Kapitel 6

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Den Weg zurück zum Café Musain gehe ich voran, bis Enjolras mir die Tür öffnet. Seine höfliche Geste kommentiert er mit einem Seufzen und verdreht die Augen, was seine Abneigung, mir gegenüber ein Gentleman zu sein, nur verdeutlicht. "Oh wow, welch ein Gentleman...galantes Benehmen scheint wohl doch nicht ganz ausgestorben zu sein!", sage ich sarkastisch und verdrehe meine Augen - was er kann, kann ich auch. Als wir durch den Raum gehen, beginnt Madame Houcheloup zu grinsen. "Geht es dir nun besser, Liebes?", fragt sie. "Ja, vielen Dank.", antworte ich und kann nicht anders, als zu lächeln. "Ich hoffe du bist nett zu ihr, Bursche!", sie zeigt auf Enjolras. "Oh, er ist sehr nett.", sage ich höhnisch. "Ich bin immer nett.", sagt er grinsend und legt scherzhaft, doch auch recht grob, einen Arm um meine Schultern. Doch das Gefühl von seiner Hand auf meiner Schulter ist beinahe elektrisch.  Etwas daran erregt mich und ich wünschte, das würde es nicht. Ich möchte ihn hassen, doch ich kann es nicht. Und wenn ich es beachte, dass er seine Hand erst ganz entspannt an meinem Arm hat, um sie dann, als er realisiert was er gerade gemacht hat, schnell wegzuziehen - dann frage ich mich, ob er das gleiche fühlt. "Pass auf sie auf, Enjolras...", Madame Houcheloup lächelt ihm fast mütterlich zu. "...Und sei nett!". Sie schlägt ihm leicht auf den Hinterkopf, was mich zum lachen bringt. Dieser scheinbare Macho wird von dieser kleinen Frau bemuttert und diszipliniert...
"Awww! Sie mag dich.", necke ich ihn, während wir die Treppe hoch gehen. "So! Habt ihr geküsst und rumgemacht?", Grantaire wankt uns entgegen. "Ähm...nun, wir-", fange ich an, doch dann erinnere ich mich an meine Vorraussetzung für Enjolras. Selbstgefällig drehe ich mich zu ihm und grinse ihn an, noch immer sehr mit mir zufrieden. "Warum sagst du es nicht?", ich verpasse ihm einen leichten Rippenstoß.
"Oh...klar...ich lag falsch.", sagt er schnell und leise, nur ein paar der Jungs und ich konnten ihn hören. Ich räuspere mich und verschränke die Arme, während ich eine Augenbraue hochziehe. Ich starre ihn an, doch irgendwann gibt er nach und zieht sich einen Stuhl heran. Ich kann mein Lachen nur schwer zurückhalten, als er auf den Stuhl steigt. Die Anderen starren ihn nur sprachlos an. Nun steht er da und sieht mich noch einmal an, bevor er starr nach vorne sieht. "Ich lag falsch!", verkündet er, es klingt wie der Beginn einer Rede. Er verstummt und sieht wieder zu mir, um zu sehen ob ich zufrieden bin. "Und...?", frage ich, wartend auf den Rest der Entschuldigung. "Und ich nehme alles zurück, was ich über dich gesagt habe.", er lächelt falsch und springt von dem Stuhl, woraufhin er genau vor mir landet. Ich höre Gekicher aus einer Ecke und sehe, dass Gavroche, Marius, sowie ein paar der Anderen versuchen ihr Lachen zurückzuhalten. Madame Houcheloup und ein paar ihrer Kellnerinnen stehen ebenfalls am Ende der Treppe und kichern. Enjolras sieht sich um und ist weniger begeistert. "Zufrieden?", fragt er und starrt mich in Grund und Boden, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich zucke mit den Schulter. "Muss wohl reichen, Burgunderjunge.", "Burgunderjunge?! Was soll das denn heißen?", spottet er. "Sag du es mir - du trägst hier die Burgunderjacke.", ich nicke ihm zu. "Und weißt du...es würde deiner Krawatte nicht schaden, sie mal wieder zu binden-", flüstere ich ihm zu. "Ich trage meine Krawatte wie es mir passt! Du trägst deine Haare doch auch nicht wie andere Frauen-", unterbricht er mich. "Ach, du vergleichst mich mit anderen Frauen?", ich gehe auf ihn zu und beginne seine Krawatte neu zu binden. "Jeder andere hier scheint in der Lage zu sein, seine Krawatte vernünftig zu tragen-", inzwischen unterbrechen wir uns immer wieder gegenseitig, wie plappernde Idioten, und alle anderen sehen uns nur verwirrt zu. Ich habe ehrlich gesagt keine Kontrolle darüber was ich eigentlich sage. "Ich vergleiche nicht. Ich habe nur beobachtet. Du darfst mich mit Anderen vergleichen, dann darf ich das doch auch? Und ob ich meine Krawatte festziehe geht dich doch nichts an-", "Ich meine, du siehst schon sehr attraktiv aus, ohne sie festzuziehen-", "Und du bist hübsch, so wie du bist-", "Ich denke nur, du würdest weniger Aufmerksamkeit auf dich lenken, wenn...ähm", ich sehe hoch, als ich fertig bin und verliere mich erneut in seinen Augen. "...wenn du sie...festziehen...würdest...", versuche ich den Satz zu vervollständigen und er lächelt mich an. "...Burgunderjunge.".

Plötzlich erinnern wir uns wieder daran, dass wir nicht die einzigen im Raum sind und alle mitbekommen haben, was gerade passiert ist. Sie alle haben unsere Blicke gesehen. Schnell entfernen wir uns voneinander und sehen in die Gruppe der jungen Männer. "Also...uh...was haben wir verpasst?", Enjolras versucht so zu tun, als wären die letzten Sekunden nie passiert. "Darf ich vorstellen...die Amis de l'ABC!", grinst Grantaire während er zu mir schwankt, eine Flasche Wein in der einen Hand, die freie Hand benutzt er um auf jeden der Studenten nacheinander zu zeigen. "Als erstes ist da Bahorel, der Älteste.", Bahorel nickt mir höflich zu. "Er ist der Großvater.", Grantaire lacht lauthals. "Hey, so alt bin ich nicht!", protestiert Bahorel. "Er hat elf Jahre lang Jura studiert...falls du als irgendetwas darüber wissen willst, frag ihn!", scherzt er. "Der nächste ist Combeferre- Medizinstudent, philosophisch...und...", er kommt näher zu mir. "Er absoluter Besserwisser!", flüstert er- jedoch flüstert er nicht leise. "Das habe ich gehört!", erwidert Combeferre. "Courfeyrac ist im Prinzip unser Vater. Der Beschützer. Zuvorkommend, fürsorglich, loyal - Gavroche meint, ihr habt viel gemeinsam.", Grantaire zwinkert. "Schön Sie kennenzulernen, Miss.", Courfeyrac lächelt mir herzlich zu. "Es freut mich ebenso. Wir sollen uns später mal unterhalten...Sie könnten mich über alle Vorgänge hier aufklären.", ich lächel zurück. "Dann ist da Feuilly - der einzige Arbeiter unter uns. Er informiert uns über alles, was außerhalb vor sich geht. Unsere benötigte Verbindung zu den Arbeitern von Paris.", erklärt Grantaire, während er Feuilly einen Daumen nach oben gibt. "Ohne dich wären wir wohl verloren, nicht wahr?", "Das will ich ja wohl meinen", Feuilly lacht. "Jean Prouvaire, wir nennen ihn einfach Jehan, ist unser Poet. Der Romantiker unserer Gruppe, er kennt mehr Sprachen als wir alle zusammen. Falls du also mal einen Dichter brauchst...".
"Aber Stille! Was für ein Licht bricht aus jenem Fenster hervor? Es ist der Osten, und Juliet ist die Sonne -", erwidert Jehan. "...Wie bitte?", ich bin etwas von seinem Ausbruch überrascht. "Shakespeare? Romeo und Julia? Du bist so schön wie sie!", erklärt er. "Oh...danke.", ich werde rot. "Sehr schmeichelnd...".
"Dann ist hier Joly - noch ein Mediziner. Er ist der Fröhliche unter uns...", sarkastisch grinst Grantaire ihm zu, bevor er sich wieder zu mir dreht. "Nein, ehrlich...Er ist der Fröhliche!". "Freut mich ihre Bekanntschaft zu machen, Miss!". "Das da ist Lesgle.", Grantaire lehnt sich wieder zu mir um laut zu flüstern. "Ein armer Bursche...er wurde schon mit fünfundzwanzig kahl...kein junger Mann will das.", "Red doch noch lauter Grantaire...Ich bin mir sicher niemand hört dich!", scherzt Lesgle über dieses laute Flüstern.
"Und Gavroche hast du ja schon kennengelernt. Marius...nun, ihn kennsst du wohl auch. Lesgle hat Marius zu uns gebracht. Enjolras- unser furchtloser Anführer, der ziemlich oft ziemlich schrecklich zu anderen ist. Attraktiv, entschlossen und charismatisch, aber das hast du ja alles schon bemerkt. Und wie du ebenfalls schon bemerkt hast...er trägt gerne rot!", das bringt mich zum kichern. "Nun...und ich bin Grantaire. Ich bin eigentlich nur hier wegen des Alkohols.".

The Barricade Girl //Übersetzung//Translation//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt