Im Laufe der folgenden Woche verwandelte sich mein Zimmer in eine Bibliothek. Es versetzte mich in meine besten Zeiten zurück, in denen ich in den Ferien den Raum kaum verließ und bloß an die Wissenschaft denken konnte. Gellert ging es ähnlich: Er kam nach dem Frühstück zu mir, ließ sich von mir zum Mittagessen zu seiner Tante schleifen, die uns jeden Tag beide einlud (und Aberforth, der aber nie mitkam), und trennte sich nur zum Schlafengehen von mir.
„Ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich so von mir anstecken lässt", sagte Gellert zu mir, nachdem ich ihm eine Seite in Noblesse der Natur: Eine Genealogie der Zauberei gezeigt hatte. „Sieh dir das an. Kaum kenne ich dich, finde ich heraus, dass die Peverell Familie in der männlichen Linie ausgestorben ist. Das ist ... das ist fantastisch, Albus."
Er strahlte, doch ich schüttelte den Kopf. „Das heißt nur, dass es beinahe unmöglich sein wird, den Umhang zu finden", gab ich zu bedenken. „Ignotus Peverells Nachfahren tragen nicht mehr seinen Namen und sie könnten wer weiß wo sein. Wir können sie niemals über mehrere Generationen zurückverfolgen, Gellert."
„Glaubst du das?", sagte er, ungetrübt. „Ich glaube, du kannst alles schaffen, was du dir vornimmst. Und zusammen schaffen wir das erst recht. Und dass die Familie in der männlichen Linie ausgestorben ist, bedeutet auch, die Geschichte stimmt. Cadmus besaß den Stein der Auferstehung, richtig? Er beging Selbstmord, hatte also wohl keine Nachkommen. Und wir beide wissen nur zu gut, was mit Antioch und dem Zauberstab passiert ist."
„Ja", sagte ich, „aber warum brauchen wir den Umhang? Wenn ich einen Desillusionierungszauber wirken kann, der mich vollständig unsichtbar macht, dann schaffst du das doch erst recht."
Er schwieg kurz, bevor er sagte: „Du schmeichelst mir. Aber ja, du hast recht. Dafür brauchen wir ihn nicht. Aber sieh mal, in der Geschichte heißt es, nur wer alle drei Heiligtümer besitzt, wird zum Gebieter des Todes."
So ging es tagelang. Wir verhalfen einander zu immer wilderen Theorien, schoben uns gegenseitig Bücher zu, und manchmal, da lachten wir einfach. Alles inmitten von tanzendem Staub in einem Sonnenstrahl, auf dem Boden meines Zimmers, umgeben von alten Wälzern und Pergamentrollen.
Es war das Paradies.
Ich hatte bereits mit vielen Zauberern korrespondiert, hatte mit ihnen zusammen Entdeckungen gemacht und Artikel veröffentlicht, aber noch nie hatte ich einen solchen Schlagabtausch gehabt wie mit Gellert Grindelwald. Wir waren nicht nur intellektuell auf einer Augenhöhe, wir waren im selben Alter und das machte eine Menge aus. Ganz davon abgesehen war seine Persönlichkeit so magnetisierend, er war so voller Energie, er beflügelte mich auf eine Art, wie ich sie bisher nicht kannte.Natürlich konnten wir nicht immer nur arbeiten. Manchmal waren wir uns einig, dass wir eine Pause einlegen und das Haus verlassen mussten. Meistens gingen wir in den Garten, um nie allzu weit weg von unseren Aufzeichnungen zu sein, falls uns eine Idee kam. Und so saßen wir eines Abends Schulter an Schulter unter dem Pflaumenbaum und schauten dabei zu, wie dunkelgraue Gewitterwolken über den Himmel zogen. Ich würde Gellert früh heimschicken müssen, denn Ariana reagierte immer sehr stark auf das Donnergrollen.
„Erzähl mir von Durmstrang", bat ich Gellert. Ich vermisste es, ihn reden zu hören. Er begeisterte sich für so vieles so sehr.
„Es liegt ganz im Norden von Europa", begann er, doch seine Stimme klang hohl und weit entfernt. „Im Winter wird es dort nicht hell. Manchmal schneit es so sehr, dass man Lawinen auf den Berghängen beobachten kann. In der dunklen Zeit ist es am schönsten, fand ich immer. Weil Feuer nur für magische Zwecke entzündet werden, laufen alle Schüler mit erleuchteten Zauberstäben durch die Gänge. Es fühlte sich an wie Magie in ihrer reinsten und unschuldigsten Form."
Ich erzeugte lautlos eine unsichtbare Barriere um uns herum, die uns vor den ersten schweren Regentropfen schützte. „Vermisst du es?"
„Oh nein", erwiderte er. „Ich bin froh, weg zu sein und ich werde nie wieder zurückkehren. Sie waren nicht immer einverstanden mit dem, was ich erforscht habe. Ich habe mein Zeichen dort gelassen. Sie werden sich an mich erinnern."
„Dein Zeichen?"
Er hob den Zauberstab und die Regentropfen vor uns sammelten sich in der Luft und bildeten kurz das Symbol der Heiligtümer, bevor sie zerflossen.
„Was ist mit dir?", fragte er und lächelte mich schief an. „Vermisst du Hogwarts?"
Ich seufzte tief. „Das habe ich. Bis du hier aufgetaucht bist."
Gellert legte mir einen Arm um die Schultern und lehnte seinen Kopf gegen meinen. „Ich wette, du warst ein Streber."
„Du liegst nicht falsch."
Er lachte und zog mich enger an sich. „Es gibt nur zwei Dinge, die du tun kannst", sagte er. „Entweder du beeindruckst sie, oder du entsetzt sie. Und manchmal sind die gar nicht so unterschiedlich."
„Sie?"
„Alle", sagte er. „Die ganze Welt. Du kannst sie dir nehmen, wenn du es nur willst."
Ich hatte nie die Welt gewollt. Aber hier, jetzt, im Garten mit Gellert an meiner Seite, konnte ich es sehen. Aber ich sah nicht mich allein.
Über unseren Köpfen ertönte das erste Donnergrollen. Ich machte Anstalten aufzustehen, aber Gellert ließ mich nicht los. „Wo willst du hin?"
„Ich muss gehen. Ariana ..."
Er verzog das Gesicht. „Kann das nicht dein Bruder übernehmen?"
„Nicht heute."
Widerwillig ließ er locker, behielt aber meine Hand in seiner. „Albus. Morgen?"
„Morgen", sagte ich und drückte seine Hand.
~ * ~
Als ich in den Keller kam, wo Arianas Zimmer sich befand, war Aberforth schon da. Ariana murmelte vor sich hin, sie saß auf ihrem Bett und hatte die Arme um die Knie geschlungen.
„Wo ist dein Anhängsel?", fragte Aberforth mit Trotz in der Stimme.
„Bitte", sagte ich und setzte mich auf einen Stuhl ein paar Meter entfernt von unserer Schwester. „Nicht hier."
„Oh, als ob sie dich interessiert", entgegnete Aberforth und nickte zu Ariana herüber. Sie wippte nun vor und zurück und ihre Augen flackerten nervös zwischen Aberforth und mir hin und her.
„Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen? Letzte Woche? Bevor er kam?"
Ich wandte den Blick von ihm ab, starrte die Wand an, antwortete nicht. Denn er hatte völlig recht. Aber immerhin war ich jetzt hier, oder nicht?
„Ich habe Gellert nach Hause geschickt, um hier sein zu können, bei ihr", sagte ich kühl. „Aber nichts was ich tue, reicht je aus, oder?"
Mein Bruder spuckte ein Lachen aus. „Du tust nichts, Albus, gar nichts. Du sitzt den ganzen Tag mit deinem Freund in deinem Zimmer und redest über - Merlin weiß was ihr da treibt - und glaubst, wenn du einmal was machst, was sowieso von dir erwartet wird, sollte man dir danken?"
„Was wir tun ist wichtig."
„Das hier ist wichtig!", rief er, beruhigte sich aber sofort wieder als Ariana leise wimmerte. „Sie ist wichtig."
Ein Donner grollte und Aberforth begann beruhigend auf Ariana einzureden, was es mir ersparte, zu antworten.
Wir schwiegen lange und als das Gewitter vorübergezogen war, schälte sich zwar die Tapete von den Wänden und hatte ein paar Brandlöcher, aber ansonsten war nichts passiert. Aberforth warf mir einen verächtlichen Blick zu, bevor er in seinem Zimmer verschwand.
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Einen Sommer Lang
Fanfiction[Dumbledore x Grindelwald] Sie kannten sich bevor Albus Dumbledore Schulleiter von Hogwarts wurde und bevor Gellert Grindelwald in einer Hochsichterheitszelle in Nurmengard sein Ende fand. Sie kannten sich vor dem legendären Duell, aus dem Dumbledo...