1. Kapitel

17 6 0
                                    

Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden hinter den Gipfeln der Berge und tauchten den Himmel in einen pastellfarbenen Ton. Ellen erkannte dabei die ersten Sterne, die sich auf der anderen Seite ihrer Hütte abzeichneten und zu leuchten begannen.

»Willst du jetzt nicht mal losgehen? Sonst bist du bis morgen früh nicht wieder zurück«, zog sie ihr Bruder Sebastian aus den Gedanken und grinste ihr verschmitzt zu.

»Wenn du immer so lange brauchst, kann ich nichts dafür. Ich bin einfach schneller als du«, gab sie provokant zurück und verschränkte locker ihre Arme vor der Brust.

»Davon träumst du. Aber du hast ja noch ... ein gutes Jahr Zeit, bis du, mit etwas Glück, auf meinem Niveau bist.«

»Ha-ha«, erwiderte sie Spott triefend. »Nur weil du ein Jahr älter bist als ich, heißt das nicht, dass du automatisch besser bist.«

»Ach nein?« Grinsend zog er eine Augenbraue in die Höhe.

»Nein!«, stieß sie empört hervor und wandte ihren Blick von ihm ab.

Sebastian ging langsamen Schrittes, mit seinem üblich frechen Grinsen auf sie zu und legte gespielt trostspendend seine Hand auf ihre Schulter. Ellen wischte sie sofort hinunter.

»Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe.«

»Nein, das weiß ich nicht«, gab sie lachend zurück, worauf er gleichgültig mit den Schultern zuckte.

»Es war zumindest einen Versuch wert«, flüsterte er leise und fuhr mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar.

Ellen lächelte, antwortete aber nicht, denn auch wenn sie sich jetzt mit ihrem Bruder weiter unterhalten wollte, wusste sie, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war an dem sie aufbrechen musste. Denn der Weg zur Stadt Kredonien betrug weit mehr als drei Stunden Fußmarsch. Sonst würde sie es tatsächlich nicht rechtzeitig schaffen vor Sonnenaufgang zurück zu kehren und er behielt nachher noch Recht. Und dies würde er ihr mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder aufs Auge drücken.

»Versprich mir, dass du wieder heil nach Hause kommst«, wandte er sich ihr nochmal zu, als sie gerade vor ihrem Bett kniete, um ihren Rucksack darunter hervor zu ziehen.

»Kann man das versprechen?«

»Du schon.«

Kommentarlos überschaute sie weiter ihren Rucksack, bis sie unter einem ihrer silber glänzenden Klingen einen roten Apfel zu erkennen meinte. Sie zog ihn hervor und drehte sich zu Sebastian um.
»Möchtest du ihn Mutter geben?« Sein Lächeln erstarb und in seinen Augen konnte sie deutlich Trauer aufblitzen sehen.

»Wie geht es ihr inzwischen?«, hakte sie abermals hinterher, als er den Apfel aus ihrer Hand nahm und ihr den Rücken zukehrte.
»Den Umständen entsprechend«, gab er knapp zurück.

»Brauch sie sonst noch etwas?«

»Das übliche.«

Ellen schaute ihn besorgt an. Sebastian war für gewöhnlich jemand, der niemals aufhörte zu reden und wenn er sich ihr gegenüber so kurz fasste, wusste sie, dass es ihm nicht gut erging.

Ihre Mutter Loreen erlitt mittlerweile seit ungefähr zwei Monaten eine Krankheit, was ihm sehr zu schaffen machte. Ihr Husten wurde sogar, anstatt besser, immer schlechter, was sich stark auf ihre Atemwege auswirkte. Sie hatte seitdem teils starke Atembeschwerden, die nicht nur ihrer Lunge schadeten, sondern auch ihrem Herzen.
Ellen konnte es nicht ertragen ihre Mutter in diesem Zustand zu sehen. Sie war blass und hatte nur noch einen kleinen Hauch an Farbe in ihren Lippen, der an manchen Tagen zu verblassen schien.
Sie war immer eine lebensfrohe Frau gewesen, die ihr und ihrem Bruder täglich zeigte, dass das Leben noch lebenswert war und zauberte ihnen stets ein Lächeln ins Gesicht. Doch seitdem sie erkrankte, erkannten die Geschwister ihre Mutter nicht wieder. Die Krankheit schien jegliche Engerie aus ihrem Körper zu rauben und sie langsam und qualvoll hinzurichten, ohne jedwede Gnade.

Kampf um KredonienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt