Es tut weh

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Tim setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Es klopfte zögerlich an der Tür und Benni trat ein. "Hey. Wie geht's ihm?" flüsterte er fragend und stellte sich neben Tim.

Tim seufzte. "Du siehst es ja. Er ist in einem künstlichen Koma. Knochenbrüche, schweres Schädelhirntrauma und eventuell eine Querschnittslähmung. Das kann erst ausgeschlossen werden wenn er wach ist. Ich mache mir solche Vorwürfe. Ich hab es wirklich nicht gemerkt dass er mich liebt. Also so richtig, freundschaftlich war mir das klar. Ich hab mir auch nie mehr dabei gedacht als wir so viel miteinander gekuschelt haben und uns geküsst haben. Mit Stefan hat Lukas das ja auch manchmal gemacht. Vielleicht hätte es mir nachdem wir Sex hatten klar sein sollen aber da war ich zu überfordert mit mir selbst." Er starrte auf die weißen Verbände.

Benni hatte eine Hand auf Tims Schulter gelegt. "Timi. Ich glaube nicht dass Lukas wirklich nur wegen deiner 'unerwiderten' Liebe versucht hat sich umzubringen. Da steckt mehr dahinter. Stefan hat mich angerufen. Die Wohnung von Lukas stand extrem zu. Vor allem sehr viele leere Weinflaschen. Das passt nicht zu ihm. Ich denke es lag AUCH an dir aber nicht ausschließlich.
Ich glaube eher ist ihm seine Berühmtheit zum Verhängnis geworden. Tim du kennst Lukas besser als alle anderen von uns. Niemand ist ihm so nah wie du. Trotzdem ist es nicht deine Schuld dass du es nicht erkannt hast. Jeder der dich kennt weiß dass du nicht der beste bist im lesen von anderen Menschen. Wir alle hätten es erkennen müssen, gerade ich als Labelboss und Manager hätte es erkennen müssen. Ich hab schließlich die Verantwortung für euch alle."

"Benni...?" Tim sah zu dem Kleineren auf. "Die Ärztin hat mir gesagt dass Lukas verunreinigtes Koks gezogen hat... Ich glaube das war mein Koks. Ich war ja kurz vorher noch bei ihm und er wusste dass wir uns später wohl abschießen würden. Mir ist nicht aufgefallen dass er es mir abgenommen hat. Das hat er schon öfter gemacht. Er meinte er will nicht dass ich mich allzu sehr wegballer.
Verdammt, jetzt bin ich wirklich mindestens mitschuldig."
Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in seinen Händen.

"Timi. Er ist erwachsen. Du bist nicht Schuld daran dass er dir Kokain gestohlen hat. Du es ja auch für dich gekauft und es nicht darauf angelegt. Dass es gestreckt war ist jetzt einfach Pech und nicht deine Verantwortung. Du solltest dir vielleicht nur einen neuen Dealer suchen, dem alten würde ich nicht mehr vertrauen. Kannst ja mal bei meinem besten Mann anfragen, ich weiß nur nicht wie sein Gras ist, damit hab ich nichts zu tun. Aber reden wir wirklich an Lukas Bett über Drogen? Unser Streberchen wollte damit doch nie was zu tun haben. Und jetzt liegt er hier und hat selbst eine Überdosis. Was hat es denn eigentlich mit der Tatsache auf sich dass du in seinen Akten stehst? Wusstest du das? Du hast nämlich so gefasst gewirkt als die Ärztin das gesagt hat."

Tim nickte. "Wir haben da mal drüber gesprochen als ich in Bielefeld den schweren Zusammenbruch hatte. Umgekehrt hab ich ihn neben Marcel auch eintragen lassen. Weil es zumindest bei mir im wahrscheinlichsten Fall entweder in Bielefeld oder wenn wir als Blindspot unterwegs sind wäre wenn mir etwas passiert. Und ich weiß genau dass Lukas nur in meinem Sinne entscheiden würde. Er weiß was ich will."

Mit einem mulmigen Gefühl erinnerte Tim sich an diese Situation zurück. Kurz nachdem sein geliebter Großvater gestorben war, war Lukas für ein paar Tage vorbeigekommen um ihn ein wenig abzulenken und an ihrem neuen Feature zu arbeiten dass auf Timis Album erscheinen sollte. Das hatte auch ein paar Tage ganz gut geklappt. Sie waren wirklich produktiv gewesen und hatten sogar noch ein paar mehr Parts geschrieben die sie in anderen Songs nutzen wollten. So konnte Tim seinen Schmerz über den Verlust zumindest am Tag vergessen. Doch umso stärker kam er in der Nacht zurück. Lukas hatte jede Nacht bei ihm im Bett geschlafen und hatte ihn beruhigt wenn er schweißgebadet und weinend aus Albträumen aufgewacht war. Eines Nachts hatte Tim es nicht mehr ausgehalten. Hatte alle möglichen Drogen eingeworfen und wollte allem ein Ende setzen. Er hatte die Rasierklinge schon an der Pulsader als Lukas die Tür auftrat und ihm die Klinge aus der Hand nahm. Lukas hatte ihn gezwungen sich zu erbrechen und ihn danach ins Bett getragen weil Tims Körper zu geschwächt war. Drei volle Tage hatte Tim mit den Nachwirkungen zu kämpfen gehabt. Lukas hatte die ganze Zeit an seiner Seite gesessen, hatte sein Fieber mit Wadenwickeln kalten Tüchern auf seiner Stirn bekämpft und hatte ihm immer wieder Wasser und leichte Suppe eingeflöst. Am Abend des dritten Tages hatte Tim immerhin ein leises "Danke" hauchen können bevor er wieder in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Am nächsten Tag hatte er immerhin wieder selbstständig etwas essen können.
Als es ihm ein paar Tage später wieder halbwegs gut ging forderte Lukas ihn auf ihm die Wahrheit zu sagen wie es ihm ging und ob er nochmal vorhatte sich umzubringen. Er hatte Timi ins Gewissen geredet sich doch wenn schon nicht von einem Therapeuten dann wenigstens von ihm helfen zu lassen.
Außerdem hatte er verlangt dass Timi ihm einige Vollmachten geben sollte. Sollte es dazu kommen dass es ihn Lukas Gegenwart noch einmal passierte und möglicherweise sogar im Krankenhaus endete wollte Lukas ihm helfen können.

Verstehend nickte Benni. Die Freundschaft zwischen Tim und Lukas war schon immer sehr eng gewesen. Es wunderte ihn wirklich nicht dass da noch andere Gefühle im Spiel waren. Man hatte es in ihren Blicken zueinander erahnen können. "Ich hab Lukas Eltern schon angerufen. Sie kommen übermorgen her. Eher ging es nicht. Sie wussten wirklich nichts davon, die Polizei ist wohl davon ausgegangen dass sie keinen Kontakt mehr haben oder so weil du ja der Bevollmächtigte bist. Mach dir keine Gedanken. Dein Lukas wird schon wieder auf die Beine kommen. Hast du denn eigentlich schon mit Franzi gesprochen?"

Tim zuckte zusammen. Seine Lebensgefährtin hatte er vollkommen vergessen. Sie hatten doch auch heute eigentlich einen Termin bei der Geburtsvorbereitung gehabt. "Scheiße!" Tim zog sein Handy aus der Hosentasche. Und tatsächlich da waren einige Anrufe von Franziska in Abwesenheit. "Was soll ich ihr denn sagen? Ich hab Angst mich zu verplappern. In 2 Wochen kommt schon der Kleine und ich habe momentan nur Lukas im Kopf."

Benni seufzte. "Du liebst ihn wirklich oder? Ich weiß es nicht. Du weißt wie lange ich nicht mehr in einer Beziehung war. Ich denke sie weiß wie wichtig dir Lukas ist und dass du viel an seiner Seite sein willst. Das wird sie verstehen, sie kennt dich doch jetzt auch schon über zwei Jahre. Sie weiß dass du für Lukas alles stehen und liegen lassen würdest. Aber meinst du nicht du solltest es ihr auch sagen mit deinen Gefühlen? Ich bin nicht der Spezialist darin aber ich glaube es wäre nicht fair sie davon ausgehen zu lassen, dass zwischen euch noch alles normal ist. Deine Worte die du eben zu Lukas gesagt hast habe ich nämlich gehört. Du willst dich eigentlich von ihr trennen. Was da besser ist weiß ich nicht, also ob vor der Geburt oder danach. Ist eigentlich beides keine gute Zeit. Franzi ahnt es glaub ich eh. Sie hat mich mal gefragt ob ihr mal was miteinander hattet weil ihr euch so nahe steht. Ich hab gesagt dass ich nichts weiß. Wusste ich ja auch bis gestern wirklich nicht."

Tim starrte ihn an. Scheiße, er wusste wirklich nicht mehr was er tun sollte. Benni hatte mit allem was er sagte recht. Er liebte Lukas aber auch Franziska, die von ihm hochschwanger war. Der ganze Auslöser war seine Frage ob Lukas der Pate werden wollte. Der Jüngere hatte nicht mal direkt abgelehnt, hatte aber gesagt dass er Bedenkzeit bräuchte. Er hatte sich richtig tief in die Scheiße manövriert.

"Ich mache dir einen Vorschlag. Du schreibst Franzi jetzt dass du es vercheckt hast dich bei ihr zu melden und nachher fahr ich dich zu ihr und du redest mit ihr. Du musst ihr ja erstmal nichts von deinem Plan dich zu trennen erzählen. Über deine Gefühle solltest du aber schon reden. Wenigstens davon dass du verwirrt bist. Du schaffst das schon Timi. Franzi liebt dich und weiß auch wie du tickst. Sie ist stark, sie würde eine Trennung verkraften."

"Aber was wenn ich dann meinen Sohn niemals sehen darf. Das kann ich nicht. Ich liebe ihn doch jetzt schon. Das ertrage ich nicht." Tränen liefen Tim über die Wangen. Er hatte sich so sehr auf das Kind mit Franziska gefreut, auch wenn er gemerkt hatte dass Lukas damit nicht so sonderlich glücklich war. Er wusste einfach nicht mehr weiter. Sich von Franziska trennen und riskieren dass sie ihm das Kind vorenthielt? Mit ihr zusammenbleiben und dafür Lukas verlieren, oder mit ihm eine heimliche Beziehung führen? Das war alles keine Gute Lösung.

"Timi, nein. Du weißt doch wie Franzi drauf ist. Das würde sie dir niemals antun. Sie weiß wie sehr du das Kind willst. Und wenn sie es doch tun würde, würde sie es mit mir höchstpersönlich zu tun bekommen... Das will sie nicht. Komm. Wir gehen erstmal einen Kaffee trinken. Wir können für Lukas gerade eh nichts tun."

Und das taten sie. Tim war viel zu fertig um zu widersprechen. In seinem Kopf spielten sich alle möglichen Szenarien ab, doch auf eines kam er nicht...

In Liebe, Lukas Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt