Unerwartete Begegnung

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Sie wusste nicht, ob es die Aufregung war, die sich in ihr auf der Suche nach dem Wesir angestaut hatte, oder der starre Blick der Person auf dem Thron, die Kira wie angewurzelt stehen bleiben ließ und ihr die Sprache verschlug.

Mit aufgerissenen Augen versuchte sie ihre neue Situation zu verarbeiten, der Wesir, der sie aus intelligenten Augen musterte, und die andere Person, die sie beäugte, wie ein Adler, der seine Beute fokussierte.

Hilfe suchend drehte sie sich nach Intef um, doch schien es ihm ebenfalls die Sprache verschlagen zu haben. Mit einem Gesichtsausdruck, der pure Überraschung und auch ein Stück weit Entsetzen widerspiegelte, verharrten seine dunklen Augen auf der Person mit der rot-weißen Krone auf dem Haupt.

Vorsichtig berührte Kira ihn an der Schulter, um ihn zu fragen, wer denn die mysteriöse Person sei, als er ihr zuvor kam und sie am Arm packte. Rasch zog er sie mit sich auf den Boden, wo sie beide in kniender Haltung sich dem glänzend polierten Boden zuwendeten.

Verwirrt über unerwartete Verhalten ihres Freundes hob sie den Kopf und sah ihn fragend an.

Warum knien wir auf dem Boden?, schien sie ihn mit Blicken zu fragen, doch er beantwortete ihr Frage wortlos damit, dass er ihr sanft in den Nacken fasste und ihre Stirn auf den Boden drückte.

Der glatte Alabasterboden kühlte ihre Stirn. Immer noch reichlich durcheinander fingen ihre Gedanken an zu rasen. Wer war die Person neben dem Wesir? Warum verbeugten sie sich vor ihm?

In Gedanken versuchte sie sich einen Reim auf all das zu machen, bis ihr die rot-weiße Krone des Mannes in den Sinn kam. Im Geiste verglich sie die Krone mit den Bildern aus ihrem Geschichtsbuch, welche sie mit der Zeit schon fast auswendig kannte. Als sie sich an ein ganz bestimmtes Bild erinnerte, auf dem sie diese Krone schon einmal gesehen hatte, war sie froh, dass niemand ihr Gesicht sehen konnte, aus welchem ihr schlagartig alles Blut entwich.

Das Bild, von dem sie die außergewöhnliche Doppelkrone kannte, war ein Bild des Pharaos.

Kalter Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, als sie realisierte, dass die Person, vor der sie knieten, der Pharao Ägyptens war.

Als sie den Gedanken einigermaßen verkraftet hatte, dämmerte ihr auch, warum Intef so entgeistert drein gesehen und sie so plötzlich gezwungen hatte, sich zu verbeugen. Sie konnte es ihm nicht verübeln, immerhin war diese Begegnung für ihn, als würde sie Barack Obama oder Angela Merkel treffen. Unerwartet. Überrumpelnd. Angst einflößend.

„Erhebt euch.‟ Eine kräftige dunkle Stimme tönte durch den Thronsaal.

Der Schock saß ihnen beiden noch immer tief in den Knochen, als sie aufstanden und Kira die Möglichkeit hatte, den Pharao vorsichtig genauer in Augenschein zu nehmen.

Seine dunklen Augen durchbohrten sie mit einem stechenden Blick, der ihr das Gefühl gab, er könne ihre Gedanken lesen oder direkt in ihre Seele blicken. Unter der rot-weißen Doppelkrone Ober- und Unterägyptens lugten ein paar dünne schwarze Haarsträhnen hervor, von denen einige ihren Glanz bereits verloren hatten und sich in einem leichten Grau zeigten.

Im Gegensatz zu Intef hatte der Pharao hellere Haut, was sich Kira damit erklärte, dass er als Herrscher des Landes wohl selten seinen Palast verließ, um die goldene Sonne des Reiches zu genießen.

Seine königlichen Gewänder waren noch reichlicher verziert, als die des Wesirs neben ihm. Gerade bewunderte sie still die unzähligen Goldfäden, die sich in einem komplizierten Muster durch den Stoff woben, als sie den durchdringenden Blick des Pharaos auf sich spürte.

Seine braunen Augen verrieten keine Gefühlsregung, dennoch hatte Kira das Gefühl, den Blick abwenden zu müssen, also wendete sie sich dem Anblick ihrer verschmutzten Füße zu.

Time Traveler - Durch den heißen WüstensandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt