Seufzend stand ich vor meiner Haustür und betrat meine ganz persönliche Hölle.
„Hallo Mutter. Adria, Sophia", begrüßte ich meine Verwandten. Bevor ich mich versah, kam mir meine jüngere Schwester entgegengestürmt und hing mir am Hals.„Juliet. Juliet! Hast du schon gehört? Einer der Trupps ist kürzlich aus Indien zurückgekehrt." Adrias Augen leuchteten regelrecht. Es bedeutete wahrscheinlich, dass Kommandant Ersiton gekommen war, ihre Freude würde aber nicht von Dauer sein. Hinter ihr stand Mutter mit einem Stickbogen in der Hand und sah nicht glücklich aus.
„Adria!", donnerte sie. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du dich nicht für so etwas zu interessieren hast! Jetzt komm zurück und übe weiter an deiner Stickarbeit und warum bewegst du dich wie ein raubeigener Soldat, der gerade vom Pferd gestiegen ist, nicht wie eine Lady? Husch!". Dann wandte sie mir einen bösen Blick zu, den ich ohne zu blinzeln erwiderte. Kurz darauf drehte sie sich um und stürmte meiner Schwester mit wallendem Rock hinterher.
Ich machte mich auf den Weg in mein Zimmer und wechselte meine bequeme Spaziergehkleidung gegen etwas, das auch mein Vater gerne sehen würde, wenn er zurückkam. Dann steckte ich meine Haare mit ein paar Nadeln noch. Im Spiegel sahen mir leere Augen entgegen, so wie ich sie für das Abendessen benötigen würde.
Mein einziger Trost war, dass mein Verlobter nicht eingeladen war. Das verringerte es von einem grauenhaften Abendessen zu einem einfach nur schlimmen Abendessen. Die größte Gefahr, die dabei herrschte, war eine schrecklich ermüdende Langeweile.
Das Abendessen verlief ungefähr so wie ich es mir vorgestellt hatte: schrecklich langweilig und mit eisernem Schweigen. Ich hatte nichts gegen Stille, ich mochte sie sogar. Das aber war eine unangenehme unnatürliche Stille, die einem manchmal die Seele zerquetschen konnte.
Nach dem Essen verschwand ich so schnell wie es mir möglich war in mein Zimmer und begann mit unangebrachter Neugierde, die Namen in der Zigarettenschachtel zu entziffern. Manche waren frisch und gut zu lesen, die anderen schon so zerkratzt, dass man sich anstrengen musste, um sie zu erkennen.
„Larissa DeLeon, Damien Falla, Omar Della Dio", las ich die noch halbwegs erkennbaren Namen laut vor. Es schienen keine Kriegskameraden zu sein, wenn dann nur zum Teil. Die Namen schienen aus aller Herren Länder zu kommen und es waren auch Frauen darunter. Seltsam.
Ich machte die Schachtel wieder zu und betrachtete das kunstvolle „SS", das vorne eingraviert war, mit Mustern umgeben, die so fein gearbeitet waren, dass sie förmlich herauszuspringen schienen. Wer auch immer diese Gravur angefertigt hatte war ein wahrer Meister seiner Zunft gewesen.
Die Kirchturmglocken verkündeten, dass es fast elf Uhr nachts war, ich hatte noch einige Namen entziffert und dabei die Zeit vergessen. Ich beschloss, dass ich mich mit dem Rest auch morgen befassen konnte und blies die schon fast heruntergebrannte Kerze aus, schob die Zigarettenschachtel unter mein Kopfkissen und ließ mich in mein Bett fallen.
Einschlafen war mir aber nicht möglich. Trotz dessen ich nicht wusste, wie lange ich schon so da in meinem Bett lag, konnte ich keine Ruhe finden. Es ging mir nicht aus dem Kopf. Als es mir zu viel wurde, nahm ich mir die Streichholzschachtel aus dem Nachtkästchen, kramte aus einer der Schubladen eine weitere Kerze und machte diese an.
Ich holte die silberne Zigarettenschachtel unter dem Kopfkissen hervor und versuchte, weiter die eingravierten Namen darauf zu erkennen und zu entziffern. Was hatte es damit nur auf sich? Warum hatte mir ein vollkommen Fremder einen für ihn so wichtigen Gegenstand verschenkt. Bevor ich allerdings dazu kam noch länger zu rätseln, hörte ich etwas.
Überrascht schreckte ich hoch. Was war denn jetzt los?
Als aber nichts weiter zu hören war, beschloss ich, dass mir mein Geist mir wohl einen Streich gespielt hatte. Die Kerze bei Nacht und die schweren Gedanken schienen meine Fantasie wohl zu beflügeln.Als aber erneut etwas knarrte beschloss ich, dass ich wohl entweder ernsthafteren Einbildungen unterlag oder dass sich tatsächlich etwas oder jemand im unteren Stockwerk aufhielt. Schweigend schwang ich meine Beine aus dem Bett, nahm die brennende Kerze, steckte sie in einen Halter und aus einem mir unerklärlichen Impuls steckte ich mir auch die kleine Schachtel ein.
Nachzusehen würde sicherlich keinerlei Schaden verursachen und ein Einbrecher würde mich äußerst überraschen. Zwar waren wir eine Familie von hohen Stand, jedoch nicht sehr reich. Bei uns gab es wenig von wirklichem Wert zu holen. Der Kerzenschein war gerade hell genug, dass meine nähere Umgebung gut zu erkennen war.
Ich wanderte durch alle Gänge des Hauses im oberen und dann auch im unteren Stockwerk, aber es war nichts zu finden. Meine Fantasie schien mir wirklich einfach einen Streich gespielt zu haben und ich hatte mir alles nur eingebildet. Schulterzuckend begab ich mich auf dem Weg zurück in mein Zimmer. Wieder knarrte es und diesmal war ich mir äußerst sicher, dass es nicht meine Einbildung war. Es war wirklich laut.
Vorsichtig machte ich einen Schritt auf die Treppen und versuchte, nicht zu schreien. Vielleicht hatte man mich noch nicht bemerkt und ich konnte meine Familie wecken. Meine Hände klammerten sich so fest um den Kerzenhalter, dass sie mir wehtaten. Dann knarrte es ein weiteres Mal hinter mir, ich wirbelte herum und sah, dass ich längst entdeckt worden war.
Ein kreischender Schrei wollte meiner Kehle entweichen aber eine eiskalte Hand legt sich auf meinen Mund, bevor ich dazu kam. „Wenn ich Sie wäre, würde ich Ruhe bewahren. Es sei denn sie wollen, dass ihrer Familie leid zugefügt wird.", flüsterte eine fremde Stimme dicht an meinem Ohr.

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Die silberne Schachtel
FantasyLady Juliet stammt aus einer verarmten Adelsfamilie die außer ihrem Titel ein mittelständisches leben führen. As sie zu einem unerwarteten Geschenk kommt das ihr ganzes Leben verändert und alles woran sie geglaubt hat zu wissen. Juliet findet sich...