Ein MordsDieb

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Pulsschlag, hoch. Atemfrequenz, gezwungen niedrig - sie sollen mich nicht hören. Muskeln, verkrampft. Sicht, nur nächtliche Schatten eines Ziegeldaches. Tja, so weit, so...gut?
Fast hätten sie mich erwischt, die Wachen von Schloss Ambras, auf dessen Dach ich mich gerade befinde. Ihre Rufe höre ich noch immer irgendwo dort unten im Vorgarten. Sie suchen mich, haben aber nicht einmal einen Schimmer so schwach, wie der heutige Mond. Trotzdem werden sie das Haus abriegeln, sich in jedem Gang und auf jeder Treppe postieren, mir den Weg zu meinem Ziel nicht unbedingt leichter machen, als er es ohnehin nicht ist. - Ob ich einfach hier oben bis morgen Nacht warten soll? - Ich meine, wer würde denn schon erwarten, dass ein Dieb eine ganze Spätherbstnacht lang auf dem Dach seines Zielobjektes ausharrt. - Aber genau das ist eben auch mein Problem: Wäre ich nicht durch meine überstürzte Kletteraktion angewärmt, mir wäre wahrscheinlich kalt. Oder zumindest frösteln würde ich hier oben. Auf jeden Fall will ich jetzt da rein. Nur wie?
Vorsichtig schleiche ich am Rand des Daches entlang, bis ich einen Balkon unter mir ausmachen kann. - Licht dringt keines durch die geschlossenen Fensterläden. Der Bewohner des dahinterliegenden Zimmers befindet sich also entweder im Bett oder ist außer Haus. So oder so, eine ideale Möglichkeit, ins Schloss zu kommen. Leise wie ein Schatten gleite ich hinab, halte mich für einen Moment an der Dachrinne fest und lasse mich fallen - erstarre für einen kurzen Augenblick - hat mich jemand gehört? - und entspanne mich gleich wieder. Gut, die Läden sind schnell geöffnet, bei den Fenstern selbst wird es jedoch bereits schwieriger - aber das Glück scheint mir hold, eines wurde nicht verschlossen, sondern nur zugedrückt. Sachte knarzend schwingt es nach einem kurzen Stups auf. Wieder halte ich für einen Moment die Luft an.
Ein Schnarchen ertönt, durchbricht den nächtlichen Frieden, paart sich mit dem Rascheln von Bettlaken und verebbt wieder.
Ich atme aus, betrete vorsichtig das Zimmer. Leise tapsend setze ich einen Fuß vor den anderen auf den prunkvollen Parkettboden, husche schnell über den schweren Perserteppich, vorbei an dem Himmeldoppelbett und strecke die Hand schon nach dem Türknauf aus, als die Geräusche einer bewaffneten Wache in Flur erklingen. Das Klappern eines Degens, das Schlagen von massiven Absätzen auf dem Holzboden.
Sch*!
Mir bleibt keine Zeit, irgendein geeignetes Versteck zu suchen, was mich dazu zwingt, unter das Himmelbett zu rutschen und zu hoffen.
Es klopft. Einmal. Nichts. Zweimal. Nichts. Dreimal, fest und kräftig. "Herr?!"
Ein Grunzen, ein Knarzen der Bretter über mir. Der Graf wälzt sich aus seinen Decken und Polstern, murrt missgelaunt: "Was gibt's?"
Der Wachmann tritt ein: "Herr, wir vermuten einen Eindringling im Schloss und prüfen soeben auf Geheiß von Hauptmann Ludwigstein sämtliche Zimmer."
"Nun denn, sucht und lasst uns schlafen", beordert der Graf, dreht sich um, will wohl weiterschlafen.
"Sehr wohl." Die Wache geht einige Schritte im Zimmer auf und ab, schließt das Fenster und die Läden, aber auf die Idee, unter dem Bett nachzusehen, kommt sie natürlich nicht. Ich grinse. Oder doch nicht? - Er öffnet eine Verbindungstür zum Nebenraum, stoppt im Türrahmen sofort ab.
Dann ein entsetzter Schrei. Ich zucke zusammen, ziehe die Beine an, schließe die Augen, bete. Jedoch: "Herr! - Eure Frau! Sie wurde..."
Sofort ist der Graf hellwach. Jetzt bete ich nicht mehr, nicht gefunden zu werden, sondern, nicht durch seine gut beleibte Hochwohlgeborenheit im wahrscheinlichen Falle des Bruchs der Bettlatten erdrückt zu werden.
"Was!", ertönt seine Stimme plötzlich schrill im ganzen Schloss.
"Sie wurde...ermordet." Die Wache läuft zum Bett im Nebenzimmer, in dem sich augenscheinlich die tote Gräfin befindet. "Erstochen!"
"Was! - Erdolcht! - Wie ist das möglich?", kommt es sofort vom Ehemann zurück.
"Es muss sich um einen äußerst kundigen Mörder handeln - ein einziger, sauberer Schnitt - nicht mehr", stellt der Wachmann grimmig fest, wendet sich wieder dem Grafen zu, kommt zurück. Mit jedem seiner Schritte presse ich mich dichter an die Holzwand unter dem Bett.
Angelockt durch die Schreie poltert ein Trupp Wachen zur Tür herein.
"Ein Mörder", ruft der Wachmann seinen Kollegen entgegen, welche erst panisch die Augen aufreißen und dann sofort in ihren Drill verfallen, sich schützend ums Bett des Grafen aufstellen.
Und wie komme ich jetzt hier weg?
Wenn ich hierbleibe und sie mich finden...der Galgen auf dem Stadtplatz steht dort auf jeden Fall nicht zum Spaß... - gehängt für einen Mord... - begangenes Verbrechen: versuchter Diebstahl eines Diamantenringes und einer speziellen Schriftrolle aus der Bibliothek.
"Was macht ihr Trottel denn da? - Findet den Mörder, steht da nicht so blöd rum!", fährt der Hausherr seine Leute an, welche sich unverzüglich aus ihrer Starre lösen und abdampfen.
Nur einer bleibt zurück - ein Mindestmaß an Sicherheit muss schließlich gewahrt werden... - Pech für mich...
Ich versuche mich ersteinmal ein wenig besser zu positionieren, um im Falle der Gelegenheit schnell unter dem Bett hervor und abhauen zu können. Aber jene lässt auf sich warten, und warten, und warten. Kein Silberstreif am Horizont. Hm, niederschlagen kann ich die Wache nicht... Es handelt sich immerhin um einen ausgebildeten, bewaffneten Kämpfer in Rüstung. Noch dazu liegt über mir der momentan dösende Graf, welcher sofort Alarm schlagen würde. Vorsichtig spähe ich unter dem Bett hervor, sichte durch die jetzt offenstehende Tür eine teuer aussehende Ziervase aus dünnem Porzellan mit einer Rose darin auf einem Beistelltischchen im Gang. Der Stellung seiner Beine nach zu urteilen, schaut der verbleibende Wachmann gerade in die andere Richtung. In meiner Hosentasche ertaste ich ein einsames Geldstück. Ein schneller, präziser Wurf.
Und die Vase kippt, fällt, stürzt, zerbricht in tausend Scherben. Klirr. Ein Dolch purzelt heraus. Rotes Wasser wäscht über den kalt grau schimmernden Stahl. Ein blutiger Dolch. - Das ist, beziehungsweise war ein blutiger Dolch. Und wenn mich nicht alles täuscht, schimmert im spärlichen Licht der Fackeln das blaugrüne Wappen des Grafen auf dem Knauf.
Die Wache schreckt auf, läuft in Richtung Vase. Meine Chance.
Aber der Anblick des Dolches lässt mich erstarren. - Die Mordwaffe. Irgendwer hat sie dort versteckt, wollte sie schnell irgendwo loswerden. - Nur wer? - Es muss fast jemand vom Hof dieses Grafen sein, wenn das tatsächlich seine Farben auf dem Knauf sind.
Der Wachmann hat ihn nun ebenfalls entdeckt, hebt ihn hoch, schaut sich panisch um... - So, das war's. Jetzt wird er alles doppelt und dreifach absuchen. - Aus ist's.
"Mein Herr", kommt der Wachmann zurück: "Seht, der Dolch Eures Sohnes, und er war blutig." Der Graf grunzt irgendetwas Unverständliches.
"Herr, könnte es sich um die Mordwaffe handeln?", insistiert die Wache.
Dann ein plötzliches Rascheln, Schaben von Metall auf Metall. Und mit einem Schlag sehe mich Auge in Auge mit dem Wachmann. Ich zucke zurück, schlage mir den Kopf am Bett an. Aber keine Hand greift nach mir, kein Schwert durchbohrt mich. Nur seine leblosen Augen starren an mir vorbei in die Dunkelheit unter dem Bett.
Der - Graf - hat - gerade - seine - eigene - Wache - erstochen!
Und läuft jetzt barfuß im Nachthemd mit dem wieder blutigen Dolch seines Sohnes in der Hand aus dem Zimmer, panisch krächzend: "Zu Hilfe! - Hilfe!"
Bitte was?
Na gut. Kann mir egal sein. Ich will hier weg, und das kann ich jetzt auch.
Aufgestanden, kurz vergewissert, dass wirklich niemand in der Nähe ist, Fenster aufgemacht, Läden aufgedrückt und auf den Balkon hinausgeglitten, jetzt schnell Fenster und Läden wieder zu und aufs Dach hinauf.
Kühle Nachtluft streicht mir um die Nase, als ich hochspringe, mich an der Regenrinne hinaufziehe aufs Dach.
Erschöpft bleibe ich liegen.
Geschafft.
Ich sehe die Sterne über mir, den schmalen Sichelmond, höre die Geräusche der nächtlichen Stadt. Wagenräder auf Kopfsteinpflaster, das Schlagen von Lederstiefeln auf der Straße, Kiesknirschen von einer Patrouille aus der Gartenanlage des Schlosses.
Nun gilt es nur noch, den richtigen Moment abzupassen, direkt hinter den patroullierenden Wachen die drei Stockwerke hinabklettern und mich über die mannshohe Außenmauer zu schwingen. - Und ebendieser Augenblick ist nun gekommen.
Runter, nur nicht abrutschen, über den Kiesweg springen, um keinen Lärm zu machen, mit Anlauf auf das Dach eines kleinen Schuppens und von dort weiter über die Mauer.
Naja, schön wär's gewesen. Nicht nur, dass ich die Oberkante der Außenmauer nicht zu fassen bekomme, elendig abrutsche und laut zurück auf das Dach knalle. Nein, natürlich müssen die Wachen den Aufprall hören und sofort wie die Fliegen zum Honig, in diesem Fall zum Eindringling rasen.
Geistesgegenwärtig packe ich nach einer Öllampe, welche am Eingang des Schuppens hängt und knalle sie auf das Schindeldach. Und während das Öl nach allen Seiten spritzt, die Flammen im nächtlichen Dunklen tanzen und Schattenmuster an die umliegenden Mauern malen, springe ich hinunter vom Dach, sprinte los in Richtung Hauptportal - oder zumindest dorthin, wo ich selbiges vermute.
Meine schnellen Schritte verraten mich meilenweit, kein Wunder, dass sie mir dicht an den Fersen bleiben können und auch kein Wunder, dass die Männer am Hauptportal mir bereits im flackernden Licht ihrer Fackeln und Kohlebecken ihre Hellebarden entgegenstrecken. - Von hinten nähert sich die Patrouille, vorne geht es auch nicht recht weiter.
Bleibt nur: ab durch die Mitte. Die Fassade rauf. Ein schneller Sprung und nach dem Fensterbänkchen des ersten Stocks gegriffen, nur durchschneidet dann ein laut schnalzendes Geräusch die Nacht. Mit voller Wucht bohrt sich der Armbrustbolzen in meinen rechten Unterschenkel. Vor Schreck löst sich mein ansonsten so geübter Griff, lässt mich im Stich und ich falle, lande im Gras, werde umstellt, während ich mich schutzsuchend zusammenrolle wie eine schlafende Katze. Ein Fackelträger, der mir fast die Augenbrauen wegsengt, versucht mein Gesicht zu erkennen, meint dann: "Gut gemacht Jungs."
Ein weiterer tritt hinzu.
Jung, kräftig, in guten Gewändern.
"Was ist hier los!?", verlangt er herrisch zu erfahren.
"Herr, wir haben dieses Individuum dabei erwischt, wie es sich unerkannt hinausschleichen wollte", vermeldet einer. Dieser junge Mann ist scheinbar der Sohn des Grafen.
"Und was soll der brennende Geräteschuppen da hinten?!", weist er seine Männer auf das Feuer hin, welches natürlich gelöscht gehört, bevor es auf das Hauptgebäude übergreifen kann.
Die Wachen folgen dem indirekten Befehl, nur zwei bleiben, richten weiterhin ihre Hellebarden auf mich.
Nun beugt sich der Sohn zu mir herab, schaut mir in die Augen, spuckt hämisch grinsend aus: "So, und jetzt zu dir. - Bringt ihn zu meinem Vater!", ordnet er an, folgt mir, der ich von zwei kräftigen Wachmännern über das raue Kopfsteinpflaster des Schlossinnenhofes gezerrt werde und nicht viel mehr, als eine schmerzverzerrte Grimasse zusammenbringe, seiner schadenfrohen Fratze zu antworten.

Schlussendlich laden sie mich in einem großen Saal ab, wo der Graf einsam an einer langen Tafel sitzt, den noch immer blutigen Dolch vor sich. Man lässt Sohn, Vater und mich alleine, verschließt die Tür.
"So, so, so. Du bist also derjenige, der meine Irine, sowie einen meiner Wachmänner getötet hat - mit meinem eigenen Dolch, welchen du mir zuvor entwendet hast und den ich dir nach einem heroischen Zweikampf wieder abnehmen konnte, woraufhin du einen Fluchtversuch unternommen hast und von meinen weithin bekannten, exzellenten Wachen gefangen genommen wurdest?"
"Was?", keuche ich gerade so, unterdrücke den pulsierenden Schmerz in meiner Wade.
"Vater?", runzelt der Sohn die Stirn.
"Ja, ja, ich weiß, wir wollten es eigentlich den Schlesern in die Schuhe schieben..., aber, wenn wir schon so eine gute Gelegenheit haben, sollten wir sie doch auch gleich nutzen, nicht?", meint der Herr Hochwohlgeboren in seiner allumfassenden Weisheit.
"Stimmt", kommt es knapp zurück.
"Bereite alles für den Prozess morgen Vormittag und eine Hinrichtung direkt nach dem Mittagessen vor", kommt noch eine Weisung an den Sohn, dann zerrt dieser mich nach draußen, ignoriert mein Aufschreien.
"Julian?", dringt eine weibliche Stimme in meinen vom Schmerz betäubten Sinn: "Was tust du denn da? - Wer ist das?"
"Der Mörder unserer Mutter, Schwesterherz, und jetzt geh wieder auf dein Zimmer", wirft er sofort genervt zurück.
"Weißt du was? - Den Teufel werd ich tun!", schreit sie ihn plötzlich an: "Ihr zwei...die ihr...", ihre Stimme bricht ab, während Tränen ihre Wangen zum Glänzen bringen.
Hauptmann Ludwigstein tritt hinter ihr hervor, donnert: "Mein Herr! Verzeiht mir, wenn ich das nun sage, aber..." Zwei Wachen treten aus dem Schatten hervor, packen den Grafensohn, welcher seinerseits mich fallen lässt. Unsanft komme ich auf dem Boden zu liegen, kann einen Schmerzensschrei unterdrücken.
"...nicht damit zu rechnen, von der Schwester belauscht zu werden, war irgendwie...dumm", vollendet er seinen Satz.
"Ihr habt sie doch wohl nicht zur Tür hingelassen?! - Obwohl Euer Befehl lautete, wir wollen absolut ungestört bleiben?!", faucht Julian.
"Nun, doch, immerhin ist es auch ihre Mutter, um die es hier geht. - Und dann, naja...konnte sie es schlecht überhören", murmelt er, setzt kurz ab und erklärt sich: "Ich stehe zwar in Euren Diensten, habe aber trotzdem eine Berufsehre. Und ein Mörder bleibt ein Mörder, egal, welch hoher Geburt er auch immer sein möge."
Einige Augenblicke später höre ich aus dem Saal Rufe, Stühle werden umgestoßen und mindestens drei Vasen, sowie ein Fenster gehen zu Bruch. Schlussendlich aber zerren die Wachleute den mit Erdflecken übersäten Grafen wieder zur Tür herein, der durch den Gemüsegarten entkommen wollte.
"Die morgige Verhandlung wird stattfinden, aber die Angeklagten werden andere sein", meint Hauptmann Ludwigstein zufrieden und hilft mir, aufzustehen.


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