Jules

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»So ein Zufall«, sagte Jules und dann noch etwas, das Milan nicht verstand, weil Jules so verdammt, verdammt heiß aussah, dass der Regen auf seinem Körper sich in Dampf hätte verwandeln müssen. Schmale Hüften in Jeans, die sich so eng darum schmiegten, dass Milans Kehle austrocknete. Ein kräftiger Oberkörper in einer grauen Wolljacke und dieses Lächeln, dieses umwerfend schöne, schräge, schiefzahnige Lächeln in dem scharfgeschnittenen Gesicht.

Er hat keine Brille mehr, dachte Milan, was immerhin ein vernünftiger Gedanke war. Oder hat er sie abgenommen, weil sie sonst beschlagen würde? Und er hat ... einen Dreitagebart, nein einen Zehntagebart, mindestens ...

Verdammt, den Anblick würde er nie wieder aus dem Kopf bekommen. Da war kein Babyspeck mehr, nur noch kantige Züge und dieses fröhliche Leuchten, das er damals schon ...

Jules sagte etwas, und Milan hätte ihm wirklich zuhören sollen, allein schon, um den Klang seiner Stimme zu genießen. Mit geballten Fäusten zwang er sich zurück in die Wirklichkeit.

»... ich hätte nicht gedacht, dass du jetzt auch hier wohnst«, sagte Jules.

»Hier?«

»In Berlin.« Jules fuhr sich durch die Haare, so, dass sie noch chaotischer wurden. Milans Finger zuckten vor Verlagen, hindurchzufahren und sie in Ordnung zu bringen. Oder noch mehr zu verstrubbeln. Oder sie zu packen und Jules an sich zu ziehen.

»Ah, das.« Milan räusperte sich. Betont cool griff er in seine Jackentasche, befahl seinen Fingern, mit diesem dämlichen Zittern aufzuhören, und holte den Tabak heraus. »Ich bin vor ein paar Jahren hergezogen. Damals gab's noch billige Wohnungen und ich hatte kein Geld.« Irgendwie brachte er ein Lächeln zustande. »Das war lange vor meinem ersten Buchvertrag. Ich ... he. Du wirst lachen: Ich bin jetzt Autor.«

Jules lachte nicht. Er nickte und lächelte, eine Geste, die so vertraut war, dass sie einen Dolch direkt durch Milans Herz sandte.

»Ich weiß. Ich habe dein letztes Buch gelesen.« Jules verzog den Mund, als wäre es ihm ein wenig peinlich. »Ehrlich gesagt, habe ich fast alle gelesen. Beim ... beim ersten wusste ich noch nicht, dass du das bist. Der Nachname und so. »Stein« passt zu dir.«

»Klingt halt besser als »Wurstbader«.«

»Ein wenig. Ich bin fast umgekippt, als ich dein Foto auf der letzten Seite gesehen habe.«

»Darauf hast du mich erkannt?« Milan sah auf seine Finger, die eine jämmerlich krumme Zigarette drehten. »Das ist doch fast nur Schatten. Man sieht nicht mal die Narben.«

»Ich würde dich immer erkennen.« Jules klang so aufrichtig, wie nur er es konnte. All die Jahre und in dem göttlichen Männerkörper vor Milan steckte immer noch ein kleiner Pfadfinder. »Ich meine, so sehr hast du dich auch nicht verändert.«

»Echt? Ich finde, ich bin viel hübscher geworden.« Milan grinste.

Innerlich machte er eine Zeitreise, zurück in sein erbärmliches, sechzehnjähriges Ich von damals. Unsicher, panisch und halb ruiniert von dem Gedanken daran, Jules irgendwann, eines Tages zu küssen. Und das alles hatte er kompensiert, indem er jedem aufs Maul gehauen hatte, der ihn irgendwie provoziert hatte. Früher war er ein noch größerer Trottel gewesen als jetzt.

Ich sollte etwas sagen. Etwas Unverfängliches. Etwas Gewöhnliches.

»Und was machst du jetzt so?«, fragte er. Eine normale Frage unter Erwachsenen. Sehr gut.

»Ich? Oh, ich bin Backend Developer in einer Gamesfirma«, sagte Jules. Sein Blick huschte zum Boden und zurück. »Hammerplay. Die haben mich letztes Jahr hergeholt. Ich ...« Er verstummte. Ein Opel Agila brauste vorbei und überschwemmte den Bürgersteig. Die Brühe floss fast bis zu ihren Füßen. Milans derben Stiefeln und Jules' schmalen schwarzen Sneakers.

Milan - Dichte Dichter 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt