Keine Wahl

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Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, war es düster im Zimmer. Die Kohlenpfanne glühte nicht mehr und hatte eine leichte Kühle zurückgelassen. Kira fragte sich, wann genau sie eingeschlafen war, während sie die Decke enger um sich zog.

Als sie einen Blick neben sich warf, bemerkte sie, dass Intef noch wach war und mit finsterem Gesichtsausdruck an die Decke starrte. Im Halbdunkel wirkten seine dunklen Augen fast schwarz.

In dem Bestreben, ihn aus seinen düsteren Gedanken zu ziehen, stupste sie ihn leicht an. „Hey.‟

Er wandte ihr den Kopf zu. Mit Besorgnis stellte Kira fest, dass er aussah, als habe er die halbe Nacht wach gelegen. „Worüber denkst du nach?‟

„Darüber, wie es jetzt weiter gehen soll.‟ Sein von Sorgen gezeichnetes Gesicht sagte ihr, dass es anscheinend zu keiner Lösung gekommen war.

„Jetzt, wo wir wissen, dass Ramose uns belogen hat, haben wir keinen Grund mehr, hier zu bleiben‟, stellte sie fest, darum bemüht, die Enttäuschung aus ihrer Stimme fernzuhalten.

„Aber wo sollen wir hin? Wir können nicht einfach aus Memphis hinausmarschieren und uns selbstständig machen.‟

Zustimmend nickte Kira. Selbst in der Zeit, aus der sie kam, wäre es unmöglich gewesen, sich Hals über Kopf unabhängig zu machen. Zwei siebzehnjährige, die sich von heute auf morgen selbst versorgen wollten? Viel Glück.

„Wenn ich auf meinen Vater gehört hätte, dann wären wir jetzt nicht in dieser Zwickmühle‟, begann Intef mit einem Mal. „Dann wäre ich schon längst berufstätig und würde mein eigenes Geld verdienen.‟ Er gab ein freudloses Lachen von sich. „Wahrscheinlich hätten wir jetzt auch ein Zuhause, in das wir zurückkehren könnten. Aber nein. Nein, ich musste mich unbedingt wie ein zappelnder Fisch dagegen wehren.‟

Überrascht über seine plötzlichen Selbstvorwürfe musterte Kira sein Gesicht.

„Sicher, du hättest als Medjai dein eigenes Geld verdient. Als unglücklicher, frustrierter Medjai, der alle seine Träume über Bord geworfen hat. Obendrein wärst du dann auch noch mit irgendeinem wildfremden Mädchen verheiratet gewesen.‟ Seufzend kuschelte sie sich tiefer in die Decke.

„Das hätte uns auch nicht geholfen.‟

Bei dem Gedanken an Intefs Streit mit seinem Vater tauchte mit einem Mal Ahmoses Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Es wäre vielleicht eine Möglichkeit...

„Was hattest du eigentlich geplant, für den Fall, dass ich es nach Hause geschafft hätte? Wärst du wieder nach Theben zurück gekehrt?‟ Kira war sich sicher, dass er sich, bevor er ihr gefolgt war, um ihr nach Hause zu helfen, sich ausreichend Gedanken darüber gemacht hatte, was er danach tun wollte. Immerhin war Intef nicht so hitzköpfig wie sie. Er war intelligenter, überlegter,erwach-

„Keine Ahnung.‟

Perplex starrte sie ihn an. „Keine Ahnung?‟

„Ehrlich gesagt hatte ich mir zu dem Zeitpunkt keine Gedanken darüber gemacht.‟ Als er ihren verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hinzu: „Als ich gesehen hatte, dass du abgehauen bist, bin ich dir sofort gefolgt. Das ‚und wie weiter?' hat mich in dem Moment wenig interessiert.‟

„Würdest du es in Betracht ziehen, wieder zurück nach Hause zu gehen? Wir können nirgendwo hin, außer nach Theben.‟ Vorsichtig sprach sie den Gedanken aus, der sich schon länger in ihren Kopf geschlichen hatte.

Mit einem frustrierten Seufzen zog Intef sich die Decke über den Kopf.

„Ich verstehe, dass du nicht nach Hause willst. Wäre ich an deiner Stelle, würde ich mich auch nicht einem stinkwütenden Vater, dem ich die Vollmachten geklaut hätte, gegenüber stellen wollen. Aber wir haben keine Alternative‟, versuchte sie ihn zu überzeugen.

„Ich weiß‟, kam es gedämpft unter der Decke hervor. Nach einem Moment des Schweigens fuhr er fort. „Der reißt mir den Kopf ab!‟ Intefs Stimme unter der Decke klang nun leicht verängstigt.

Behutsam zog Kira ihm die Decke weg. „Wir haben keine Wahl‟, flüsterte sie.

Wie zwei Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, klammerten sie sich aneinander fest.

„Ich weiß.‟

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt