Ein kurzer Moment der Stille trat ein, bis Raphael mit dem Zeigefinger auf Alexander deutete und einen ernsten Blick aufsetzte. Alexander zog verwirrt die Augenbrauen hoch und setzte einen Blick auf der so viel hieß wie 'jetzt sag doch einfach, was du von mir willst'.
»Du sorgst dafür, dass sie...« Er schwenkte mit dem Finger auf Ellen.
»Sich erstmal ausruhen wird und sich wieder ins Bett legt. Ich werde in der Zeit ein wenig tiefer in die Stadt eindringen, um nach Händlern Ausschau zu halten. Alex, wo hattest du deinen Rucksack hingelegt?«
Doch er kam nicht dazu ihm zu antworten, da Ellen ihm das Wort abschnitt.
»Händler? Was für Händler bitte und wofür?«, fragte sie beide mit Skepsis in der Stimme.
»Irgendwann müssten wir doch mal was essen, oder hast du etwa keinen Hunger? Ich habe keinen besonderen Appetit darauf mir aus den zerstörten Läden ein Fertiggericht zu greifen, das seit über vier Jahren abgelaufen ist. Ich verzichte.«, entgegnete ihr Raphael und blickte erneut zu Alexander, um von ihm eine Antwort zu bekommen.
»Mein Rucksack liegt oben im vierten Stock. Zimmer 208.« Raphael nickte kurz, woraufhin er an ihnen vorbei ging und sofort die Treppen hoch lief. Wieder trat eine unerträgliche Stille ein, während sich Ellen und Alexander gegenüberstanden. Zum ersten mal musterte sie ihn genau. Er war ungefähr einen Kopf größer als sie und hatte breit gebaute Schultern, die ihm eine gewisse Stärke verliehen. Doch insgesamt sah er etwas dünn aus, was anscheinend an den mangelnden Nahrungsmitteln in der Stadt lag, nachdem sie von Raphael hörte, dass man nur über wenige Händler Essen und Trinken bekam. Einige Strähnen seiner braunen Haaren fielen ihm ins Gesicht, die er sich mit seiner Hand nach oben strich, wobei ihr seine markanten Wangenknochen besonders auffielen. Sein Gesicht war sehr blass, nur vereinzelte Sommersprossen auf seiner Nase zierten es, abgesehen von seinen Augen. Klar, fesselnd und smaragdgrün schauten sie einen an, sodass man sich in ihnen verlor, wenn er einen ansah. Ein Kribbeln zog sich durch Ellens Bauch, als sie ihn beäugte. Erst jetzt viel ihr auf, dass er, trotz seinen verwahrlosten Klamotten, wirklich gut aussah.Was dachte ich da gerade? , fragte sie sich und schaute schnell weg, als er sich zu ihr wand.
»Kommst du, bitte?«, fragte er sie etwas zögernd und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Zimmer, in dem sie sich vor einigen Momenten noch befand.
»Hmm.. ja.«, gab sie leise zurück und fühlte, wie sie langsam rot wurde. Ihre Haut schien zu glühen. Ihr war es peinlich gewesen ihn angestarrt zu haben, obwohl sie nicht einmal wusste, ob er es überhaupt mitbekommen hatte. Sie fluchte innerlich und ging ihm dichtgefolgt nach. Er drückte die Klinke nach unten und öffnete die weiße Tür, die er für Ellen offenhielt.
»Dankeschön.«, flüsterte sie so leise, dass Alexander es nicht wahr nahm. Sie setzte sich auf das Bett, welches unter ihr leise knirschte und sah aus dem Augenwinkel, wie er seinen ursprünglichen Platz auf dem Stuhl einnahm, jedoch nicht an der Tür, sondern neben ihr, wo Raphael ihn zuletzt hingestellt hatte. Wieder trat eine unerträgliche Stille ein, sowie ein pochender Schmerz, der durch ihren Bauch fuhr. Sie fühlte sich wie eine Gefangene. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, während sie dem Pfeifen des Windes lauschte, der draußen tobte. Es erinnerte sie an ihre kleine Holzhütte im Wald, wie der Wind durch die Zweige glitt und die Blätter zu rascheln begonnen. Wie Sebastian und sie die Bäume hochgeklettert waren, um in der Baumkrone einen Überblick über die Landschaft zu gewinnen.
Und wieder war sie mit den Gedanken bei ihrer Familie. Wie würde sie es ohne sie aushalten? Hatte sie eine falsche Entscheidung getroffen?
Ellen hob ihren Blick und beobachtete Alexander, der aus Fenster schaute, als wenn er nach etwas draußen suchte, es jedoch nicht fand.Ob er wohl auch an seine Familie zurück denkt? Ist es für ihn genauso schmerzhaft wie für mich, von seiner Familie getrennt zu sein?
Ellen konnte sich ihre Fragen selbst beantworten. Nach allem, was er oder Raphael ihr erzählt hatten, war es eindeutig, wie er empfand.
Konnte sie ihm dennoch vertrauen? Wenn sie überlegte, fiel ihr auf, dass sie die beiden Jungen überhaupt gar nicht kannte. War es leichtsinnig sich darauf einzulassen? Hatte sie denn überhaupt eine Wahl sich nicht darauf einzulassen, ohne dass sie ihrer Familie schaden würde? Ihre Familie war ihr wunder Punkt und genau den hatten sie getroffen.
Wieder schaute sie zu Alexander, dessen Waldgrünen Augen immer noch in die Ferne starrten und etwas zu fixieren schienen. Ellen konnte keinerlei Emotionen an seinem Blick ablesen, er war kalt wie Eis und sie wusste nicht, wie sie die unscheinbare Wand zu ihm durchbrechen konnte und somit auch die Stille, die in diesem klinischen Raum lag. Sollte sie ihn einfach ansprechen? Oder warten, bis er soweit war?
Sie fasste einen Entschluss. Leise sog sie die Luft ein und schaute nervös auf ihre Hände.
»Geht es dir gut?«, brachte sie vorsichtig hervor. Alexander löste seinen Blick und drehte sich zu ihr um, sodass sie wieder unausweichlich in seine Augen schauen musste. Doch in seinem Blick war immer noch keinerlei Emotionen vorhanden.»Den Umständen entsprechend. Würde ich mal behaupten.«, gab er kalt zurück.
»Welchen Umständen?«, fragte sie zögerlich. Er hob beide Augenbrauen an und wand seinen Blick wieder von ihr ab.
»Meine Umstände gehen dich das geringste an.« Seine Worte schlugen ihr ohne Rücksicht in den Magen und sie fühlte, wie die Luft zwischen ihnen dicker wurde, sodass sie an ihr fast erstickte. Entmutigt von seinem Stimmungswechsel senkte sie wieder ihren Blick und er drehte sich von ihr weg.
»Ich - Ich dachte nur, wir würden in den selben Umständen leben. Raphael hat mir etwas über dich erzählt. Entschuldigung.«
»Entschuldige dich nicht. Dazu hast du keinen Grund.« Sie hörte, wie sein Ton weicher wurde und nickte nur.
In der Luft stand nun eine gewisse Anspannung, vor der sich Ellen ein wenig fürchtete. Vielleicht lag es an der neuen Situation in der sie sich befand, dass sie eine Tentoria war, oder an dem Gedanken ihre Familie glauben zu lassen sie sei tot. Aber sie vermutete tief im Inneren, dass es nichts von all dem war.
Sie hatte in diesem Augenblick Angst vor ihm und seiner kalten und undurchdringlichen Seite. Zweifel machten sich in ihr breit und ihr Bauch zog sich von ihnen immer weiter zusammen.»Wie kann ich dir vertrauen, wenn du mich ausschließt und nicht an deiner Welt teilhaben lässt? Ich dachte wir teilen das selbe Schicksal.«
Alexander schüttelte entschieden den Kopf und blickte sie verständnislos an, als ob sie etwas komplett absurdes gesagt hätte.
»Ich habe dich nicht gebeten mir zu vertrauen, das war Raphael und das werde ich auch nicht. Wenn du hier nach Vertrauen suchst, dann bist du in unserer Welt fehl am Platz. Das ist meine Meinung.« Eine kalte Miene durchbohrte Ellen und ihr überkam ein Schaudern. Dennoch erfasste sie eine einen Hauch von Wut.
»Ihr beide überredet mich von meiner Familie fern zu halten, zu ihrem Schutz. Jetzt denkt ihr ich bin an euch gebunden? Ihr legt keinen Wert auf Vertrauen?«
Er antwortete nicht, sondern zuckte nur mit seinen Schultern, als ob es ihm gleichgültig wäre. Ellens Stimmung würde zunehmend schlechter. Noch konnte sie zurück. Es war noch nicht zu spät.
»Ich lasse meine Familie nicht für euch zurück. Das Spiel spiele ich nicht mit. Da hast du dich geschnitten.«Wütend raffte sie sich auf. Das Adrenalin in ihrem Körper ließ den Schmerz nicht weiter an sie heran. Sie spürte wie das Blut in ihr wild pulsierend anfing zu kochen und in ihren Kopf stieg. Alexander schaute sie erschrocken an. Mit solch einer Reaktion ihrerseits hatte er nicht gerechnet, dass konnte sie aus seinen Augen deutlich ablesen.
»Du kannst Raphael ausrichten, dass ich es mir doch anders überlegt habe!« Hastigen Schrittes eilte sie zur Tür und wollte nach der Klinke greifen, als jemand sie fest am Arm packte und zu sich zurück zog.
»Lass mich los!«, fauchte sie in außer sich an und schüttelte seine Hand ab.
»Ellen ich...« Doch weiter kam er nicht, als er erneut versuchte sie zu packen.
»Ich sagte, lass mich los!« Mit ihren Armen stieß sie ihn von sich weg. Die Energie staute sich in ihr auf. Energie die frei gelassen werden wollte. Ein plötzlicher Wind trat in den Raum und wühlte den Staub, der sich am Boden gesammelt hatte auf. Ihr Haar zerzauste, doch Ellen nahm den Sturm der im Raum tobte kaum wahr.»Ellen beruhige dich. Sonst wird nachher noch jemand verletzt.« Sachte hielt er seine Hand zu ihr ausgestreckt. Doch Ellen reagierte nicht auf seine Worte, sondern sie schlug nur nach ihm, wobei sie einen breit gefächerten Windstoß ausstieß, der Alexander nach hinten katapultierte. Ein unüberhörbares Klirren erklang, als er mit seinem Rücken an die Glasscheibe des Fensters schlug. Das Glas zersplitterte in tausend kleinen Kristallen, die durch den Raum flogen und verteilten sich auf dem Boden. Ellen fuhr erschrocken zurück und hielt sich, mit großen verängstigten Augen, den Mund vor Entsetzten zu.
»Alexander.«, hauchte sie vor Unglauben, was sie getan hatte. Der braunhaarige Hüne lag regungslos an er Wand in sich zusammengesackt. In seinem Haar hatten sich Teile der Glasscherben verfangen und reflektierten das Sonnenlicht, welches in den Raum trat. Schleunigst lief Ellen auf ihn zu, kniete sich neben ihn und hob mit beiden Händen seinen Kopf an. Seine Augen waren geschlossen und unter ihnen befanden sich blutende Kratzer, die ihm die Scherben hinzugefügt hatten.
»Alexander. Nein. Oh Gott, nein!«, schrie sie, unfähig ihren Blick von seinem Gesicht abzuwenden. Tränen kullerten an ihren Wangen hinunter und sie fühlte den unaushaltbaren Druck in ihrer Kehle, der sie leise aufschluchzen ließ.
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Kampf um Kredonien
Siêu nhiênEllen lebte ursprünglich mit ihrer Familie am Rande der Stadt Kredonien. Auch dort herrschte, wie in allen anderen Teilen der Welt, Krieg zwischen den Magiebegabten und den Menschen. Die Begabten sind magische Wesen aller Art, die in sechs verschied...