Verbrannt

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Jules' Kuss schmeckte wie der erste Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, nein, besser. Wie der erste Schluck Wasser nach einer heißen Julinacht. Wie die erste Schneeflocke des Winters. Wie nichts anderes, unschuldig und animalisch zugleich. War es ein Wunder, dass Milan nicht damit aufhören konnte, ihn zu küssen?

»Milan«, murmelte Jules, zum hundertsten Mal. Milan drängte ihn näher an die feuchtkalte Mauer. Irgendwie waren sie in einem Hinterhof gelandet, in dem nasse Bänke standen und zerfetzte Lampions zwischen mageren Bäumchen hingen. Wann hatte es geregnet? Egal. Sie waren die Einzigen hier, aber selbst wenn es nicht so gewesen wäre, war Milan sicher, dass er es nicht mitbekommen hätte. Jules' Fingerspitzen, die sich in seinen Rücken krallten, raubten ihm die Sinne.

»Milan ...«

»Magst du meinen Namen so sehr?«, raunte er in Jules' Ohr.

Der biss in seinen Hals, plötzlich und unerwartet. »Alles«, knurrte Jules. »Ich mag alles an dir.«

Heißes Glück flutete Milans Brust. Er packte Jules' Kopf mit beiden Händen und forschte in seinem Gesicht nach Anzeichen, dass er es nicht ernst meinte. Er fand keine. Allerdings sah er in der Dunkelheit auch nicht viel.

»Ich wohne nur zwei Stationen entfernt«, sagte Jules. Sein Atem pustete neblige Wölkchen in Milans Gesicht. »Ich meine, falls du mich nicht gleich hier vernaschen willst.«

Milan grinste. »Ich kann warten. Noch mindestens zehn Minuten.«

»Gut.« Jules stieß sich von der Wand ab und packte Milans Ärmel. Der ließ sich ein paar Schritte mitziehen, bevor er den Arm um Jules' Nacken legte und die Führung übernahm.

»Du bist mutig geworden«, sagte Milan. »Gefällt mir.«

»Ich hab immer gewusst, was ich will.« Jules schob die Unterlippe vor. »Ich hab's nur nicht gesagt.«

»Und jetzt willst du mich?«, neckte Milan.

Jules warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Also wenn du das nicht kapiert hast, bist du noch blöder, als ich dachte.«

Milan lachte und packte ihn fester. »Vorsicht, du Streber.«

»Halt's Maul, du Kleinkrimineller.«

Milans Magen gefror zu Eis. Jules musste die Anspannung in ihm bemerkt haben, denn er sah ihn erschrocken an.

»Hey, das war nur so gesagt. Ich ...«

»Ich würde alles anders machen, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte«, sagte Milan. »Alles, glaub mir.«

»Schon gut. Ich ...« Jules biss sich auf die Lippen. »Ach, nicht so wichtig. Was würdest du denn machen, wenn du es könntest? Wenn wir jetzt vor der Villa stehen würden?«

»Umdrehen würde ich.« Sie traten auf eine bunt beleuchtete Straße hinaus. »Ich würde Piet stehenlassen und dann«, er atmete tief ein, »würde ich dich mitnehmen.«

»Wohin?«

»Irgendwohin, wo es romantisch ist. Ich glaube, du stehst auf Romantik.«

»Hm.« Jules' Haare kitzelten seinen Nacken. »Kann schon sein.«

»Vielleicht in den Rösnerpark. Da ist dieser kleine japanische Garten. Da würde ich mit dir hingehen und dann würden wir uns auf die Brücke setzen und die Beine baumeln lassen und dann«, er machte eine dramatische Pause, »würde ich dich küssen.«

»Huh!« Jules wirkte beeindruckt. »Das ist romantisch.«

»Danke.«

»Ich hab immer gewusst, dass du es draufhast. Obwohl du so ein grober Klotz warst.«

Milan - Dichte Dichter 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt