Meine erste Begegnung mit IHR

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Schneefall, genau wie vorausgesagt. Helle Lichter erleuchten die Stadt, wie die warme Sonne da langsam dem kühlen, mystischen Mondschein weicht. Hinter einer Straßenecke taucht der Schlitten des Nikolaus' auf, bewegt sich, umringt von Kindern, in Richtung des Goldenen Dachls. Die Engel werfen unentwegt Bonbons und Kaugummis hinab in die jubelnde Menschenmenge. Musik hebt an, erfüllt den Platz mit dem Klingen von Schellen, dem Erschallen von Hörnern und irgendwo zwischen drinnen das sanfte Summen einer Harfe.
Meine Bewunderung für die Musiker, die da oben stehen, ohne Handschuhe mit flinken, bloßen Fingern ihren Instrumenten Melodien entlocken. Meine eigenen frieren hier unten trotz Glühwein und Wollhandschuhen so langsam ein.
Die Musik setzt aus. Der alte Mann im roten Kostüm am Steuer des Schlittens erhebt sich, setzt mit tief sonorer, beruhigender Stimme an: "Hoch vom Himmel, da komm ich her..."
Und just in diesem Moment fällt mein Blick auf eine reinweiße Mütze, gefertigt aus Wolle, mit aufgesetztem Pommel aus Fell, dessen Fasern wie ein Weihnachtstern in alle Richtungen hin wegstehen. Sie gehört einem jungen Mädel, vielleicht neunzehn, zwanzig Jahre, die sich da neben ihrer Freundin langsam in unsere Richtung bewegt.
Sie tritt aus der Menschenmenge heraus, gibt den Blick frei auf eine schneeweiße Daunenjacke, mit vanillegelbem Pelz rund um die Kapuze, fellgefütterte Winterstiefel und eine eng anliegende Jeans, ebenfalls weiß. Alles aber nicht in diesem kalten, sterilen Weiß, das man aus dem Krankenhaus kennt, nein, es ist ein warmes, einladendes, freundliches Weiß. Sie sticht heraus aus der dunkelgrauen, glühweintrinkenden Menge wie ein einzelner Mondstrahl, der in der Nacht durch die dunkle Blätterdecke des Waldes bricht und alles um ihn herum zum Strahlen bringt. Unbewusst muss ich mich zu ihr hingedreht haben, denn keinen Augenblick später höre ich etwas umfallen, Sandro neben mir erschrocken aufschreien und etwas Heißes auf meine Hose tropfen.
"Passt doch auf!", fährt mich mein Freund an, stellt meinen Glühweinbecher wieder aufrecht auf den Tisch. Lange kann aber selbst das meine Aufmerksamkeit nicht von dieser Schneeflocke, die sich da auf uns zubewegt, abhalten.
Sandro folgt, nachdem er rasch mit einer Serviette das Schlimmste aufgewischt hat, meinem Blick in Richtung dieses makellosen, weißen Engels inmitten der Menge. Und vielleicht sind es gerade ihre kastanienbraunen Haare, die in einem solchen Kontrast zur weißen Daunenjacke stehen, über die sie glatt wie Eis fließen, denen dieser unglaubliche Zauber innewohnt, der sie umgibt.
"Oh! Das ist ja Anna. - Und Jessy", erkennt Sandro das zweite Mädchen, welches ich eigentlich auch hätte bemerken sollen...immerhin kenne ich sie schon seit einiger Zeit... Es scheint fast so, als hätte ich über dieses überirdische Geschöpf neben ihr alles andere vergessen...
Sandro winkt die beiden zu uns herüber.
"Hey, hier sind wir!"
Jetzt erst werde ich mich des riesigen, roten Flecks auf meiner hellblauen Jeans bewusst, den der langsam auskühlende Glühwein hinterlassen hat. Eilig versuche ich ihn mit einer Serviette verschwinden zu lassen, doch allen Mühen zum Trotz habe ich jetzt nicht nur noch immer den Weinfleck, sondern zu allem Überfluss auch noch weiße Papierfitzelchen auf der Jeans.
Elegant versuche ich also mein linkes Bein möglichst weit in den Schatten unterhalb des Stehtisches gleiten zu lassen.
Dunkelbraune Augen schauen mir entgegen aus der Mitte eines vom Frost rosigweißen Gesichtes, eingehüllt von Pelz und Wolle, vorbei an einer süßen, von der Kälte rot gefärbten, Nase.
"Hi!", umarmt Sandro Jessy, welche dann für einen Moment irgendwie verloren dasteht, während ich meinen Blick nicht von Anna losreißen kann.
Verlegen schaut sie mich an, wartet.
Irgendwann werde ich mir meiner gesellschaftlichen Pflicht bewusst, lege meine Arme um Jessy, drücke kurz zu, behalte meine Augen aber weiterhin auf Anna gerichtet und mein Bein möglichst unter dem Tisch verdeckt.
Und irgendwie, irgendwie...oder kommt es mir nur so vor, erwidert sie den Blick, sogar als Sandro an sie herantritt und sie begrüßt.
So, jetzt...wird es ernst? Hand ausstrecken? - Nein, viel zu förmlich. Einfach so umarmen? - Gleich beim ersten Treffen? Ja. Wenn nicht gleich, wann dann? Und irgendjemand muss schließlich den ersten Schritt setzen? Da kann ich doch auch gleich mal mein Glück versuchen. Hoffen wir, dass es klappt...

Und wie es geklappt hat!
Der Duft ihres Parfums, der mir noch immer in der Nase hängt, erinnert mich an eine Schlittenfahrt im Winter durch den Wald, mit Glühwein und Lebkuchen, und Nelken... Wenn ein Außerirdischer eine Begegnung der dritten Art ist, dann gehört Anna zur vierten, so viel steht schon mal fest.
"Glühwein?", versuche ich irgendwie ein Gespräch oder zumindest irgendeine Form der Interaktion loszutreten, drehe mich schon leicht weg vom Tisch, bereit, dem erwarteten Wusch entsprechen zu können. Beide Neuankömmlinge nicken.
Aber bevor ich mich in Bewegung setzen kann, hält mich Sandro zurück: "Lass, ich mach das schon."
Viel mehr als ein verlegenes Lächeln bringe ich nicht zustande, schaue meinem Freund hinterher, wie er zwischen all den anderen Gästen verschwindet, mit der grau-schwarzen Masse verschwimmt. Damit wird aus meinem Plan, durch das Glühweinholen Zeit zu gewinnen, um mir so etwas Ähnliches wie einen guten Spruch oder witzigen Kommentar zu überlegen, wohl eher nichts mehr.
Bevor ich weiter groß darüber nachdenken kann, schaltet mein Gehirn auf Small-Talk-Modus: "Seid ihr das erste Mal hier?"
Beide nicken.
"Gefällt es euch?"
Beide nicken. - Tolle Konversation.
"Wie seid ihr hergekommen?"
"Bus", antwortet Jessy.
"Und, wo kommst du her?", wende ich mich an Anna.
"Jenbach."
"Ah", verschaffe ich mir einen Moment: "Das heißt, du...nein, gehst eher nicht in die HTL dort?"
Sie kichert: "Schaue ich so aus?" - *!
"Nein, nein", wehre ich eilig ab, fühle, wie ich rot werde: "Es ist nur...ich kenne ein paar andere, die dort hingehen, und..."
Anna hält den Blickkontakt, grinst. - Habe ich mich da gerade noch mal gerettet?
"Nein, ich bin in der Ferrarischule, letztes Jahr."
"Heißt, du wirst im Frühjahr fertig?"
Sie nickt.
"Hast du schon etwas geplant für die Maturareise?"
Ihr Mund öffnet sich, ihre Augen bleiben auf mich gerichtet. Die Sekunden laufen mit einem Mal so langsam. Schellen ertönen. Laut und grässlich. Nicht sanft und lieblich, wie die des Nikolos. Ich bemerke hektische Bewegung in der Menschenmenge, wie sie sich in meiner Wahrnehmung wie in Zeitlupe teilt. Dunkle, verworrene Schatten flimmern über die hell erleuchteten Hauswände der Maria-Theresien-Straße, erscheinen, verschwinden, bewegen sich. Die Schellen werden lauter. Anna und Jessy drehen sich erschrocken um. Gerade noch rechtzeitig ziehe ich beide zu mir herüber, aus dem Weg eines Perchten gekleidet ganz in schwarzes Fell. Ungebremst stürmt er durch die Besucher, rempelt mehr als nur einen um, sorgt für die Ansätze einer Panik.
Jetzt erst realisieren die beiden Mädchen, was überhaupt passiert ist, finden wieder auf die eigenen Beine, schauen zuerst mich, dann den Perchten, dann wieder mich an. Zerzaust, leicht verschreckt stehen sie da vor mir. Annas Mütze ist ihr über ein Auge gerutscht und Jessys Haare könnten einen Kamm vertragen.
"Wie, was?", bringt letztere hervor, verzieht wütend ihr Gesicht: "Was fällt dem Typen eigentlich ein?!"
Anna rückt sich die Mütze zurecht, aber ganz recht will es ihr wegen ihrer dicken Handschuhe nicht gelingen, sie bleibt einfach nicht, wo sie soll.
"Darf ich?", biete ich an, zeige auf ihre Mütze, schlüpfe aus meinen Wollhandschuhen.
Kurz schaut sie mich an, neigt dann den Kopf leicht zu mir.
Vorsichtig hebe ich die Seiten an, ziehe sie runter, lasse sie ihre Haare richten und ziehe sie ihr wieder schön und gerade über, lächle.
"Danke."
"Bitte."
Yay! - Ich kann mein Glück kaum fassen! - Dabei habe ich nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt...
Sandro kehrt zurück, erfolgreich, wenn es darum geht, Glühwein herzubringen, tendenziell erfolglos in dem Unterfangen, selbigen in Form von vier gleichmäßig gefüllten Tassen bereitzustellen. Seine Hosen und Jacken zeugen wenigstens von dem heroischen Versuch, die vier Becher gleichzeitig und vollkommen alleine durch eine Mengenmenge zu tragen, die einem randalierenden Perchten ausweicht.
Unweigerlich folgt daraufhin natürlich eine große Portion Grinsen für ihn. Und zum Glück kann er selbst auch darüber lachen...
"Aber jetzt mal ehrlich", bringt Jessy das Gespräch zurück auf den Punkt: "Was wollte der Typ hier?"
"Hm...", überlege ich: "Ist nicht heute so eine Art Hexentanz unterhalb des Goldenen Dachls geplant?"
"Jaja, aber wieso ist der dann hier? Und nicht da vorne?", gestikuliert Jessy noch immer wütend.
"Der wird ihnen vermutlich ausgekommen sein...", scherzt Sandro.
Just in diesem Moment verstummen die Musiker, und ein Sprecher übernimmt das Mikrofon: "Verehrte Damen und Herren Besucher des Innsbrucker Weihnachtsmarktes! Wir kommen nun zum Höhepunkt des heutigen Abends! Auf dem Vorplatz des allseits bekannten Goldenen Dachls können Sie nun Zeuge werden, eines einmaligen Spektakels, welche es so in dieser Form nur bei uns in den Alpen zu finden gibt. Geehrte Damen und Herren! Begrüßen Sie zusammen mit mir den Nordketten Pass!"
Jubel brandet auf, Hände werden geklatscht und die ikonisch rhythmischen Schläge der Tamperer setzen, begleitet von den Hörnern und Schellen der Fellteufel, ein.
"Wollt ihr euch das anschauen?", frage ich in die Runde, schaue aber eigentlich nur Anna an. Sie nickt.
"Nein", verschränkt Jessy die Arme: "Keine Lust!"
Ich zucke mit den Schultern: "Na gut, dann halt nicht...Sandro?"
Sein kurzes Kopfnicken in Richtung Jessy ist mir Antwort genug.
"Kommst du?", wende ich mich an Anna.
Dann sind wir auch schon auf dem Weg. - Hinein in einen Abend, den ich so schnell wohl nicht mehr vergessen werde.
Ich fühle mich gerade wie in einem Wintermärchen.

Schneeflocken, Glühwein, Perchten und ein Engel, der selbst die dunkelste Nacht hell erleuchten könnte, wie die warme Sommersonne.
Ich brauche kein Geschenk mehr zu Weihnachten, das hab ich schon bekommen.

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