Wie geht es jetzt weiter?

192 15 6
                                    

Tim spürte wie sich zwei Arme um ihn legten und ihn zu einem Stuhl führten. Er konnte seine Beine nicht mehr selbst steuern. Die Person entfernte sich und drückte ihm ein paar Minuten später einen Pappbecher in die Hand. "Trink das. Wird dir gut tun." Tim tat wie ihm befohlen wurde und trank einen Schluck von dem heißen Tee.
Benni setzte sich neben ihn. "Geht es dir denn so weit okay? Ich hab Marcel und Stefan angerufen. Beide kommen so schnell sie können nach Berlin. Igor kommt auch gleich zu mir. Wir müssen da nicht alleine durch."

Tim nickte nur leicht. Seine Gedanken kreisten immer um dasselbe Thema. Lukas liebte ihn. Wieso hatte er es nicht bemerkt? Lukas war seit sie sich kannten sein engster Freund gewesen. Sogar eigentlich deutlich enger als er mit Marcel befreundet war, beziehungsweise waren die Freundschaften auf vollkommen anderen Ebenen. Lukas war sein Seelenverwandter und nichts konnte sie trennen. Und das was Tim eben gesagt hatte stimmte. Er liebte Lukas, eigentlich hatte er ihn schon immer geliebt aber er hatte es sich nie eingestanden. Tim war noch nie mit seiner Bisexualität klar gekommen und hatte sie immer verdrängt. Nur bei Lukas konnte er sich irgendwie öffnen. Er hatte nie Probleme damit gehabt den Jüngeren zu küssen oder sich mit ihm ein Bett zu teilen, für normale Freunde hatten sie auch generell viel zu viel Körperkontakt gehabt.

"Sind Sie Herr Winter?" Eine Frau in weißem Kittel stand vor ihm und schaute ihn fragend an. Tim nickte. "Herr Winter, Sie sind als Notfallkontakt und Bevollmächtigter in der Patietenverfügung von Herrn Sommer eingetragen und werden somit über alles informiert was seinen Gesundheitszustand angeht. Ich muss ehrlich zu Ihnen sein. Es steht sehr schlecht um Ihren Freund. Wir müssen sehen dass er die Nacht überlebt. Die nächsten Stunden entscheiden ob und wie es weitergeht. Zunächst wird er operiert. Gehen Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Sie helfen ihm nicht indem Sie sich auch noch kaputt machen."

Wieder nickte Tim nur müde. Sein Denken war wie ausgeschaltet. Benni packte ihn an einem Arm und zog ihn von seinem Stuhl. "Du hast die Ärztin gehört, Timi. Lass uns nach Hause gehen. Wir müssen schlafen und Kraft für die nächsten Tage tanken."
Immer noch unfähig sich selbst zu bewegen folgte Tim dem Jüngeren zu seinem Auto. Inzwischen war es dunkel geworden und als sie bei Benni ankamen saßen Stefan, Igor und Marcel im Wohnzimmer.
Entgegen der üblichen Blindspot Manier war es still. Es hatte zwar jeder ein Bier vor sich aber es war weder Musik an noch redeten sie wild durcheinander.

"Wie geht's ihm?" fragte Stefan als er die beiden Neuankömmlinge sah und sprang auf.

Marcel war ebenfalls aufgestanden und umarmte seinen besten Freund. "Timi. Alles wird gut. Er wird es schaffen." Wieder fing Tim an zu weinen. Er war einfach nur fertig, er wollte nicht Schuld daran sein dass Lukas womöglich für sein restliches Leben eingeschränkt war. Er wollte Lukas doch nur wieder in seine Arme schließen.
"Shht. Komm, ich bring dich ins Bett."
Vorsichtig führte er Tim zu seinem Gästezimmer. Normalerweise schlief Tim bei Lukas, aber dieses Mal hatte er wegen ihres Modelabels so viel mit Benni zu tun gehabt dass er sich bei ihm einquartiert hatte.

"Marcel?" inzwischen lag Timi in seinem Bett. "Ich will nicht dass er stirbt und nicht dass ich schuld bin. Er liebt mich doch, und ich ihn." Marcel legte eine Hand auf seine Schulter und streichelte darüber.

"Tim, er wird nicht sterben. Und du bist nicht Schuld daran. Wir müssen jetzt einfach abwarten, schlaf jetzt. Ruh dich aus."

Damit verließ er das Gästezimmer und ging zurück zu den anderen. "Ich hab ihm was zur Beruhigung gegeben. Ich hoffe er schläft jetzt halbwegs. Benni, erzähl bitte mal was genau passiert ist." Er setzte sich zu Stefan und Igor auf das Sofa. Benni saß ihnen auf seinem Sessel gegenüber.

Der Labelboss seufzte. "Timi und ich hatten gerade eine Pause gemacht in unseren Planungen für die neue Kollektion. Und plötzlich kamen die Mails. Wir wollten sofort los, und Lukas hatte Gott sei Dank in der Mail an Timi geschrieben wo er sich umbringen will. Wir wären sonst zu seiner Wohnung gefahren und er hätte es nicht geschafft. Es war auch wirklich knapp. Kurz nachdem wir Lukas aus dem Auto gezogen hatten hat es angefangen zu brennen.
Lukas ist mit seinem Auto vor einen Baum gefahren.
Wir wurden kurz von der Polizei befragt und konnten dann dem Krankenwagen hinterher zum Krankenhaus fahren.
Da haben wir dann ewig gewartet bis eine Ärztin gesagt hat dass Timi der Notfallkontakt ist und in der Patietenverfügung steht als Bevollmächtigter. Aber es steht nicht gut um Lukas. Wir müssen hoffen dass er die Nacht überlebt."
Nach diesem Monolog exte er sein Bier.
"Stefan, du hattest übrigens anscheinend recht. Lukas hat es wohl versucht weil er Timi liebt und nicht mit der Tatsache klar kommt dass Timi Vater wird."

Stefan nickte. "Ich weiß. Lukas hat es mir vor Jahren mal anvertraut. Ich hab ihm geraten etwas auf Abstand zu Tim zu gehen oder es ihm zu sagen. Aber er hat wohl beides nicht gemacht. Ich habe befürchtet dass das irgendwann eskalieren wird. Er hat sich in der Mail an mich entschuldigt dass er nicht auf mich hören konnte und dass ich auf euch und besonders auf Timi aufpassen soll."

Eine bedrückte Stille entstand. Sie alle hingen ihren Gedanken nach, allen war klar dass sie als Gruppe zusammen halten mussten, für Tim und für Lukas. Vor allem Tim machte ihnen allen Sorgen. Der Bielefelder war leider generell ein psychisches Wrack.

"Marcel? Weißt du eigentlich genaueres? Also wie es auf Timis Seite dazu aussieht? Er hat vorhin immer wieder gesagt, dass er ihn auch liebt." Benni schaute ihn fragend an.

"Puh. So richtig weiß ich das auch nicht. Er hat es irgendwie mal angedeutet aber nicht so dass ich erwartet habe dass da mehr gewesen wäre. Also er meinte noch vor kurzem dass er irgendwie so unglücklich verliebt ist. Da war er aber schon mit Franziska zusammen und sie war auch schon schwanger. Ich hab es allerdings nicht weiter hinterfragt, da es gerade in einer depressiven Episode war. Ich weiß nur dass die beiden einmal Sex miteinander hatten auf einer Tour mit euch. Timi hat sich nie getraut mit Lukas darüber zu reden. Also... Ihr müsst wissen Timi IST bisexuell, konnte aber nie damit umgehen. Er hat es nie ausgelebt und nur ich wusste all die Jahre davon. Nur bei Lukas konnte er er selbst sein. Seit er Lukas kennt ist er deutlich ausgeglichener."

Die anderen nickten. Endlich meldete sich auch Igor mal zu Wort. "Wir sollten Timi in der nächsten Zeit besser nicht alleine lassen. Wir kennen unseren Freund alle und es dürfte uns allen bekannt sein wie er auf solche Situationen reagiert, ich nenne als Beispiel nur den Tod seines Opas. Wir dürfen nicht riskieren dass er sich auch noch etwas antut. Benni hast du Kontakt zu Franziska? Was sagen wir ihr? Ich glaube sie sollte das mit der Liebe nicht unbedingt wissen, oder? Ich meine sie ist hochschwanger und der Vater liebt einen anderen Mann..."

"Ich glaube sie weiß es eh. Vor ein paar Wochen hat sie mich gefragt ob ich weiß ob zwischen Tim und Lukas jemals mehr war weil die beiden immer so viel miteinander machen. Ich hab ihr aber jetzt noch nichts gesagt von Lukas... Sollten wir aber noch. Ich denke Timi wird wie wir ihn kennen die nächste Zeit bei Lukas im Krankenhaus verbringen wollen und kaum zu ihr gehen."

Wieder nickten die anderen. Sie alle hätten niemals gedacht solche Gespräche jemals wegen Lukas führen zu müssen. Es hatte immer so gewirkt als wäre Timi am meisten gefährdet gewesen sich umzubringen, in depressiven Phasen ging er sehr schlecht mit seinem Körper um und nahm wahllos alles was er an Drogen in die Hand bekommen konnte.

"Jungs, lasst uns schlafen gehen. Wir brauchen unsere Kraft für Lukas und für Timi. Wer weiß was die nächsten Tage noch auf uns zukommt."

Und damit sollte Stefan recht behalten. Sie hatten keine Ahnung was dieser Tag für einen Rattenschwanz hinter sich herziehen würde.

In Liebe, Lukas Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt