Kapitel 1 (Alice)

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Kapitel 1(Alice)

Die Sonne. Was ist das? Ein heisser glühender Klumpen der Milliarden von Kilometer von uns entfernt im All schwebt. Von ihr geht alles Leben aus, sie gibt uns Energie und Kraft.

Doch bei meinen Italienisch Aufgaben hilft sie mir natürlich nicht. Sie scheint einfach reglos in mein Fenster und schaut mir stumm bei meiner Verzweiflung zu. Trotzdem stand ich auf und öffnete meine Balkontür. Als meine Mutter noch lebte, sagte sie immer: «Ein bisschen frische Luft und alles kommt gut!». Ich umschloss die Kette mit meiner Hand und trat durch die Tür.

Kaum war ich auf dem Balkon fühlte ich mich frei und das Italienisch war vergessen. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und sog die Sonne in mich auf. Die Kette meiner verstorbenen Mutter hielt ich bis zu diesem Moment immer noch fest umschlossen, doch nun öffnete ich den Verschluss um mir den kleinen, herzförmigen Anhänger genauer anzuschauen. In kunstvoller und doch einfacher Schrift waren die Buchstaben Eveline Livsey eingraviert. Ich drehte den Anhänger gedankenverloren in meiner Hand hin und her während ich mich an das Geländer lehnte und der wuselnden Menschenmenge unter mir zuschaute.

Doch während ich versuchte meine italienisch Vokabeln im Kopf durchzugehen fiel mir meine Kette mitsamt dem Anhänger plötzlich aus der Hand und flog auf ein junges Mädchen zu, welches gerade die Strasse hinunter ging. Die Kette landete direkt vor ihren Füssen. Sie nahm die Kette auf und ich hoffte schon sie würde sich umdrehen und mich anschauen, doch sie lief einfach weiter als sei nichts gewesen. Als ich merkte, dass sie nicht von selbst zu mir kommen würde schrie ich: «Hei, du! Mädchen mit den braunen Haaren! Warte!», doch sie drehte sich nicht um. So rannte ich so schnell ich konnte zurück in mein Zimmer, die Treppe hinunter und auf die Strasse hinaus. Das Mädchen war schon fast ausser Sichtweite. Ich durfte diese Kette nicht an ein wildfremdes Mädchen verlieren, sie war alles was ich noch von meiner Mutter hatte. Ich hastete ihr hinterher und schrie immer und immer wieder nach ihr, bis ich sie eingeholt hatte.

«Was willst du?», blaffte sie mich an. Ich erklärte ihr, dass dies meine Kette war und ich sie gerne zurück hätte, doch sie schaute mich nur unverwegen an und sagte: «Ich brauche die Kette genauso wie du, wenn nicht sogar noch dringender. Diese Kette ist meine einzige Chance!». So gern ich ihr auch geholfen hätte, ich konnte ihr diese Kette nicht einfach überlassen ohne zu wissen was mit ihr passiert. Anscheinend hatte ich sie ein bisschen zu lange bedauernd angestarrt, denn sie öffnete den Mund und schlug vor: «Also, wir machen einen Deal: Ich gebe dir die Kette zurück unter einer Bedingung: du musst mich bei dir essen und schlafen lassen, bis ich eine andere Bleibe gefunden habe. Abgemacht?». Ich war mir nicht sicher. Ich hatte echt keine Lust darauf, mit jemandem mein Zimmer zu teilen und noch jemandes Dreck wegwischen zu müssen. Mein Vater wäre bestimmt auch nicht allzu erfreut, wenn ich ein fremdes Mädchen mit nach Hause brachte. «Okay, abgemacht, aber wenn du mir Ärger machst fliegst du sofort raus!»

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, schnappte ich mir die Kette und war in binnen von Sekunden in der Menschenmenge verschwunden.

Viel blieb vom Tag nicht mehr übrig. Die Sonne verschwand bald hinter den Bergen am Horizont und die Vögel hörten auf zu Zwitschern. Ich lernte meine italienisch Vokabeln und wollte mich gerade noch einmal hinlegen, um in meinem Märchen zu lesen, als ich eine Stimme durch mein offenes Fenster rufen hörte: «Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!».

Ich erkannte die Stimme nicht sofort, doch als die Worte sich noch einmal wiederholten, wurde es mir klar. Das war das Mädchen von heute Nachmittag! Ich hatte schon ganz vergessen was passiert war und hätte ehrlich gesagt auch nicht erwartet, dass sie noch auftaucht. Widerwillig stieg ich aus meinem Bett und trat auf den Balkon.

Unter mir wartete das Mädchen mit ihrem Rucksack auf mich und schaute mich erwartungsvoll an. «Na, lässt du mich zu dir auf deine Wolke mein Engel?» Mein Gott sie nervte mich schon jetzt! Auf was hatte ich mich da nur eingelassen. Ohne meine Antwort abzuwarten kletterte sie dem Rosengitter entlang auf den Balkon zu. Als sie oben angekommen war sah ich, dass sie eine sehr sportliche Figur hatte und so wie sich dem Gitter entlang gehangelt hatte, wusste sie die auch zu nutzen.

Es War Einmal (Girl x Girl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt