Anruf

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Was tat man, wenn man seine einzige Chance auf sowas wie Liebe verzockt hatte? Man reparierte Valentins Waschmaschine.

»So, sollte wieder gehen.« Milan wischte die feuchten Hände an dem karierten Küchentuch ab, das Valentin ihm reichte. »War echt nur ein verstopfter Schlauch.«

»Danke.« Valentin beäugte die altersschwache Maschine so misstrauisch, als würde sie ihm gleich wieder ein Ladung Seifenwasser vor die Füße kotzen. »Echt, vielen Dank. Eine Reparatur ist gerade finanziell nicht drin und ich habe keine Ahnung von sowas. Mein Mitbewohner auch nicht.«

Der Mitbewohner wirkte, als hätte er von gar nichts eine Ahnung. Der hatte Milan nur perplex angeschaut, unfreundlich gegrüßt und sich dann zurückgezogen.

»Seid ihr Freunde oder so?«, fragte Milan und deutete mit dem Kopf auf die verschlossene Tür.

»Nein. Nein, nur Studienkollegen. Das heißt, er ist zwei Semester unter mir gewesen. Er ist bald fertig.«

»Und du? Hast du dich schon nach einem Job umgesehen?«

»Bald.« Valentin sah sich in der engen Küche um, als wäre irgendwo zwischen den Töpfen und Pfannen ein Job versteckt. Sämtliche Regale quollen über. Bei jedem Schritt, den man hier machte, drohte etwas herunterzufallen. Eine Dose Zimt hatte Milan am Kopf getroffen. Aber es roch gut, nach Seife und den Kräutertöpfen, die sich auf dem winzigen Fensterbrett tummelten.

»Wie läuft's mit dem Roman?«, fragte Milan.

»Oh, gut. Fast fertig. Nur noch ein paar Überarbeitungen. Hast du gestern mit Jules geredet?« Valentin versuchte offensichtlich, das Thema zu wechseln. Wollte Milan überhaupt darüber reden? Er war nicht der Typ dafür, oder? Aber er war auch nie der Typ für Liebeskummer gewesen und jetzt ersoff er fast darin.

»Ja.« Er lehnte sich an die Spüle und ließ das Tuch sinken. »Er war stinksauer.«

»Oh.« Valentin schaute, als wäre seine Lieblingskatze gestorben. »Meinst du ... Denkst du, das wird wieder? Wirst du ihn wiedersehen?«

»Ich schätze nicht.« Milan starrte auf seine Schuhspitzen.

»Oh«, wiederholte Valentin. »Wie schade. Er hat dir doch so ... so viel bedeutet.«

»Ja.« Und ich ihm auch, zumindest kurz. Jules' Worte klingelten in seinen Ohren, immer wieder.

Wenn du dir das vorstellen kannst, dann will ich durchaus ... mehr.

Er hatte eine Chance gehabt. Aber er hatte sie verzockt, schon vor dreizehn Jahren.

»Das tut mir leid.«

»Muss es nicht. Es war meine Schuld.« Milan fuhr sich durch die Haare. »Ich verstehe ihn.«

Leises Klopfen. Valentins Fingernägel trommelten auf den überfüllten Küchentisch ein.

»Ruf ihn doch nochmal an«, schlug er vor. »Nur, um sicherzugehen.«

»Er hat sich nicht mehr gemeldet. Wie deutlich soll er denn noch werden?«

»Na ja.« Valentin schaute unsicher. »Aber was, wenn er nur darauf wartet, dass du nochmal anrufst?«

»Warum sollte er ...« Milan zögerte. Das machte keinen Sinn, aber es gab ihm ein wenig Hoffnung. Trügerische Hoffnung vermutlich. »Meinst du, das bringt was?«

»Vielleicht? Du könntest ihm doch anbieten, das Geld von damals zu ersetzen oder so.«

Warum war er nicht darauf gekommen? Selbst wenn Jules ihn dann immer noch hasste, hätte er zumindest einen Teil seiner Schulden beglichen. Viel zu spät, aber es war besser als nichts.

Und er würde wenigstens noch einmal Jules' Stimme hören.

Armselig, dachte er, als er sein Handy herausholte. So weit bist du also schon gekommen. Rob hatte recht mit seinen blöden Bemerkungen über Schulhofverliebtheit.

Äußerlich vollkommen gelassen wählte er Jules' Nummer. Die Mailbox ging ran. Mist. Ob Jules gesehen hatte, dass er anrief, oder ... Und warum war Milan nicht aus der Küche gegangen? Valentins große Augen sahen ihn gespannt an und er verkrampfte innerlich.

Ruhig, dachte er. Sag halt ... irgendwas.

»Hi, ich bin's nochmal. Milan.« Und jetzt? »Also. Wenn du schon nichts mehr von mir wissen willst, dann lass mich wenigstens das Geld ersetzen. Deinen Anteil von damals und alles, was ich eingesteckt habe. Also. Melde dich.«

Er traute sich nicht, mehr zu sagen. Nicht, wenn Valentin zuhörte. Dabei wollte er Jules noch so viel erzählen. Dass er es ernst meinte. Dass er alles anders machen würde, wenn er die Zeit zurückdrehen könnte. Dass er in der letzten Nacht nicht hatte schlafen können, dass er nur getrunken und Schrott geschrieben hatte, weil Jules ihn jetzt hasste. Er hatte vor Erleichterung fast geheult, als Valentins Hilferuf gekommen war, weil das bedeutete, dass er wenigstens für ein, zwei Stunden dem Gedankenkarussell entkommen würde. Doch seine Zunge war versteinert und er brachte kein weiteres Wort heraus. Also legte er auf.

»Wie war das?«, fragte er.

»Ziemlich kühl.« Valentin zuckte zusammen. »Aber gut. Gut. Bestimmt.«

Verdammt. »Ich hab's verbockt, oder?«

»Nein, nein, überhaupt nicht.« Das klang wenig überzeugend. »Also ... äh. Nein, nein.«

»Schon gut.« Milan schaffte es, unbeschwert zu klingen. »Die Chancen waren von Anfang an mies.«

»Vielleicht ruft er ja zurück. Bestimmt.« Valentin schaute unsicher. »Möchtest du noch einen Kaffee, oder ...«

»Ich muss los. Um vier ist die Signierstunde im Krimieck. Laura hat mir schon dreimal geschrieben, damit ich nicht zu spät komme.«

»Oh. Viel Erfolg.« Valentin lächelte. Süß, der Kleine. Wäre er blond gewesen und hätten seine Schneidezähne nicht exakt die gleiche Länge gehabt, wäre er Milans Typ gewesen. Aber Milan war ziemlich sicher, dass er nicht Valentins Typ war. Der stand auf ältere Professoren mit weißen Schläfen. Zumindest hatte er ihnen das während eines bierseligen Autorentreffens gestanden. Dienstags floss immer zuviel Alkohol. Kein Wunder, dass Rob sie die »dichten Dichter« nannte.


Milan - Dichte Dichter 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt