vorgehensweise erklärt, weswegen ich jetzt frühmorgens im nebligen Wald stand und das Lager aus sicherer Entfernung beobachtete.

Eins musste man diesen Splita lassen: Sie konnten ziemlich schnell Wälle bauen. In den Hügel waren angespitzte Pfähle gerammt und dahinter befand sich eine behelfsmäßige Mauer aus Ästen, Stämmen und Metall vom Dropship. Hinter dem Wall war der flackernde Schein eines Feuers zu erahnen.
Leise fuhr ich fort Penn zu verfluchen. Er war einer meiner besten Freunde ...und dummerweise von Indra dazu beauftragt worden, sich von mir das Lager zeigen zu lassen.

Dieser Mistkerl hatte mich also freudestrahlend mitten in der Nacht aus dem Bett geworfen.
Dank ihm durfte ich nicht mal mit Camax herreiten. Seine Begründung war, dass es schließlich so aussehen sollte, als hätte ich die Nacht draußen verbracht – was war da besser als im Dunkeln quer durch diesen verdammte Wald zu stolpern. Ich war vollständig davon überzeugt, dass Penn mich einfach nur leiden sehen wollte.

Zitternd rieb ich mir die Arme und trat weiter auf der Stelle, während mein Atem in der nächtlichen Herbstluft weiße Wölkchen bildete.
So langsam könnte Penn wirklich mal einen einen guten Aussichtsplatz gefunden haben und mir das Zeichen geben. Der Schein des Feuers sah von hier so wunderbar warm aus ....
Dann endlich hörte ich den Eulenschrei. „Halleluja." murmelte ich und stapfte auf den Eingang zu.

„HEY!! Wer ist da?! Leute! LEUTE ICH HAB WAS GEHÖRT!!" „Reg dich ab!" rief ich genervt der Gestalt im Eingang zu, die mit einem Stock in der Hand auf und ab hüpfte. „Ich bin's okay?!"
„Leute hier ist jemand! Gehört die zu den Vermissten?" Ich näherte mich langsam dem Lichtkreis, der von der Fackel am Tor ausging. Jetzt erkannte ich den paranoiden Typen, der mit dem, an der Spitze des Stocks festgebundenen, Messers auf mich zeigte. „Connor lass es gut sein! Ich hab die Nacht in diesem beschissenen Wald verbracht, ich hab keinen Bock auf diesen Mist! Jetzt lass mich rein."
Der dunkelhäutige Junge nahm langsam den Stock herunter und musterte mich eingehend. Ich schlang zähneklappernd die Arme um meinen Körper und musste nicht einmal schauspielern um wie ein frierendes Häufchen Elend auszusehen.

„Gut ..ehm sorry für grad eben...." begann er zögerlich und ich bemerkte aus dem Augenwinkel wie ein ziemlich wütend aussehender Murphy auf uns zugestürmt kam. Ohhhh das würde unschön werden.

Ich legte mir schnell eine Antwort auf seine Schimpftirade zurecht und blickte ihm entgegen während Connor neben mir weiter Entschuldigungen nuschelte.

Entgegen meiner Erwartungen warf mir Murphy allerdings nur einen kurzen Blick zu und marschierte dann an mir vorbei. Mit einem weiteren Schritt war er bei Connor und rammte ihn gegen den Wall. „Was sollte das gerade?!" fragte er ihn aufgebracht während er einen Arm gegen Connors Hals presste. „Ich dachte da wären ..Grounder..ich dachte .ich.." stotterte Connor. „Das ist das Problem!" zischte Murphy und erhöhte den Druck auf den Hals des dunkelhäutigen Jungen „Du sollst das Denken lassen und den Befehlen folgen! Oder hast du die vergessen?!"
„Ich ..ich soll nach Groundern Ausschau halten." brachte er mühsam heraus. Murphy grinste boshaft. Irgendwie stand ihm das. „Sieht sie etwa aus wie ein Grounder??"

..najaaaa.....

„Nein" röchelte Connor. Murphy nahm den Arm weg und der dunkelhäutige rutschte hustend am Wall herunter. „Ab morgen arbeitest du mit am Wall. Wachdienst ist ja offensichtlich zu hoch für dich. Dax du bist ab jetzt dran."
Dax warf einen abschätzigen Blick auf den schwer atmenden Connor, bevor er sich das Stockmesser nahm und zum Eingang ging.

Murphy drehte sich zu mir um und betrachtete mich eingehend. „Ich dachte schon du tauchst gar nicht mehr auf." sagte er mit einem halben Lächeln während er mir in die Auge sah.
Er hatte tiefblaue Augen die im Fackelschein leuchteten. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen. Aber egal. Sein Interesse an mir war mittlerweile mehr als offensichtlich, also würde ich mitspielen. Vielleicht eröffnete mir das einige Möglichkeiten.
„Wieso? Hast du dir etwa Sorgen gemacht?" fragte ich schief lächelnd.

Sein Blick verhärtete sich augenblicklich. „Nur um meine Sachen!" sagte er knapp. Dann drehte er sich um und marschierte ohne ein weiteres Wort zu sagen zurück zum Feuer.

Was sollte das denn jetzt bitte?
Empört starrte ich ihm hinterher. Er hatte sich doch gerade noch so verhalten als hätte er sich Sorgen um mich gemacht?!
Hatte er noch jemandem seine Sachen gegeben?! Nein!
Hatte er jemand anderem Essen gegeben?? Nein!!
Hatte er für jemand anderen eine Wache angegriffen!? NEIN!!

Ich war seit Ewigkeiten Kundschafterin! Ich konnte Verhalten deuten! Also wieso verstand ich das gerade nicht??

„Hör auf hier Murphy nachzusabbern! Wir wollen den Durchgang auch mal wieder zu machen." riss mich Dax' verächtliche Stimme aus meinen Gedanken.
Wütend fuhr ich herum „Halt die Klappe du Idiot! Dich will ich mal sehen wie DU allein eine Nacht im Wald überlebst! Hier hinter deinen süßen Mauern spuckst du noch große Töne, aber warte ab bis du da draußen bist und dir ein Speer durch den Bauch gejagt wird!" schnappte ich.

Dax hob abwehrend die Hände und ich stapfte mit einem bösartigen Knurren an ihm vorbei.
Dieser kleine Mistkerl! Ich hatte Murphy ganz normal angesehen! ...Murphy!!! Aufgebracht ballte ich die Hände zu Fäusten. Natürlich machte es mir nichts aus, dass er mich einfach so stehen gelassen hatte und anscheinend doch nichts von mir wollte ... aber ich hasste es mich zu irren! Dass ich ihn so falsch eingeschätzt hatte war schwach.

Aber jetzt hatte ich wichtigeres zu tun.
Vorsichtig ließ ich meinen Blick über die Baumkronen schweifen. Penn war nirgends zu entdecken. Gut, dann wurde es jetzt Zeit, dass ich meinen Teil des Plans ausführte. Hoffentlich sah Penn mein Zeichen.

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Wörterbuch:

Skai: Sky | Himmel
Em Pleni: Enough | Genug
Goufa: Child | Kind (wird meist nur für Kinder von anderen Leuten verwendet, für sein eigenes Kind: Youngon)
Gona: Warrior | Krieger
Gonasleng: Warrior Language | Kriegersprache (unser heutiges Englisch)
Splita: Intruder | Eindringling


Murphy's LawWo Geschichten leben. Entdecke jetzt