Neuanfang

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Ich saß im Taxi, auf den Weg zu meiner Mutter, welche vor ca. 3 Jahren mit ihren neuen Freund nach England zog. 7.540 Kilometer von mir entfernt.

Eigentlich kommen meine Eltern und ich aus Colorado. Genauer gesagt aus Denver. Doch als sich meine Eltern 2012 scheiden ließen, beschloss mein Vater das Sorgerecht zu beantragen, da meine Mutter zu diesem Zeitpunkt starke Alkoholikerin war. Was auch einer der Gründe war, warum sie sich scheiden ließen. Der andere Grund war entweder meine derzeitige rebellische Art, oder die Tatsache, dass meine Mutter meinen Vater betrogen hatte.

Als meine Mutter nach einem Jahr ihren neuen Freund Patrick kennenlernte, beschloss sie einen Entzug zu machen und zog bald darauf mit ihm nach London. Genauer nach Southwark. Ein ziemlich kleiner Stadtteil inmitten von London. Und dadurch auch ziemlich bewohnt.  Leider hatte sie mir nie etwas über ihren Freund und seiner Familie erzählt, was die Sache mit dem zusammen ziehen wahrscheinlich etwas schwieriger gestalten würde.
Inzwischen hatte ich eine Reisezeit von fast 12 Stunden hinter mir, da mein Flug einen Zwischenstopp in Reykjavik einlegte. Nun waren es nur noch wenige Minuten, bis ich vor der Tür meiner Mutter stand. Das Taxi hielt und ich blickte aus dem Fenster. Vor mir ein riesen Haus mit einem noch größeren Garten. Ob dieser Patrick wohl reich war?

Ich gab dem Taxifahrer den von ihm genannten Betrag und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Langsam, da ich doch etwas nervös war meine Mutter wiederzusehen, schritt ich auf die Tür zu. Ich drückte auf die Türklingel und wartete darauf, dass mir jemand die Tür öffnete. Doch niemand kam. Auch nicht nachdem ich weitere male die Klingel betätigte. War sie kaputt? Oder war niemand zu Hause? Hatte meine Mutter vergessen dass ich zu ihr zog? War ich vielleicht doch an der falschen Adresse? Nochmal kontrollierte ich die Daten die mir mein Vater auf meinen Schreibtisch gelegt hatte. Nein, das war eindeutig die richtige Adresse. Vielleicht sollte ich sie mal anrufen? "Scheiß Handy, warum gehst du jetzt nicht mehr an?!" – "Kann ich dir helfen?" Just in dem Moment als ich mein Handy wieder einsteckte öffnete mir ein Mann die Tür. Er war mehr als nur einen Kopf größer als ich. Vermutlich war er an die 1,90 m groß. Der Mann hatte einen muskulösen Körper und seine Augen strahlten Macht aus, aber auch Freundlichkeit und etwas Verwirrung. Wahrscheinlich fragte er sich, was ich hier vor seiner Tür tat. "Wie hast du die Adresse rausgefunden?" Sein Gesichtsausdruck änderte sich von überrascht zu verärgert.

"Äähh, meine Mutter Clarissa hat mir die Adresse zugeschickt, ich bin ihre Tochter Laurissa. Sie sollte eigentlich bescheid wissen, dass ich ab heute bei ihr wohne." Schüchtern blickte ich dem Mann in die Augen, hoffte das meine Mutter sich nicht verschrieben hatte. "Darling, wer ist denn an der Tür?" Mein Herz setzte einen Schlag aus und die Nervosität steigerte sich mit jedem Schritt den sich meine Mutter der Tür und somit mir näherte. Ich war so gespannt ob sie immer noch die gleiche wie vor 5 Jahren war. Obwohl nein, das war sie sicher nicht mehr, da sie nun keinen Alkohol mehr trank. Inzwischen war meine Mutter an der Tür angelangt und blickte mir erstaunt in die Augen.

"Laurissa, was machst du denn schon hier? Ich hatte dich nicht so früh erwartet. Aber nun egal, komm erstmal rein. Patrick Schatz, warum nimmst du meiner Tochter nicht die Koffer ab und bringst sie ihr schon mal in ihr Zimmer, ich zeig ihr mal unser Haus, in Ordnung?" Der Mann, Patrick, nickte und gab meiner Mutter noch einen Kuss bevor er sich bei mir entschuldigte für sein Verhalten und schließlich mit meinen Koffern nach oben verschwand.

"Nun komm meine Liebe, ich zeig dir mal wo sich die Küche befindet. Lieg ich richtig, dass du immer noch sehr viel Zeit in Essen und lesen investierst?" Leicht errötend nickte ich. Ja ich war sehr verfressen und eine kleine Leseratte. Doch mein Körper zeigte nicht wie viel ich aß. Ich war immer noch sehr schlank und hatte dennoch Kurven an den richtigen Stellen. Eigentlich würde ich sagen, dass mein Körper nahezu perfekt ist. Natürlich hatte jeder etwas an seinem Körper auszusetzen so auch bei mir. Ich hasste meine Füße und meine Nase. Keine Ahnung warum, aber sie gefielen mir an meinem Körper am wenigsten.

"Ja Mum, ich esse und lese immer noch so viel wie vorher."
Meine Mutter nickte nur auf meinen Kommentar und meinte, dass mir der nächste Raum dann sehr gut gefallen würde. Sie öffnete eine Tür neben dem Eingangsbereich und ließ mich eintreten. Doch was sich hinter der Tür befand, mit dem hätte ich nie gerechnet. Eine riesen Bibliothek voll mit unzähligen Büchern. Von Fantasy und Romantik bis Krimi und Thriller fand ich alles hier.

"Den Raum haben Patrick und ich extra für dich einrichten lassen, in der Hoffnung, dass du mich mal besuchen kommen würdest. Jetzt kannst du ihn endlich benutzen. Wenn du ganz nach hinten läufst hast du eine tolle Aussicht auf die Stadt und eine kleine Sitzbank. Ich werde schnell etwas zu essen kochen, wenn du in dein Zimmer willst, geh einfach die Treppen nach oben, du wirst es finden. Und Laurissa, es tut mir leid was mit deinem Vater passiert ist."

Mit diesen Worten, verschwand meine Mutter wieder aus der Tür und ließ mich in der Bibliothek allein. Langsam schritt ich durch die Bibliothek bis nach hinten und genoss den Ausblick. Ich musste an meinen Vater denken, er war viel zu früh gegangen. Er hatte so lange ohne mein Wissen gekämpft und als es dem Ende nahe ging, weihte er mich ein.

Flashback

Leise öffne ich die Türe. Es war 2 Uhr nachts und ich hätte schon längst zu Hause sein sollen. Ich sehe wie im Wohnzimmer das Licht brennt und höre, wie mein Vater von der Couch aufsteht und ächzt. Seit mehreren Wochen geht es ihm schon so und die leichtesten Tätigkeiten bringen in außer Atem.

"Schätzchen, wir müssen reden." Mein Vater blickt mir mit verschleiertem Blick in die Augen. "Dad, kann das nicht bis morgen warte, es ist 2 Uhr nachts und ich bin müde." Hoffentlich lässt er mich jetzt gehen, ich will nicht das er mir um 2 Uhr eine Standpauke hält, weil ich wieder mal zu spät bin.

"Nein mein Schatz, es ist wirklich wichtig und ich habe es dir zu lange verschwiegen. Setz dich bitte. Es wird etwas dauern bis ich dir alles erklärt habe."

Leicht ängstlich setze ich mich auf den Sessel gegenüber von meinem Vater welcher zusammengesackt auf der Couch sitzt.

"Es fing ganz harmlos vor ein paar Jahren an, es war die Zeit in der deine Mutter anfing Alkohol zu trinken. Zuerst waren es nur Schmerzen in den Knochen. Ich hatte vermutet das es vielleicht Rheuma wäre oder eine Arthrose. Ich ging zum Arzt und nach mehreren Tests stellte sich heraus, dass es sich um Knochenkrebs handelt. Mein Arzt riet mir zu einer Operation und auch zur Chemotherapie. Doch dies brachte alles nichts. Der Krebs konnte zwar im Knochen entfernt werden, doch ich hatte zu lange keine Schmerzen, der Krebs hatte bereits in die Blutbahnen metastasiert und somit verteilen sich die Krebszellen immer mehr und mehr in meinem Körper. In meiner Lunge, Leber und in meinem Darm. Das Herz ist ebenfalls bereits befallen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis es aufhört zu schlagen. Es tut mir leid, dass ich es dir so lange vorenthalten habe. Ich wollte es dir  sagen,aber ich hatte Angst, dass ich dich früher verliere als eh schon. Ich dachte, wenn ich es dir früher sage, dann verlässt du mich und ziehst sofort zu deiner Mutter. Denn das will ich. Wenn ich tot bin, dann will ich, dass du zu deiner Mutter nach England ziehst. Ich habe deine Mutter bereits kontaktiert, ihre Adresse und ihre Handynummer habe ich dir auf einen Zettel geschrieben. Er liegt auf deinem Schreibtisch. Spätzchen du musst mir glauben, ich wollte es dir schon viel früher erzählen, doch ich konnte nicht."

Immer mehr und mehr Tränen laufen über meine Wangen. Mit jedem Satz wird mir mehr bewusst, dass mein Vater sterben wird. Er wird wahrscheinlich nicht mitbekommen wie ich meinen Abschluss mache, wie ich auf die Uni gehe. Er wird meinen Ehemann nicht kennen lernen, wird ihm nie sagen können, dass er ihn kastriert wenn er mich auch nur ansatzweise verletzt. Er wird mich nicht sehen wie ich seine Enkelkinder zur Welt bringe. Er wird nie seine Enkelkinder sehen. Er wird viel zu jung sterben.

"Daddy ich will nicht, dass du gehst, du darfst nicht sterben. Wo soll ich ohne dich nur hin? Ich will nicht zu Mum nach England. Warum kann ich nicht bei Granny bleiben. Ich will in deiner Nähe bleiben. Ich will nicht ,dass du, wenn du tot bist, 7.000 km von mir entfernt bist und ich dich nie an deinem Grab besuchen kann. Ich will nicht weg von dir." Ich werfe mich in die Arme meines Vaters. Er hält mich fest, flüstert die ganze Zeit über irgendwelche Entschuldigungen und wie sehr er mich lieb hat. Irgendwann bin ich in seinen Armen eingeschlafen. Am nächsten Tag lag er neben mir, die Lippen ganz blass und der Puls nur noch schwach. Ich rief den Notarzt, welcher meinen Vater ins Krankenhaus einliefern ließ. Nur zwei Tage später verstarb mein Vater kurz nach Mitternacht. Es war der 01.01. 2017.

Flashback Ende

How life changes / Thomas Brodie-Sangster FF *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt