Der Sturm braust über dem Meer. Man sieht die Hand vor Augen nicht mehr.
Langsam kämpft sich der Steuermann durch den Wind zum Kapitän. Mitten im wildesten Sturm steht dieser verrückte Kapitän noch am Steuerrad.
"Wissen wir überhaupt noch, wo wir sind?", fragt der Steuermann den Kapitän.
Seine Stimme wird vom Sturm davongeblasen und der Kapitän versteht kein Wort.
"Was hast du gefragt?!", brüllt der Kapitän zurück.
"Ob wir noch wissen, wo wir sind!", brüllt der Steuermann.
Ein Grinsen erscheint auf dem Gesicht des Kapitäns.
"Nein! Aber das bedeutet, dass wir näher kommen!"
Irgendwie unzufrieden mit der Antwort geht der Steuermann wieder zurück unter Deck.
Schon seit drei Wochen segeln sie quer über den Pazifik.
Begonnen hat das alles, als der Kapitän eines schönen Tages mit einem großen Fetzen Papier aus einem Geschäft gestürmt ist. Damals hat er quer über den Hafen gerufen:
"Männer, das große Los wartet auf uns!"
Er hatte sich eine alte Schatzkarte gekauft. Der Besitzer des Geschäftes hatte ihm erzählt, es handle sich um eine ganz besondere Karte. Denn nur ein ganz besonderer Mensch könne diesen besonderen Schatz finden. Und noch nie war es einem Menschen jemals geglückt, auch nur einen Blick auf diese besondere Schatzinsel zu werfen. So hatte der Kapitän diese Karte natürlich sofort gekauft. Und noch am selben Tag ist er mit der gesamten Mannschaft losgefahren.
Neugierig blicken die Männer den Steuermann an, als er die Tür hinter sich schließt.
"Und, was ist mit unserem Kapitän?", fragt der Koch sofort.
Niedergeschlagen meint der Steuermann:
"Ich glaube, er ist verrückt geworden."
Jetzt mischt sich der Quartiermeister ein:
"Wenn wir in drei Tagen diese ganz besondere Schatzinsel finden, müssen wir umkehren. Unser Proviant geht langsam zur Neige."
Verängstigt hockt der Schiffsjunge in der hintersten Ecke und zittert. Er fürchtet sich vor dem Sturm, der noch immer um das Schiff tobt. Die ganze Mannschaft hat ihn schon am ersten Tag als Angsthasen abgestempelt und beachtet ihn nicht.
Doch mit einem Mal öffnet er zittrig den Mund:
"W...was w...wenn der Kapitän gar n...nicht der be...besondere Mensch ist, der den Schatz finden kann?"
Schlagartig drehen sich alle zu ihm um. Niemand hätte von ihm jemals erwartet, etwas Sinnvolles zu tun. Immer schon hat er sich in den Seilen verheddert und hat es nie geschafft, hinauf in den Ausguck zu klettern.
Bedrohlich baut der Steuermann sich vor dem Jungen auf. Es ist besonders stolz auf seinen Kapitän.
"Willst du etwa andeuten, dass unser Kapitän gar nichts Besonderes ist?!"
Noch weiter verängstigt presst sich der Schiffsjunge noch tiefer in die Ecke und wimmert kaum verständlich:
"Naja...vielleicht ist er eben nicht besonders genug..."
Der Koch denkt kurz nach.
"Stimmt, das könnte durchaus sein..."
Sofort ergreift der Quartiermeister das Wort:
"Aber wo finden wir nun jemanden, der besonders genug ist?"
Ratlos blicken die Männer umher. Niemandem kommt eine gute Idee.
Schlussendlich meint der Schiffsjunge mit zittriger Stimme:
"Es ist doch so, dass jeder von uns etwas besonderes ist?" Die Mannschaft nickt einstimmig.
"Was jetzt, wenn uns die Karte zu genau dem Schatz führt, den sich jeder von uns wünscht?" Verwirrt starren die Männer den kleinen Schiffsjungen an.
"Naja. Der Kapitän liebt es doch, durch Stürme zu segeln. Und er mag es auch, wenn er abfangen mit dem Tod spielen kann. Und weil der Kapitän gerade die Karte hat, sind wir soeben bei seinem größten Schatz. Nämlich diesem gewaltigen Sturm."
Begierig meint der Koch:
"Das würde ja bedeuten, wenn ich die Karte hätte... Dann würde sie mich zu einem guten Restaurant führen, bei dem es gerade alles umsonst gibt?"
Der Schiffsjunge nickt.
Mit demselben Funkeln in den Augen wie der Koch fragt nun der Steuermann:
"Ich würde also eine Hafentaverne voller Fässer mit Rum finden?"
Wieder nickt der Schiffsjunge.
Keiner der Männer ist jetzt mehr zu halten. Gemeinsam stürmen sie zum Kapitän.
Man lost eine Reihenfolge aus und einer nach dem anderen darf die Karte benutzen.
So geschieht es, dass sich der Sturm sofort legt, nachdem der Koch die Schatzkarte in den Händen hält. Und keine zwei Minuten später kommt tatsächlich eine Insel mit einem großen Gasthof in Sicht.
Nachdem sich alle den Bauch vollgeschlagen haben, nimmt der Steuermann die Karte.
Schon sehen sie einen großen Hafen. Und die Lager der Tavernen sind bis oben hin gefüllt mit Rumfässern.
Jeder Mann aus der Mannschaft darf die Karte verwenden.
Und so segeln sie immer weiter hinein ins Abendrot. Immer neuen Schätzen entgegen.
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AcakNeben meinen Büchern entstehen zeitweise aus Lust und Laune heraus, oder durch Aufträge auch diverse kürzere Texte, welche nun hier gesammelt präsentiert werden können. (Coverbild: https://pixabay.com/de/bücher-tür-eingang-italien-farben-1655783/)