Kapitel 1: Neue Stadt, neues Glück?

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Der Schweiss lief Freya Morin den Rücken hinunter als sie die letzte Kiste auf den Parkettboden ihres neuen Appartements stellte. Das war die Letzte gewesen, nun konnte die Rothaarige endlich mit auspacken beginnen. Es war Samstag Nachmittag, kurz nach vier Uhr. Sie war die ganze Nacht durchgefahren um die Strecke von New Orleans nach New York hinter sich zu bringen und heute kurz vor Mittag hier angekommen. Es war kalt, der Schnee fiel in grossen Flocken und dennoch hatte das Kistenschleppen Freya ordentlich zum schwitzen gebracht. Sie stiess die Tür ihrer neuen Wohnung ins Schloss und begann die erste Kiste mit der Aufschrift "Küche" auszupacken. Ausser dem Bagel auf einer Raststätte zum Frühstück und ein paar Beignets die sie als Verpflegung eingepackt hatte, hatte sie heute noch nicht viel gegessen. Allerdings hatte sie den Wocheneinkauf schon erledigt als die Möbelmänner ihre Möbel in die Wohnung getragen hatten, denn sie wusste noch nicht, dass man in New York auch Sonntags einkaufen konnte. Nacheinander versorgte sie Koch- und Backutensilien, Geschirr, Besteck, Gewürze und den Einkauf in den vorgesehenen Schränken und arbeitete sich dann systematisch durch die Kisten für Badezimmer, Wohnzimmer und Schlafzimmer. Um 16:00 Uhr legte sie eine kurze Pause ein um sich einen Teller Pasta zu kochen. Danach ging es unermüdlich weiter, bis schliesslich nur noch eine übrig war. Auf dem Pappkarton prangte in schwarzen Buchstaben das Wort "Arbeit". Diese Kiste enthielt, neben zahlreichen Büchern, Notizblöcken, ihrem Laptopt und der Kamera auch ihren wertvollsten Besitz: Eine Underwood-Schreibmaschiene. Ein ziemlich schweres und altmodisches Ungetüm, dass Freya jedoch über alles liebte. Diese Maschiene half ihr, wenn die Kreativität versagte. Ausserdem fand die Rothaarige, dass es einfach einen ganz anderen Charakter hatte, nach jeder Zeile ein "Pling!" zu hören. Die Maschiene würde einen Ehrenplatz in ihrem Wohnzimmer bekommen, direkt auf dem Pult am Fenster welches einen Blick in den verschneiten Innenhof freigab. Aber das würde bis Morgen warten müssen. Freya machte es sich mit einem Tee auf dem Sofa gemütlich und zappte durch die Fernsehsender, bis sie schliesslich an den Nachrichten hängen blieb. Die Thematiken hier schienen sich wesentlich von denen im Süden zu unterscheiden. Gerade wurde ein minutenlanger Beitrag zur Avengers-Initiative gezeigt. Freya war sich der Existenz der Superhelden, die vor über einem Jahr ein ziemliches Chaos ausgelöst hatten, bewusst, jedoch waren sie bei Ihnen in Louisiana selten Stadtgespräch gewesen. Hier hingegen schien die "letzte Chance für die Avengers", wie die Nachrichtensprecherin sie bezeichnete, jedoch die Gemüter zu bewegen. Kein Wunder, so viel ihr bekannt war, lag die Basis der Avengers irgendwo in der Nähe von New York.

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Er war müde. Nicht körperlich, der Tag war in dieser Hinsicht alles Andere als anstrengend gewesen. Aber geistig. Stundenlang hatte der Dunkelhaarige in Briefings gesessen, in denen irgendwelche S.H.I.E.L.D.-Agenten die Spielregeln der neuen Avengers-Initiative erklärten. Und das obwohl Bucky sich nicht mal sicher war, weshalb er dort war. Nachdem die Gruppe vor etwas mehr als einem Jahr durch einen Disput zerrissen wurde, an dem er nicht ganz unbeteiligt war, hatten viele von Ihnen sich vor Gericht verantworten müssen. Unter anderem auch er selbst und sein Freund Steve. Jedoch hatten sie alle eher milde Strafmassnahmen erhalten. Er selbst hatte seine  Gefängnisstrafe in Kryostase verbracht, während ein Weg gesucht wurde, sein Gehirn umzuprogrammieren oder zu rebooten. T'Challas Schwester Shuri hatte dann schliesslich einen Weg gefunden. Das behauptete sie auf jeden Fall. Der Dunkelhaarige konnte sich an die Behandlung nicht mehr erinnern, wahrscheinlich lag das daran, dass sie mit seinen Erinnerungen gespielt hatte. Seither kam es immer wieder vor, dass er sich an Dinge erinnerte, die er vergessen glaubte. Ob das nun ein gutes Zeichen war oder nicht, war sich Bucky noch nicht ganz sicher.

Es hatte ein paar Monate gedauert aber nicht allzu lange, bis die Politiker bemerkten, dass es ohne die Avengers in gewissen Fällen ziemlich gefährlich werden konnte. So wurden viele Strafmassnahmen abgebrochen und ein neuer Ansatz für S.H.I.E.L.D. und die Avengers gesucht. Man könnte sagen, dass das Team noch eine letzte, neue Chance bekam. Dieses mal aber unter vielen Regulationen, die Ihnen eben an diesem Morgen mitgeteilt worden waren. Bucky war sich nicht ganz sicher, weshalb er an diesen Meetings dabei gewesen war. Es war ganz klar, dass nicht alle im Raum ihm freundlich gesinnt waren, allen voran Tony Stark. Ausserdem war er nicht Teil der Avengers, jedenfalls so wie er das verstanden hatte. Er erinnerte sich noch ziemlich gut an den Tag, an dem er aus Wakanda zurückgekehrt war.

Es war im Herbst gewesen, Steve hatte ihn abgeholt und direkt in dieses Apartement gebracht. Er meinte, hier sei es sicher. Dann fuhren sie gemeinsam zum neuen S.H.I.E.L.D.-Hauptquartier, was nicht weit von dem Hauptsitz der Avengers entfernt war. Der schwarze Typ mit der Augenklappe, den Bucky schon vorher einige Male gesehen hatte, war anscheinend erneut in einer leitenden Position tätig. Auf jeden Fall, machte er ihm ein Angebot. Obwohl er nicht wirklich die Möglichkeit hatte es auszuschlagen, wenn er nicht den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wollte. Anscheinend hatte die Regierung beschlossen, dass es am klügsten wäre den Winter Soldier für sich zu haben. So konnten sie ihn kontrollieren und niemand anderer könnte diese Waffe für sich beanspruchen. Er würde also wieder für einen anderen Staat auf Missionen gehen, dabei aber anscheinend eng mit den Avengers zusammen arbeiten auch wenn er technisch gesehen kein Teammitglied war. Deshalb wohnte er auch nicht im Hauptquartier sondern in diesem Apartment unter dem namen James Roberts. Das musste die Idee von Steve gewesen sein, denn Roberts war der Mädchenname seiner Mutter und Bucky war sich sicher, dass das niemand anders wissen hätte können. 

So war es also dazugekommen, dass James Buchanan Barnes auch heute im Avengers-Hauptquartier stundenlangen Vorträgen lauschen musste. Das dauernde geplapper hatte ihn genervt, doch erst richtig unwohl fühlte er sich durch die Stimmung. Er spürte immer noch Feindseeligkeit von einigen der Anwesenden. Aber noch viel erdrückender war die Unsicherheit, die auch in ihm selbst schlummerte. Er war der Erste, es gab noch keine Langzeitstudie. Was wenn Shuri's Reprogrammierung nicht auf Dauer funktionierte? Als sie ihm bei seinem ersten Besuch im neuen S.H.I.E.L.D-Gebäude die zehn schicksalshaften Worte vorlasen passierte nicht. Er blieb Herr seiner Taten und verwandelte sich nicht wieder in eine Killermaschiene.  Aber würde das auch in einem Monat, einem Jahr, fünf Jahren noch so sein? Physisch war er zwar kein Teil von HYDRA mehr. Sein Titan-Arm war von Iron Man komplett zerstört worden, keine Reperatur möglich. Shuri hatte zwar einen neuen für ihn entwickelt, aus einem leichteren und noch härteren Metall: Vibranium. Aber waren die Nazi-Fanatiker wirklich auch für immer aus seinem Kopf gebannt? Er selbst hatte da Zweifel und diese Unsicherheit wurde von vielen Beteiligten geteilt. Das letzte was die neue Avengers-Initiative, welche ohnehin einen schlechten Stand hatte, gebrauchen konnte, war eine Zeitbombe in ihrem innnern. Ihn. Bucky selbst hatte keinen grossen Einfluss auf den Lauf der Dinge im Moment. Die Zeit würde Erkenntnisse bringen. Deshalb schob er auch die Gedanken beiseite, rappelte sich auf und schob ein Pack Fertig-Pasta in die Mikrowelle. In den zwei Minuten in denen das Abendessen erwärmt wurde, spielte er mit seinen Fingern. Der neue Arm war leichter und etwas beweglicher als der Alte. Auch wenn er in seiner Beweglichkeit nicht an einen normalen menschlichen Arm hinan kam, hatte Shuri sehr gute Arbeit geleistet. Der Soldat trug diesen Arm erst seit wenigen Tagen, weshalb es sich für ihn immer noch etwas fremd anfühlte. Schliesslich hatte er über ein Jahr lang ohne seinen linken Arm gelebt. Die Mikrowelle piepste und James nahm sich sein Essen heraus. Mit dem dampfenden Teller liess er sich auf die Couch fallen und stellte den Fernseher ein, auch wenn er ihm nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Dafür war er viel zu sehr in Gedanken versunken. 

Doch irgendetwas blendete ihn. Als der Dunkelhaarige aufsah, erkannte er auch was. In der Wohnung auf der anderen Seite des Innenhofs, direkt gegenüber von ihm, brannte Licht. Dabei hatte diese Wohnung seit Monaten leergestanden.

Ich wohne neben an - eine Bucky Barnes FF [Originalfassung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt